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Mehr Schein als Wirkung

Nutzen von Heilpilzen unklar

Die Liste an Wirkversprechen durch den Einsatz von Heilpilzen ist lang. Doch die sogenannten Vitalpilze sind nur unzureichend untersucht. Mängel in der Deklaration und Verunreinigungen sind weitere Probleme.
AutorKontaktNicole Schuster
Datum 06.02.2023  10:30 Uhr

»Nahrung sei deine Medizin und Medizin sei deine Nahrung«, war ein Leitsatz des Hippokrates. So sind Pilze nicht nur ein Nahrungsmittel, sondern werden seit Jahrtausenden sowohl in der traditionellen Medizin Europas als auch Asiens (traditionelle chinesische Medizin, TCM, und Ayurveda) als Heilmittel verwendet. Sie enthalten biologisch aktive Inhaltsstoffe, die ihnen als Abwehrstoffe helfen, ihren Fruchtkörper zu schützen. Einige dieser Verbindungen sind als Arzneimittel etabliert, wie Penicilline aus Penicillium-Arten, Cephalosporine aus Acremonium-Arten, das Immunsuppressivum Ciclosporin aus den norwegischen Schlauchpilzen Tolypocladium inflatum und Cylindrocarpon lucidum oder der HMG-CoA-Reduktasehemmer Lovastatin, der zum Beispiel vom Schimmelpilz Aspergillus terreus produziert wird.

Vor allem im Internet werden auch Nahrungsergänzungsmitteln (NEM), die Zubereitungen aus Pilzen enthalten, Heilwirkungen zugeschrieben. Hersteller setzen in ihren Produkten hauptsächlich exotische, in der TCM oder im Ayurveda genutzte Pilze ein. Beispiele sind Shiitake (Lentinula edodes), Glänzender Lackporling (Ganoderma lucidum), Löwenmähne (Hericium erinaceus), Schmetterlingstramete (Coriolus versicolor), der chinesische Raupenpilz (Cordyceps sinensis) oder der Schiefe Schillerporling (Inonotus obliquus), Letzterer aus der nordischen Volksmedizin. Unternehmer vermarkten Extrakte oder die Pilze getrocknet und pulverisiert als »Vital-« oder »Heilpilze«. Diese Marketingbezeichnungen sind jedoch weder rechtlich noch inhaltlich definiert.

Ein weiteres Problem ist, dass der Einsatz in Nahrungsergänzungsmitteln voraussetzt, dass die Substanzen bereits vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr genutzt wurden. Das ist nicht für alle Exoten der Fall. Für die Schmetterlingstramete lässt sich beispielsweise keine Verzehrhistorie vor 1997 nachweisen. Das macht sie zu einem neuartigen Lebensmittel. Sie bräuchte gemäß der Novel-Food-Verordnung eine Zulassung, um verkehrsfähig zu sein.

Lückenhafte Datenlage

Von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gibt es für Vitalpilze keine zugelassenen gesundheitsbezogenen Werbeaussagen. Mögliche Heilwirkungen leiten die Hersteller meist aus der traditionellen Medizin Asiens ab. Allerdings werden im Ayurveda oder in der TCM die Pilze individuell für einen Patienten zusammengestellt. Mit den aktuellen NEM hingegen werden allen Patienten dieselben Pilzbestandteile, Extrakte oder Pilzpulver verabreicht. Das »one-size-fits-all«-Kapselprodukt hat wenig mit der ursprünglichen Anwendung zu tun.

