Noch nicht genug Daten zu Urolithin A |
Mehr Muskeln durch Nahrungsergänzung? Bei Urolithin A ist die Datenlage für eine klare Aussage noch zu dünn. / Foto: Adobe Stock/Coloures-Pic
Urolithin A ist in keinem natürlichen Nahrungsmittel enthalten. Einige Lebensmittel enthalten jedoch Vorstufen, die Ellagitannine. Aus den schlecht bioverfügbaren Ellagitanninen wird im Magen-Darm-Trakt Ellagsäure freigesetzt. Diese verarbeitet die Mikrobiota des Dickdarms zu bioverfügbaren Verbindungen – den sogenannten Urolithinen (3,4-Benzocumarin-Derivate). Urolithin A ist von den diesen Verbindungen am besten untersucht. Interessanterweise findet die Umwandlung nur bei einem Teil der Menschen statt. Es ist ein geeignetes Darmmikrobiom erforderlich. Dieses variiert allerdings je nach Alter, Gesundheitszustand und Nahrungsaufnahme. Welche Bakterien entscheidend sind, ist klar. Bei der Ernährung ist es wichtig, dass diese ausreichend Vorstufen enthält, aus denen Urolithine hergestellt werden können. Ellagitannine finden sich unter anderem in Granatäpfeln, Beeren (Brombeeren, Erdbeeren oder Himbeeren), Nüssen (Walnüsse, Haselnüsse, Eicheln, Kastanien oder Pekannüsse), Muskatweintrauben und in Weinen und Spirituosen, die in Eichenholz gereift sind.
Im Jahr 2022 veröffentlichten Singh et al. Forschungsergebnisse zur Prävalenz von Urolithin-A-Produzenten in der gesunden Bevölkerung. Sie gaben 100 Probanden entweder ein Glas Granatapfelsaft oder 500 mg Urolithin A. Nur zwölf Prozent der Probanden wiesen zu Beginn der Studie nachweisbare Urolithin-A-Werte auf. Nach der Einnahme von Granatapfelsaft wandelten etwa 40 Prozent der Probanden die Vorläuferverbindungen signifikant in Urolithin A um. Ihr Darmmikrobiom war vielfältiger und wies ein höheres Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroides auf als das der Nichtproduzenten. Probanden müssten jedoch etwa 1,5 Liter Granatapfelsaft zu sich nehmen, um die Spiegel zu erreichen, die mit einer direkten Supplementation von 500 mg Urolithin A erzielt wurden.
Urolithine sollen oxidativen Stress modulieren können und entzündungshemmend und antiproliferativ wirken. Ihnen werden Anti-Aging-Eigenschaften zugeschrieben, die die Substanzen für die alternde Bevölkerung interessant machen. Beim Altern gehen Muskelmasse und -kraft verloren. Die körperliche Leistungsfähigkeit und Ausdauer sinken. Mit diesen Prozessen und einigen altersbedingten Erkrankungen wird die sogenannte mitochondriale Dysfunktion in Zusammenhang gebracht. Defekte der Mitochondrien beeinträchtigen dabei den zellulären Energiestoffwechsel. Es entsteht ein primärer Energiemangel (ATP-Mangel) in der Zelle. In der Skelettmuskulatur führen eine verringerte mitochondriale Effizienz und weniger ATP dazu, dass die Muskeln an Leistungsfähigkeit einbüßen und schneller ermüden. Eine gesunde Zelle kann dysfunktionale Mitochondrien durch Mitophagie beseitigen. Bei diesem selektiven Autophagieprozess werden defekte Mitochondrien beseitigt und recycelt. Die Mitophagie sinkt jedoch mit zunehmendem Alter und bei verschiedenen altersbedingten Krankheiten. In Zell- und Tierversuchen konnte Urolithin A die Mitophagie und die Funktion der Mitochondrien verbessern.
Untersuchungen zur Alterung zeigten, dass Urolithin A die Lebensspanne von Würmern verlängern kann, während sein Vorläufer Ellagsäure keine Auswirkung hatte. Positive Effekte von Urolithin A auf die Muskelgesundheit stellten Forscher sowohl in Versuchen mit Würmern als auch mit Säugetieren fest. Die lebensverlängernden Mechanismen sind noch unklar. Möglicherweise spielt die antientzündliche Wirkung eine Rolle. Bei altersbedingten Erkrankungen werden verstärkt proinflammatorische Botenstoffe ausgeschüttet. Das führt zu chronischen subklinischen Entzündungen (Inflamm-Aging). Urolithin A könnte dem entgegenwirken.
Ein potenzieller Nutzen von Urolithin A bei kardiovaskulären Erkrankungen wurde in präklinischen Modellen von Herzischämie, Atherosklerose und dilatativer Kardiomyopathie (DCM) untersucht. Die Ergebnisse sollten jedoch mit mehr Tieren pro Gruppe und einer besseren Beschreibung der Methoden reproduziert werden. Es sind ebenfalls weitere Untersuchungen wünschenswert, wenn es um ein mögliches Potenzial von Urolithin A für die Krebsbehandlung und -prävention geht.
