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Immer lästig, selten tödlich

Noroviren passen sich an

Humane Noroviren siedeln sich in der Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes an und verursachen die bekannten Symptome: Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle. Nur sehr selten wird das Virus dem Menschen so gefährlich, dass er die Infektion nicht überlebt.
AutorKontaktEdith Schettler
Datum 10.11.2020  13:15 Uhr

Im Jahr 1968 fanden Wissenschaftler in Norwalk (USA) einen bis dahin unbekannten Erreger einer hoch ansteckenden Gastroenteritis in Stuhlproben erkrankter Schulkinder. Um ihre Erkenntnisse zu untermauern, verabreichten sie ein gereinigtes Ultrafiltrat aus diesen Stuhlproben freiwilligen Probanden, die daraufhin ebenfalls krank wurden. Vier Jahre später konnten sie auch die Struktur der Viren elektronenmikroskopisch aufklären. Vom Entdeckungsort erhielt das Virus seine Bezeichnung und hieß zunächst Norwalk-like Virus, später dann abgekürzt als Norovirus.

Zur Gattung der Noroviren gehören außer dem humanen Norovirus auch Spezies, die beispielsweise bei Mäusen (murines Norovirus), Rindern (bovines Norovirus), Schweinen (porcines Norovirus) oder Austern (Norovirus der Auster) aktiv sind. Allen gemein: eine positive Polarität. Das bedeutet, dass die Anordnung der RNA-Basentripletts der Leserichtung der späteren mRNA entspricht.

Nicht nur Verpackung

Unter dem Mikroskop sieht man das Kapsid, die aus Proteinen bestehende kugelförmige Verpackung der RNA. Diese hat jedoch tatsächlich die Form eines Ikosaeders, bestehend aus zwanzig identischen Kapsomeren in Form gleichseitiger Dreiecke. Das Kapsid dient nicht nur dem Schutz der RNA, sondern ist auch für das Anheften des Virions an die Wirtszelle und das Eindringen in das Zytosol zuständig. Zu diesem Zweck ragen aus dem Kapsid Proteinschleifen heraus, ähnlich wie die Spikes an den behüllten Viren. Sie stellen die Bindung zum Rezeptor der Wirtszelle her. Das Kapsid dient dann als Transportvehikel für die RNA in das Zellinnere und löst sich auf, wenn es seine Aufgabe erfüllt hat.

Die Struktur des Kapsids ist außerdem für die Umweltstabilität und die Pathogenität der unbehüllten Viren von großer Bedeutung. Seine regelmäßig angeordneten Proteine erkennt das Immunsystem des Wirtes relativ leicht als Antigen. Während sich die Oberflächenstrukturen behüllter Viren häufiger durch Mutationen ändern, ist das im Kapsid nicht so oft der Fall. Eine Änderung in der Struktur führt hier häufig zu einem Verlust der Stabilität. Weil sich die äußere Erscheinung unbehüllter Viren seltener ändert, besteht nach einer Infektion eine stärkere, manchmal lebenslange, Immunität. Diese Tatsache macht man sich auch bei der Herstellung von Impfstoffen zunutze. Impfstoffe auf der Basis von Kapsiden erzeugen eine deutliche Immunantwort.

In ihrem Genom sind die Noroviren, wie die meisten RNA-Viren, relativ variabel, das bedeutet, es gibt mehrere Subtypen. Untereinander tauschen die Viren verschiedener Stämme einzelne Segmente ihres genetischen Materials aus, wodurch wieder neue Subtypen entstehen (Antigen-Shift). Innerhalb der RNA können sich Basenabschnitte durch Punktmutationen verändern (Antigen-Drift), was Modifikationen in der Struktur der Oberflächenproteine zur Folge haben kann. Diese erkennt das Immunsystem des Wirtes bei einer folgenden Infektion möglicherweise nicht mehr. Antigen-Drift und Antigen-Shift können jedoch auch fatal für das Virus ausgehen, zum Beispiel, wenn das Kapsid durch die Variation instabil wird. Etwa alle zwei Jahre taucht eine neue Variante des Norovirus auf.

Perfekt angepasst

Hat das Virion sein Genom erfolgreich in die Wirtszelle eingebracht, beginnt es mit seiner Vermehrung. Humane Noroviren vermehren sich vor allem im Dünndarm. Um in die Darmwand zu gelangen, nehmen sie die Hilfe von Darmbakterien in Anspruch. Einige tragen an ihrer Oberfläche bestimmte Zuckerstrukturen, die Histo-Blutgruppenantigene. Mit dieser Hilfe gelangen die Noroviren neueren Forschungen zufolge in die B-Immunzellen der Darmwand. Diese produzieren dann vermutlich Toxine, die den Durchfall in Gang setzen.

