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Allergien vorbeugen

Nur nicht zu sauber!

Studien zeigen, dass ein vielfältiges Umweltmikrobiom vor Allergien und Asthma schützt. Besonders ausgeprägt zeigt sich der Effekt bei Bauernhofkindern. Aber auch Stadtkinder könnten davon profitieren.
Carina Steyer
12.01.2021  09:00 Uhr

Allergische Erkrankungen zählen zu den häufigsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Kindern und Jugendlichen. Laut der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert Koch-Instituts (RKI) ist mehr als ein Viertel der Kinder zumindest einmal im Leben von Asthma, Heuschnupfen oder Neurodermitis betroffen. Vor allem in den westlichen Industrienationen lässt sich seit einigen Jahrzehnten ein deutlicher Anstieg erkennen. Zahlreiche Umwelt- und Lebensstilfaktoren, die sich über den gleichen Zeitraum verändert haben, wurden als Auslöser diskutiert und untersucht. Besondere Aufmerksamkeit erhielt Ende der 1980er Jahre die »Hygiene-Hypothese« des Epidemiologen David Strachan.

Er hatte beobachtet, dass Kinder mit älteren Geschwistern seltener von Heuschnupfen betroffen waren. Seiner Vermutung nach war dies der Tatsache geschuldet, dass der enge Kontakt unter Geschwistern zu mehr frühkindlichen Infektionskrankheiten führt, die einen schützenden Effekt vor allergischen Erkrankungen haben könnten. Eine direkte Verbindung zum Anstieg von Allergien ließ sich nicht bestätigen. Vielmehr wurde deutlich, dass eine vielfältige Umwelt notwendig ist, um das kindliche Immunsystem genügend zu stimulieren und ausreifen zu lassen.

Zufällige Entdeckung

Dass genau dies auf Bauernhöfen optimal zu laufen scheint, war zunächst eine zufällige Entdeckung. In einer großen oberbayrischen Querschnittsstudie zu Asthma und Allergien fiel auf, dass das Heizen oder Kochen mit Holz einen schützenden Einfluss zu haben schien. Dies war erstaunlich, da durch die Rauch- und Rußentwicklung mit einer Zunahme asthmatischer Symptome zu rechnen ist. Schnell lag nun die Vermutung nahe, dass der positive Effekt nicht auf die Koch- und Heizart der Familien zurückzuführen war, sondern auf die Umgebung, in der die Kinder aufwuchsen. Da vor allem traditionell geführte Bauernhöfe noch mit Holz heizen und kochen, wurden sie zum Ausgangspunkt weiterer Untersuchungen.

Eine davon war die PASTURE-Geburtskohorte (Protection against Allergy – Study in Rural Environments) in der 1133 Schwangere und ihre Neugeborenen aus ländlichen Regionen in Deutschland, Frankreich, Finnland, Österreich und der Schweiz elf Jahre lang begleitet wurden. Ein Teil der Testfamilien lebte auf eigenen Bauernhöfen mit Nutztierhaltung, die Vergleichsfamilien in derselben Region, aber nicht auf einem Bauernhof. Mit Hilfe der umfangreichen Daten konnten die Wissenschaftler bestätigen, dass Kinder, die auf einem Bauernhof mit Viehwirtschaft aufwuchsen, signifikant weniger Asthma und Allergien entwickelten. Verantwortlich dafür scheint aber nicht nur der Kontakt mit Stall und Tieren zu sein, sondern auch der regelmäßige Verzehr von Rohmilch nach dem Abstillen. Der schützende Effekt verstärkte sich nochmal, wenn die Mutter bereits in der Schwangerschaft entsprechend exponiert war.

Pech für Stadtkinder?

Die PASTURE-Studie zeigte darüber hinaus, dass Kinder, die unbehandelte Kuhmilch tranken, auch ein deutlich niedrigeres Risiko für Schnupfen, Atemwegsinfekte, Mittelohrentzündungen und Fieber hatten als Kinder, die kommerziell hocherhitzte Milch bekamen. Das Risiko für einen Schnupfen sank um 30 Prozent, das für Mittelohrentzündungen sogar um mehr als 80 Prozent. Die Wissenschaftler schlussfolgern aus ihrer Studie, dass der schützende Effekt von Rohmilch vor allem auf die mangelnde Erhitzung sowie den höheren Fettanteil zurückzuführen ist. Eine Empfehlung, alle Kinder Rohmilch trinken zu lassen, gibt es trotz positiver Auswirkungen ausdrücklich nicht. Rohmilch kann bakteriell belastet sein und verschiedene Krankheiten – darunter Tuberkulose, Listeriose und EHEC – auslösen. Zum jetzigen Zeitpunkt gilt pasteurisierte, aber nicht homogenisierte Milch als beste Variante für Kinder.