Die Ergebnisse aus Zell- und Tierversuchen lassen sich bekanntlich nur eingeschränkt auf den Menschen übertragen. Daten aus klinischen Prüfungen mit Urolithinen liegen jedoch bislang kaum vor. Erst 2019 publizierten Wissenschaftler die Ergebnisse der ersten Humanstudie. In dieser Phase-I-Studie hatten gesunde Männer und Frauen im Alter von 61 bis 85 Jahren Urolithin A entweder als Einzeldosis oder in mehreren Dosen über einen Zeitraum von vier Wochen erhalten. Urolithin A zeigte ein günstiges Sicherheits- und pharmakokinetisches Profil. Es war in den getesteten Dosierungen (500 mg und 1000 mg) bioverfügbar und akkumulierte nicht im Laufe der Zeit. Die Wissenschaftler schlossen aus den beobachteten Auswirkungen auf mitochondriale Biomarker, dass Urolithin A die mitochondriale und zelluläre Gesundheit nach regelmäßiger oraler Einnahme verbesserte.
2022 veröffentlichten Liu et al., wie sich eine Urolithin-A-Supplementierung auf die Muskelausdauer und die mitochondriale Gesundheit bei älteren Erwachsenen auswirkte. In der randomisierten klinischen Studie bekamen 66 ältere Erwachsene vier Monate lang entweder 1000 mg Urolithin A oder Placebo. Der primäre Endpunkt waren die Veränderung der Sechs-Minuten-Gehstrecke und die Veränderung der maximalen ATP-Produktion in der Handskelettmuskulatur im Vergleich zum Ausgangswert. Die sekundären Endpunkte waren die Veränderung der Muskelausdauer von zwei Skelettmuskeln. Des Weiteren wurden Biomarker untersucht. Verbesserungen bei der Sechs-Minuten-Gehstrecke und der maximalen ATP-Produktion im Handmuskel zeigten sich in der Urolithin-A-Gruppe im Vergleich zur Placebogruppe nicht. Dennoch deutete sich nach Auffassung der Forscher an, dass eine langfristige Urolithin-A-Supplementierung die Muskelausdauer und die Plasma-Biomarker günstig beeinflussen könnte. Bei den unerwünschten Ereignissen wurden keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen festgestellt.
Singh et al. bestätigten 2022 mit einer randomisierten, placebokontrollierten Studie, dass Urolithin A (500 mg und 1000 mg), verabreicht in zwei Dosen über vier Monate, signifikant die Muskelkraft verbessern kann. Es zeigten sich klinisch bedeutsame Verbesserungen bei der aeroben Ausdauer und der körperlichen Leistungsfähigkeit (Sechs-Minuten-Gehtest). Die Forscher stellten jedoch keine signifikante Verbesserung der Spitzenleistung (primärer Endpunkt) fest. Dass die Werte der Acylcarnitine und der C-reaktiven Proteine im Plasma in der Urolithin-A-Gruppe deutlich niedriger waren als in der Placebogruppe, führen die Wissenschaftler auf eine höhere mitochondriale Effizienz und eine geringere Entzündungsaktivität zurück.
Die Exposition des Menschen mit Urolithinen beschränkte sich bislang darauf, dass Ellagitannin- und Ellagsäure-haltige Lebensmittel aufgenommen und die Vorstufen im Körper zu Urolithinen umgewandelt wurden. Die begrenzten Daten aus Humanstudien lassen noch keine Aussage über die Sicherheit einer Supplementierung zu. Es gibt Sicherheitsdaten aus toxikologischen Studien. 2017 untersuchten Heilmann et al. die Genotoxizität, Toxikokinetik und Sicherheit von synthetischem Urolithin A bei Ratten. Urolithin A erwies sich als nicht genotoxisch. Glucuronidierte und sulfonierte Formen waren die vorherrschenden Metaboliten sowohl nach oraler als auch nach intravenöser Verabreichung. Studien zur Sicherheit von Urolithin A mit wiederholter Verabreichung über die Nahrung über 28 und 90 Tage an Ratten zeigten bei allen getesteten Dosen keine Veränderungen der klinischen Parameter, der Blutwerte oder der Hämatologie und keine Hinweise auf toxische Effekte. Der NOAEL-Wert (No Observed Adverse Effect Level) war die höchste getestete Dosis, also fünf Gewichtsprozent Urolithin A in der Nahrung oder 3,451 mg/kg Körpergewicht/Tag bei männlichen Tieren und 3,826 mg/kg Körpergewicht/Tag bei weiblichen Tieren.
Die Wirkungen von Urolithinen und die Erkenntnis, dass nicht jeder Mensch sie selbst herstellen kann, machen die Verbindungen als Supplement interessant. Die Frage, ob Einnahme von Urolithin A oder anderen Urolithinen tatsächlich Alterungsprozessen entgegenwirken kann, muss jedoch noch beantwortet werden.
Industriell kann Urolithin A bereits synthetisch in mehreren Schritten mit hohem Reinheitsgrad hergestellt werden. In den USA bestätigte die Food and Drug Administration (FDA) 2018, dass Urolithin A als Zusatz in zahlreichen Lebensmitteln sowie Nahrungsmitteln für Sportler oder zum Abnehmen unter bestimmten Bedingungen als sicher anzuerkennen ist. Von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gibt es derzeit keine zugelassenen Health Claims. Es darf also nicht mit gesundheitsbezogenen Aussagen für Urolithinen in der Europäischen Union geworben werden.
Künftige Forschungsarbeiten sollten die für die Urolithin-A-Umwandlung verantwortlichen Bakterienarten aufklären und die Wechselwirkungen zwischen Urolithinen und der Darmmikrobiota untersuchen. Das könnte zu einem besseren Verständnis der Mikrobiom-Mitochondrien-Achse beitragen. Eine weitere offene Frage ist, warum die Mehrheit der menschlichen Bevölkerung kein Urolithin A produzieren kann und inwiefern dabei das Alter eine Rolle spielt. Schließlich bleibt noch zu klären, welche Art der Verabreichung geeignet ist und ob eine orale Substitution der richtige Weg ist.