Innerhalb von zwei Tagen nach der Infektion treten die ersten gastrointestinalen Symptome auf: wässrige Durchfälle Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Kopf- und Muskelschmerzen, allgemeine Mattigkeit, Husten und leichtes Fieber können hinzukommen. Nach weiteren ein bis drei Tagen heilt die Erkrankung meist folgenlos aus. Sehr alte Menschen, Säuglinge und Kleinkinder sowie Patienten mit Immundefiziten können vor allem durch den Flüssigkeitsverlust einen schweren Krankheitsverlauf erleiden, der eine stationäre Aufnahme erforderlich macht. Hierzulande führt die Erkrankung nur in sehr seltenen Fällen zum Tode. In der Saison 2018/19 verstarben in Deutschland 25 von rund 77.500 Erkrankten. Die meisten der weltweit mehr als 200.000 jährlichen Todesfälle ereignen sich in den Entwicklungsländern.


Da die Norovirus-Gastroenteritis in Deutschland meldepflichtig ist, liegen genauere Daten über die Altersverteilung der Patienten vor. Betroffen sind vor allem die unter 5- und die über 70-Jährigen. Das erklärt auch den Umstand, dass vor allem Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas und Altenheime Orte von Ausbrüchen sind.

Schwer wieder loszuwerden

Humane Noroviren sind weltweit verbreitet. Die Ansteckung erfolgt auf fäkal-oralem Weg von Mensch zu Mensch, zum Teil auch auf Umwegen über kontaminierte Speisen und Oberflächen. Außergewöhnlich für den Erreger einer Gastroenteritis ist die Möglichkeit der Übertragung der Virionen auf dem Luftweg über Aerosole. Erkrankte Personen geben die Krankheit über Hände, Erbrochenes und Kot noch bis zu zwei Wochen nach Abklingen der akuten Phase weiter. Während ein Erkrankter 100 Milliarden Virionen pro Gramm Stuhl ausscheidet, genügen für eine Infektion bereits weniger als 20.

Im Temperaturbereich von –20 bis +60 Grad Celsius sind die Virionen stabil. Auf Oberflächen überdauern sie etwa zwei Wochen. Türklinken und Treppengeländer sind damit ideale Wartepositionen für die Erreger. Einige von ihnen überstehen immer die Hygienemaßnahmen, selbst in Krankenhäusern.

In einem Flugzeug der New Zealand Air reiste im Jahr 2009 ein mit dem Humanen Norovirus infizierter Passagier, der sich an Bord erbrach und wässrige Durchfälle ausschied. Obwohl der Flieger gründlich gereinigt und desinfiziert worden war, erkrankten 27 Personen vom Bordpersonal, die in der folgenden Woche dort gearbeitet, den Patienten aber nie zu Gesicht bekommen hatten.

Impfung noch nicht möglich

Eine kausale Therapie gibt es nicht, betroffene Patienten können nur abwarten, bis der Spuk vorbei ist. Ausreichend Flüssigkeit, eventuell Elektrolytlösungen und leicht verdauliche Kost helfen, den Mineralstoffhaushalt zu stabilisieren. Um die Ansteckungsgefahr für Personen in der Umgebung zu minimieren, ist es am besten, den Kranken weitgehend zu isolieren und soziale Kontakte zu meiden. Da wegen der Vielzahl der ausgeschiedenen Erreger Händewaschen nur bedingt hilft, ist die sachgerechte Anwendung von Hände- und Flächendesinfektionsmitteln mit lipidlösenden Eigenschaften, zum Beispiel Isopropanol 70 Prozent, unerlässlich, und zwar nicht nur während der akuten Phase, sondern noch mindestens zwei Wochen darüber hinaus. Öffentliche Einrichtungen müssen sich bei der Wahl des Desinfektionsmittels an der Liste geprüfter und anerkannter Desinfektionsmittel des Robert-Koch-Instituts orientieren. Auch zu den Maßnahmen bei Ausbruch einer Erkrankung in öffentlichen Einrichtungen berät das Institut auf seiner Internetseite.

Was gegen einen weiteren Erreger viraler Durchfallerkrankungen, die Rotaviren, bereits Realität ist, lässt im Fall der Noroviren wohl noch eine Weile auf sich warten. Einen Impfstoff gibt es noch nicht. Das liegt vor allem daran, dass es bisher noch nicht möglich war, humane Noroviren im Labor zum Leben zu erwecken. Mit den neuen Erkenntnissen über die Bindung der Virionen an Darmbakterien hat die Forschung einen weiteren Schub erhalten.

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