Aktuell läuft am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München die sogenannte MARTHA-Studie. Ein Teil der kleinen Probanden erhält herkömmliche Milch aus dem Supermarkt, der andere Teil eine Milch, die in Zusammenarbeit mit einer Molkerei so verarbeitet wird, dass die positiven Eigenschaften der Rohmilch bewahrt, aber bedenkliche Keime abgetötet werden. Interessierte Familien mit Kindern, deren Geburtsdatum nach dem 1.Oktober 2018 liegt, können sich noch zur Teilnahme anmelden (www.martha-studie.de).

Stadtkinder als Verlierer?

Doch was bedeutet das nun für Stadtkinder? Sind Allergien, Asthma und Infektionen bei ihnen quasi vorprogrammiert? Erika von Mutius, Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz am Dr. von Haunerschen Kinderspital und des Instituts für Asthma- und Allergieprävention am Helmholtz Zentrum München kann Entwarnung geben. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie mehrere Studien zum Bauernhof-Effekt und die sogenannte PAULA-Studie durchgeführt. Über einen Zeitraum von zehn Jahren erfassten die Forscher das Hygieneverhalten und die Putzgewohnheiten von 400 Familien. So wurde etwa erfragt, wie oft die Kinder sich die Hände waschen, ob in der Wohnung Straßenschuhe getragen werden, wie oft die Böden gereinigt und die Bettwäsche gewechselt werden. Ein direkter Zusammenhang zwischen Allergien und dem Hygiene- und Putzverhalten konnten die Wissenschaftler nicht nachweisen.

Entscheidend sei nicht die Menge an Schmutz, sondern die Bandbreite der Bakterien, mit denen Kinder in Kontakt kommen, lautet die Schlussfolgerung der Experten. Darauf deutet auch die Studie eines Teams um den Kinderarzt und Allergologen Roger Lauener vom Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen hin. Den Wissenschaftlern ist es gelungen, den Bauernhof-Effekt in Stadtwohnungen nachzuweisen. Dafür haben die Forscher die Bakteriengemeinschaften in 400 finnischen und 1000 deutschen Haushalten untersucht. Dabei zeigte sich, je mehr typische Bauernhof-Mikroben in den Wohnungen nachweisbar waren, umso seltener entwickelten die dort lebenden Kinder Asthma. Warum in manchen Wohnungen vermehrt Bauernhof-Mikroben vorhanden sind und in anderen nicht, wissen die Forscher jedoch bislang nicht. Auffällig war lediglich, dass in den Haushalten mit mehr Mikroben die Bewohner auch in der Wohnung mit Straßenschuhen herumlaufen. Aktuell untersuchen die Wissenschaftler in Finnland, ob Walderde, die so im Eingangsbereich von Stadtwohnungen platziert wird, dass sie mit Kleidung und Schuhen in die Wohn- und Schlafbereiche getragen wird, ebenfalls einen schützenden Effekt hat.

Stallstaub fürs Mikrobiom

Neueste Studie zeigen zudem, dass der Reifung des Darmmikrobioms eine wesentliche Rolle in der Allergieentwicklung zukommen könnte. Der Biostatistiker Martin Deppner vom Helmholtz Zentrum in München hat gemeinsam mit seinem Team die Stuhlproben von 930 Babys analysiert. Alle waren im Rahmen der PASTURE-Studie gewonnen worden, die Kinder waren zum Abgabezeitpunkt zwei beziehungsweise zwölf Monate alt. Dabei zeigte sich nicht nur ein typisches Reifungsmuster, sondern auch, dass Kinder, mit Abweichungen im Mikrobiom mit zwölf Monaten doppelt so häufig von Asthma betroffen waren. Überraschend für die Forscher war, dass neben der Ernährung der Aufenthalt im Tierstall starken Einfluss auf den Verlauf der Reifung des Darmmikrobioms hatte. Der Ursache dafür ist ein Team um die Biochemikerin Franziska Roth-Walter vom Messerli Forschungsinstitut und die Allergologin Erika Jensen-Jarolim vom Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung an der Medizinischen Universität Wien auf die Spur gekommen. Sie entdeckten, dass das Protein Beta-Laktoglobulin, das bisher als Bestandteil der Milch bekannt war, auch als Hauptkomponente in den Stäuben aus Kuhställen nachgewiesen werden kann. Im Mausmodell konnten sie nachweisen, dass die Gabe des Proteins eine Schutzwirkung vor Allergien erzielt. Das Pharmaunternehmen Bencard Allergie hat auf Grundlage dieser Erkenntnisse eine Lutschtablette (ImmunoBON®) entwickelt, die neben Beta-Laktoglobulin Vitamin A, Zink und Eisen enthält. Die Bestandteile sollen eine immunstärkende Wirkung erzielen.

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