Eine Zielgruppe für Vitalpilze sind Krebspatienten. Die Produkte sollen auch bei Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Rheuma, Depressionen, Impotenz oder Allergien helfen. Die Evidenz für die Wirksamkeit von getrockneten Pilzen und Extrakten aus Pilzen ist jedoch dünn. Ein Beispiel ist der Glänzende Lackporling. G. lucidum ist als Ling Zhi oder Reishi bekannt. Ob G. lucidum allerdings tatsächlich der Reishi-Pilz ist, dem man seit 4000 Jahren magische Kräfte zuschreibt, ist unklar. Einzelne Humanstudien zeigen zwar günstige Effekte von bestimmten Extrakten oder extrahierten Fraktionen etwa auf den Blutdruck, die Serumcholesterinwerte oder die Blutglukosewerte von Diabetikern. Laut einem Cochrane-Review aus 2015 stützen die Ergebnisse aus einer kleinen Anzahl randomisierter kontrollierter Studien jedoch nicht, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes kardiovaskuläre Risikofaktoren mit G. lucidum behandeln sollten. In einem Cochrane-Review aus 2016 fanden Jin et al. keine Evidenz für die Anwendung bei Krebs. Es bleibe laut den Autoren ungewiss, ob G. lucidum dazu beitrage, das Überleben bei Krebs zu verlängern.

Der Schiefe Schillerporling wird als Chaga in der Volksmedizin gegen verschiedene Krankheiten, darunter Krebs, eingesetzt. Postulierte Wirkungen konnten an Zellkulturen und im Tierversuch zwar gezeigt werden, klinische Studien, die die mutmaßlichen Wirkungen belegen, liegen jedoch nicht vor. Pilze könnten sich auf die intestinale Mikrobiota positiv auswirken. Die im Darm vorhandenen Mikroorganismen beeinflussen unter anderem das Verdauungs- und das Immunsystem. Unverdauliche Polysaccharide aus Pilzen könnten als Präbiotika das Wachstum gesundheitsförderlicher Darmbakterien stimulieren. Bisher ist die Regulierung der Mikrobiota durch Pilze aber noch unzureichend erforscht. 

Inhalt im Fokus

Einige Forschungen beziehen sich auf bestimmte isolierte Inhaltsstoffe. Zu diesen Verbindungen gehören die Erinacine und Hericenone aus Hericium erinaceus, Cordycepin aus Ophiocordyceps sinensis sowie das Glucan Lentinan aus dem Shiitake-Pilz. H. erinaceus besticht durch sein ausgefallenes Aussehen. Daraus entstanden Bezeichnungen wie Affenkopfpilz, Löwenmähne oder Igel-Stachelbart. Interessant für die neurologische Gesundheit sind die aus der Löwenmähne extrahierten Verbindungen Erinacine und Hericenone. Sie stimulieren die Freisetzung von Nervenwachstumsfaktor (NGF) in Rattengehirnen und im Zellversuch. Möglicherweise könnte sich daraus ein Therapieansatz für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer ableiten lassen.

Cordycepin aus O. sinensi ist im Zell- und Tierversuch gut untersucht. Tiermodelle zeigen, dass gereinigtes Cordycepin zahlreiche potenzielle therapeutische Wirkungen hat. Darunter sind antineoplastische, analgetische, antiinflammatorische und neuroprotektive Effekte. Weiterhin wirkt sich die Substanz günstig auf Atemwegs- und Herzerkrankungen sowie auf Stoffwechselstörungen aus. Wie und ob Cordycepin im Menschen wirkt, müssen klinische Studien zeigen. Lentinan konnte als Adjuvans bei Mäusen, denen ein Impfstoff gegen Hepatitis B injiziert worden war, die Produktion von Antikörpern anregen. Im Zellversuch zeigte sich, dass Lentinan die Zellen des Immunsystems dazu bringen kann, Krebszellen und mit Viren infizierte Zellen anzugreifen. Aus Japan liegen einige Humanstudien vor, die lentinanhaltige Zubereitungen als adjuvante Krebstherapie untersuchen. Die Evidenz für die Wirksamkeit ist aber noch gering. Zu beachten ist, dass die Substanz bei oraler Einnahme nicht gut bioverfügbar ist.

