Oberstübchen auf dem Prüfstand |
Einen IQ von über 130 und damit eine Hochbegabung haben lediglich zwei Prozent der Bevölkerung. / Foto: Adobe Stock/appledesign
Intelligenz fasziniert Wissenschaftler schon immer. Pathologen entnahmen das Gehirn aus Carl Friedrich Gauß' (1777 bis 1855) oder Albert Einsteins (1879 bis 1955) Kopf, fertigten Schnitte an und untersuchten ihre Präparate mikroskopisch. Allerdings gelang es ihnen nicht, herauszufinden, welche anatomischen Strukturen berühmte Persönlichkeiten von Durchschnittsbürgern unterscheiden. Bis heute ist nicht genau bekannt, was Intelligenz eigentlich ausmacht. Es gibt aber Methoden, diese Eigenschaft zu bestimmen.
In der modernen Forschung definierte Wilhelm Wundt (1832 bis 1920) Intelligenz als »Gesamtheit der bewussten und im logischen Denken ihren Abschluss findenden Geistestätigkeiten«. Er war Psychologieprofessor in Leipzig. Sein französischer Kollege Alfred Binet (1857 bis 1911) entwickelte den weltweit ersten Intelligenztest. Seine Zielsetzung war, Schüler mit niedriger Begabung rasch zu identifizieren und zu fördern. Seine Tests gaben das Intelligenzalter an. Schaffte ein durchschnittlicher Zehnjähriger noch Aufgaben für Elfjährige, war sein Intelligenzalter höher.
William Stern (1871 bis 1938), ein deutscher Psychologe, schlug 1912 eine von Binet abweichende Berechnung vor. Er teilte das Intelligenzalter durch das Lebensalter und multiplizierte sein Ergebnis mit 100. Er schuf die Basis für den heute noch gültigen Intelligenzquotienten.
Nach Binet befassten sich weitere Psychologen mit der Thematik. Ein heute noch gebräuchlicher IQ-Test geht auf den US-Psychologen David Wechsler (1896 bis 1981) zurück. Er entwickelte nach langjähriger Forschung die Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS) als Test für Erwachsene. Kritik daran blieb nicht aus. Anders als beispielsweise die Bestimmung von Erythrozyten oder Leukozyten in einer Blutprobe ist jeder psychologische Test mit Fehlern behaftet. Intelligenz lässt sich nicht absolut bestimmen.
Mittlerweile gibt es Dutzende Tests, die sich vor allem in ihrer Methodik unterscheiden. Exemplarisch sollen zwei häufig eingesetzte Tools vorgestellt werden. Der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE) ist als deutschsprachige Version des WAIS recht populär. Er umfasst Aufgabengruppen zum Sprachverständnis (wie allgemeines Wissen, Wortschatz), zum an die Wahrnehmung gebundenen logischen Denken (Mosaike erkennen oder Formen ergänzen), zum Arbeitsgedächtnis (Buchstaben-Zahlen-Folgen merken, Zahlen nachsprechen) sowie zur Verarbeitungsgeschwindigkeit (Symbolsuche, Zahlen-Symbol-Test).
Speziell für den Altersbereich zwischen sechs und 16 Jahren wurde der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK) entwickelt. Er basiert auf altersgerechten Adaptionen des ursprünglichen Verfahrens für Erwachsene. Dazu gehören bei der Version HAWIK-III Untertests zum allgemeinen Wissen, zum Wortschatz, zum Ergänzen oder Gruppieren von Bildern, zum Legen von Figuren sowie zum allgemeinen beziehungsweise zum rechnerischen Denken. Zahlen-Symbol-, Mosaik- und Labyrinth-Tests kommen mit hinzu.
Im Bevölkerungsdurchschnitt haben 68 Prozent aller Menschen einen mittleren IQ zwischen 85 und 115 Punkten. Darunter liegen Patienten mit kognitiven Defiziten. Ab 130 Punkten beginnt der Bereich der Hochbegabung.
Genau hier liegt eine Möglichkeit, IQ-Tests zu verwenden. Während es zu Binets Zeiten darum ging, Schüler mit niedriger Intelligenz zu erkennen, identifizieren Psychologen heute Kinder mit Hochbegabung. Mit einem IQ von über 130 gehören sie zu den klügsten zwei Prozent der Bevölkerung. Erste Prognosen sind schon mit fünf bis sechs Jahren möglich. Das eröffnet Möglichkeiten zur gezielten Förderung. Erst ab 14 bis 15 Jahren bleibt der IQ jedoch stabil. Zeigen sich dann noch Schwankungen, und lassen sich Fehler ausschließen, spricht viel für neurologische oder psychiatrische Erkrankungen.
Vor Klischees sei an dieser Stelle gewarnt: Menschen mit Hochbegabung haben nach aktuellem Stand der Forschung keine anderen Denkstrukturen. Bei ihnen laufen solche Vorgänge jedoch schneller und effizienter ab, verglichen mit Durchschnittsbürgern. Einseitige Fähigkeiten treten äußerst selten auf. Sie sind eher als »Inselbegabungen« bei Autismus bekannt.
