Norovirus sorgt für lästiges Sommerübel |
War das Abwassersystem überlastet? Ende Juni gab es einen Ausbruch von Norovirus-Infektionen am Ostufer des Gardasees. / Foto: Getty Images/Imgorthand
Anfang Juli gab es in der Gemeinde Torri del Benaco am östlichen Ufer des Gardasees Entwarnung: Das Trinkwasser- und Badeverbot konnte wieder aufgehoben werden. Die Anordnungen wurden notwendig, weil sich zuvor mehr als tausend Urlauber und Einheimische mit dem Norovirus infiziert hatten. Mehrere Hundert mussten ihre gastrointestinalen Symptome im Krankenhaus behandeln lassen.
Die genaue Ursache des Infektionsausbruchs ist indes nicht geklärt. In italienischen Zeitungen wurde spekuliert, dass der Ausbruch mit dem sehr hohen Wasserstand des Gardasees nach heftigen Regenfällen zu tun haben könnte. Möglicherweise sei das Abwassersystem überlastet gewesen. Von offizieller Seite gab es dafür allerdings keine Bestätigung.
Das aktuelle Beispiel zeigt, wie hochansteckend eine Infektion mit dem Norovirus, dem Hauptauslöser von viral bedingten Magen-Darm-Infektionen, ist. Die Ansteckung erfolgt auf fäkal-oralem Weg, zum Teil auch auf Umwegen über kontaminierte Lebensmittel (Trinkwasser in Italien) und Oberflächen. Ungewöhnlich für einen Erreger einer Gastroenteritis ist die Möglichkeit der Übertragung der Virionen auf dem Luftweg über Aerosole. Erkrankte Personen geben die Krankheit über Hände, Erbrochenes und Kot noch bis zu zwei Wochen nach Abklingen der Beschwerden weiter. Während ein Erkrankter 100 Milliarden Virionen pro Gramm Stuhl ausscheidet, genügen für eine Infektion bereits weniger als 20.
Um die Ansteckungsgefahr für Personen in der Umgebung zu minimieren, ist es am besten, den Kranken weitgehend zu isolieren. Da wegen der Vielzahl der ausgeschiedenen Erreger Händewaschen nur bedingt hilft, ist die sachgerechte Anwendung von Hände- und Flächendesinfektionsmitteln mit lipidlösenden Eigenschaften, zum Beispiel Isopropanol 70 Prozent, unerlässlich, und zwar nicht nur während der akuten Phase, sondern noch mindestens zwei Wochen darüber hinaus. Norovirionen – also Viruspartikel außerhalb einer Zelle – sind extrem temperaturbeständig, weshalb sie auf Oberflächen etwa vierzehn Tage überleben.
Etwa zwei Tage nach der Infektion machen sich die ersten gastrointestinalen Symptome bemerkbar: wässrige Durchfälle, Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Kopf- und Muskelschmerzen, Erschöpftsein, Husten und leichtes Fieber können hinzukommen. Nach weiteren ein bis drei Tagen heilt die Erkrankung meist folgenlos aus. Sehr alte Menschen, Säuglinge und Kleinkinder sowie Patienten mit Immundefiziten können vor allem durch den Flüssigkeitsverlust einen schweren Krankheitsverlauf erleiden, der eine stationäre Aufnahme erforderlich macht. Unkontrolliertes Erbrechen, Tachykardien, Hypotonie, bestehen bleibende Hautfalten, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Delir oder auch fehlende Urinausscheidungen und Obstipation sind Zeichen einer Exsikkose und sollten stationär behandelt werden.
Da die Norovirus-Gastroenteritis in Deutschland meldepflichtig ist, liegen genauere Daten über die Altersverteilung der Patienten vor. Betroffen sind vor allem die Unter-5- und die Über-80-Jährigen. Das erklärt auch den Umstand, dass vor allem Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten und Altenheime Orte von Ausbrüchen sind.
Um die durch Erbrechen und Durchfall verlorenen Flüssigkeitsmengen und Elektrolyte wieder auszugleichen, gilt als wichtigste Basismaßnahme eine ausreichende Substitution von Flüssigkeit, den Elektrolyten Natrium und Kalium sowie Glucose. Die S2k-Leitlinie »Gastrointestinale Infektionen« der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) spricht sich für orale Rehydratationslösungen (wie Saltadol®, Oralpädon®, Elotrans®) aus. Einen therapeutischen Effekt haben diese ORL nicht.