Risiken und Nebenwirkungen

Die Wirkungen von einzelnen, isolierten Verbindungen lassen sich nicht zwangsläufig auf den Verzehr ganzer Fruchtkörper oder von Zubereitungen aus getrocknetem Pilzpulver übertragen. So lässt sich aus dem immunologischen Effekt, der auf die Injektion von Zellwandpolysacchariden aus L. edodes bei Mäusen erfolgt, nicht darauf schließen, dass ein Shiitake-Tee ebenso effektiv ist. Bislang liegen für die meisten Pilze vor allem in vitro und tierexperimentelle Studien vor. Professor Dr. Nicholas P. Money, Experte für Mykologie an der Fakultät für Biologie der Universität Miami, untersuchte verschiedene Heilpilze 2016 in einem Review. Sein Fazit ist ernüchternd: Es lasse sich bisher lediglich mit Sicherheit sagen, dass Extrakte aus Shiitake, Lingzhi und Co. Zellen in Gewebekulturversuchen stimulieren können.

Da die Hersteller von NEM keine Studien durchführen müssen, untersuchen sie in der Regel die von ihnen eingesetzten Extrakte und Pulver nicht systematisch. Nicht nur die Wirkungen sind daher ungewiss, sondern ebenso das Nebenwirkungsprofil. Dass die Anwendung nicht grundsätzlich unbedenklich ist, zeigen zum Beispiel Hautreaktionen durch Shiitake, bekannt als Shiitake-Dermatitis. Weiterhin ist die Reinheit der Pilzpulver zu bedenken. Eine mögliche Kontamination mit Schimmel oder Bakterien ist nicht auszuschließen. Produkte mit hochpreisigen Pilzen können mit Bestandteilen von billigeren Pilzen oder Füllstoffen gestreckt werden. Es muss also gerade bei Präparaten aus dem Internet nicht immer das darin sein, was deklariert ist. Bei Ling Zhi ist grundsätzlich zu hinterfragen, um welchen Pilz es sich im Einzelfall handelt, da verschiedene Arten unter diesem Namen verkauft werden.

Nicht belegte Heilversprechen entlarven

Bei manchen Produkten ist der Nutzen unklar, beispielsweise bei Kaffee, angereichert mit Pulver aus Vitalpilzen. Die Zubereitung basiert auf einer Grundlage aus gewöhnlichem Arabicakaffee. Es wird damit geworben, dass das Getränk anrege, aber nicht die negativen Aspekte von Kaffee mit sich bringe. Oft sind weitere Substanzen wie B-Vitamine oder Mineralstoffe wie Magnesium, Eisen und Zink enthalten. Diese Zusätze erlauben gesundheitsbezogene Aussagen, etwa bei Vitamin B12 und Magnesium, dass sie Müdigkeit reduzieren und gut für die Nervenfunktion sind. Welche Bedeutung der Pilzextrakt genau im Produkt hat, bleibt für den Verbraucher indes unklar.

Heilversprechen verbreiten viele Unternehmen ohnehin nicht direkt, sondern stattdessen unterschwellig im Internet etwa durch Influencer-Marketing. Vor allem junge Verbraucher informieren sich häufig auf sozialen Medien wie Instagram und Tiktok können dadurch Vitalpilze für Heilmittel halten, die ihnen bei Krankheiten helfen. Hier kann die Apotheke mit Aufklärung und Beratung punkten. Schließlich gilt immer noch, dass Patienten im Krankheitsfall am besten auf bewährte Arzneimittel mit nachgewiesener Wirksamkeit und Sicherheit vertrauen und nicht auf vermeintliche pilzliche Wundermittel aus Fernost. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwar eine Reihe Studien mit Heilpilzen vorliegt. Darin werden jedoch verschiedene Pilze, Pilzzubereitungen oder extrahierte Stoffe in unterschiedlichen Dosierungen und Darreichungsformen untersucht. Vergleiche und allgemeingültige Aussagen über Wirkung und Sicherheit der Pilze sind schwierig.

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