Die physiologische Grundlage für dieses Therapieprinzip lässt sich in den Enterozyten und dem gekoppelten Kotransport von Natrium und Glucose finden. Natrium wird effektiver über den SGLT-1-Transporter aus dem Darmlumen ausgeschleust, wenn es mit Glucose oder Galactose transportiert werden kann. Das Wasser folgt dem gerichteten Natriumstrom passiv nach. Da die ORL ein optimales Verhältnis von Natrium und Glucose enthalten, kann mit einer maximalen Natriumresorption und einer damit verbundenen Wasserrückresorption gerechnet werden.
Zugegebenermaßen schmecken Glucose-basierte Elektrolytlösungen wie die »WHO-Trinklösung« ziemlich unangenehm. Hier ist das Apothekenteam gefordert. Es sollte darauf hinweisen, dass die Rehydrationslösung in Wasser und nicht in anderen Getränken wie Milch oder Limonaden in der vorgeschriebenen Verdünnung zu verabreichen ist. Säuglinge und Kleinkinder sollten nach dem Stuhlgang einen Beutel, Erwachsene ein bis zwei Beutel, jeweils aufgelöst in 200 ml Wasser, trinken. Täglich können drei bis fünf Beutel angewendet werden. Eine Kühlung erhöht sehr oft die Akzeptanz bei den Patienten. Für kleine Kinder und Senioren empfiehlt sich das häufige Anbieten von kleinen Flüssigkeitsmengen aus der Tasse oder vom Löffel.
Unverdünnte Fruchtsäfte, Leitungswasser und Limonaden sind vor allem bei schweren und starken Formen der Gastroenteritis ungeeignet. Sie enthalten entweder zu viel Zucker, was die Diarrhö weiter verstärken kann, oder zu wenig oder im falschen Verhältnis die notwendigen Elektrolyte. Deshalb sind auch klassische Hausmittel wie die Kombination aus Salzstangen und Cola-Getränken abzulehnen.
Wie sieht es mit weiterer medikamentöser Unterstützung aus, können Antiemetika und Antidiarrhoika die Symptome mildern? Die Autoren der Leitlinie sprechen für Antiemetika eine »Kann«-Empfehlung für Erwachsene aus. Metoclopramid, Dimenhydrinat, Ondansetron und andere Setrone können kurzfristig zum Einsatz kommen. Kleinkinder unter drei Jahren sollen die antiemetischen Wirkstoffe Dimenhydrinat oder Diphenhydramin nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nur unter strenger Indikation und sorgfältiger Beachtung der Dosierung bekommen. Auch wenn einige dieser Substanzen in der Pädiatrie durchaus gute Erfolge in Studien gezeigt haben, muss die Nebenwirkungslage streng beurteilt werden, zum Beispiel das Risiko für QTc-Zeit-Verlängerungen oder Krampfanfälle.
Eine »Kann«-Empfehlung geben die Leitlinienautoren auch für den Motilitätshemmer Loperamid (wie Imodium®). Das oral wirksame synthetische Antidiarrhoikum bindet an die μ-Opioidrezeptoren in der Darmwand und reduziert den Stuhldrang durch Hemmung der propulsiven Peristaltik und Erhöhung des Tonus im Analsphinkter. Zudem wirkt Loperamid antisekretorisch durch Hemmung von Calmodulin und Beeinflussung der intrazellulären Calciumkonzentration. Loperamid kann bei Erwachsenen mit akuter Gastroenteritis ohne Fieber und Blut im Stuhl für maximal 48 Stunden verwendet werden. Bei Kindern soll es nicht zum Einsatz kommen.
Der Enkephalinase-Hemmer Racecadotril (Vaprino®), der nach oraler Gabe und hydrolytischer Spaltung zum Metaboliten Thiorphan aktiviert wird, ist ist bezüglich seiner klinischen Wirksamkeit mit Loperamid vergleichbar. Enkephaline hemmen über δ-Opioidrezeptoren die Sekretion von Wasser und Elektrolyten in das Darmlumen. Racecadotril wird hauptsächlich zur Therapie der Reisediarrhö angewendet; ansonsten hat es in Deutschland nur wenig Bedeutung.
Für andere Antidiarrhoika wie Uzarawurzel, getrocknetes Apfelpulver, Tannine, Heilerde, Kohle und Myrrhe fehlen Evidenzen und sollen daher laut Leitlinie nicht zum Einsatz kommen. Genauso sieht es für die Gabe von Probiotika aus: Mehr als 95 Prozent der Leitlinienautoren sprechen sich gegen den Einsatz von Probiotika aus. Weder für Kinder noch für Erwachsene gibt es eine hinreichende Evidenz für den routinemäßigen Einsatz von Probiotika bei einer akuten infektiösen Magen-Darm-Infektion.