Der IQ eignet sich auch, um langfristige Trends zu untersuchen. In der wissenschaftlichen Literatur findet man zahlreiche Veröffentlichungen zu den Ergebnissen von Intelligenztests. Bei der Auswertung von Statistiken fielen James Robert Flynn, einem US-amerikanischen Forscher, Besonderheiten auf. Er beobachtete anhand von Ergebnissen aus 14 Industrienationen, dass IQ-Werte pro Generation um fünf bis 25 Punkte ansteigen. Solche Trends setzen sich auch kurzfristig fort. Flynn nennt für die USA etwa 0,3 Punkte pro Jahr. Sein amerikanischer Kollege Joseph Rodgers bestätigte dies anhand von Schülern: Jugendliche des Jahrgangs 1989 schnitten bei Tests in der Tat besser ab als ihre 1988 geborenen Mitschüler – trotz des geringen Unterschieds im Alter.
Wie es zu diesem sogenannten Flynn-Effekt kommt, ist unbekannt. Wissenschaftler sehen mögliche Erklärungen im besseren Zugang zu Bildung, in der steigenden medizinischen Versorgung, aber auch in genetischen und epigenetischen Effekten. Andere Experten zweifeln an einem echten IQ-Zuwachs, etwa der US-Psychologe Ainsley Mitchum. Er sieht den Flynn-Effekt eher als Folge einer komplexer werdenden Lebenswelt. Bei US-Studien mit dem WAIS fällt auf, dass sich der Zuwachs vor allem auf zwei Untertests zum abstrakten Denken zurückführen lässt. Der eine behandelt Gemeinsamkeiten in Bildern, der andere strukturell verwandte geometrische Muster. Diese Komponente ist von kulturell erlernten Eigenschaften, etwa dem Wortschatz, unabhängig. Alle anderen Untergruppen in Tests blieben mehr oder minder konstant. Mitchum erklärt, Abstraktion habe als Fähigkeit in den letzten Jahrzehnten immens an Bedeutung gewonnen.
Die besten Beispiele liefern moderne Gerätschaften. Telefone sind etwa nicht nur zum Sprechen da. Sie machen Aufnahmen, führen Kalender, spielen Musik ab oder vieles mehr. Und die Generation der Urgroßeltern hätte mit Buttons sicher keine Schaltflächen digitaler Geräte in Verbindung gebracht. Deshalb schlussfolgert der US-Experte, dass sich an Gehirnen selbst nichts verändert habe.
Derart akademische Diskussionen bringen im Alltag wenig. Viele Menschen wünschen sich, per Sudoku oder Kreuzworträtsel ihren IQ zu erhöhen. Und Susanne Jäggi von der University of Michigan behauptete 2008, ein Computertraining entwickelt zu haben, um bei Studienteilnehmern die Intelligenz zu erhöhen.
Neurobiologen konnten alle Ergebnisse bei kritischen Überprüfungen nicht reproduzieren. Sie wissen heute, dass bei Erwachsenen die sogenannte fluide Intelligenz konstant bleibt. Darunter versteht man die Fähigkeit, Informationen schnell und flexibel zu verarbeiten. In jungen Jahren führt gute Bildung in dem Bereich sehr wohl zu einem Gewinn. Unsere intellektuellen Leistungsfähigkeiten wachsen im Kindes- und Jugendalter schnell. Ab dem 20. Lebensjahr haben wir jedoch alle Potenziale dieses Bereichs voll ausgeschöpft. Das heißt, der IQ bleibt über lange Perioden hinweg stabil.
Wer danach beispielsweise Kreuzworträtsel trainiert, wird noch lange kein Meister im Lösen von Sudokus werden, es gibt eben keinen Transfereffekt. Für neues Wissen und neue Fertigkeiten ist es aber nie zu spät. Auch im Alter lernen Menschen eine neue Sprache oder beginnen vielleicht, ein Instrument zu spielen. Dieser Bereich wird von Experten »kristalline Intelligenz« genannt. Wer hier fleißig ist, kann dem alterstypischen Verlust an fluider Intelligenz auch entgegenwirken.
Vor diesem Hintergrund bleibt als Frage, ob sich IQ-Tests auch eignen, um Aussagen über Demenzen zu treffen. Dieser Frage ging Laura Pauli aus Erlangen im Rahmen einer Studie nach. Sie rekrutierte 129 Frauen und 124 Männer im Alter von 60 bis 91 Jahren. Alle Studienteilnehmer lebten selbstständig und hatten keine bekannte Demenzdiagnose. Pauli arbeitete mit dem Syndrom-Kurz-Test (SKT), einem bekannten Score zur Früherkennung und Verlaufskontrolle von Demenz-Syndromen. Er besteht aus drei Untertests für die Gedächtnisleistung und zur Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Anhand ihrer SKT-Werte wurden Teilnehmer in die Gruppen »unauffällig« und »leicht auffällig« eingeteilt.
Gleichzeitig kam der WAIS zum Einsatz, und zwar in der aktuellsten Version (WAIS-IV). Tatsächlich gab es Zusammenhänge zwischen den Gesamtpunkten im SKT und verschiedenen Untergruppen im WAIS. Betroffen waren vor allem die Verarbeitungsgeschwindigkeit, das Arbeitsgedächtnis und das wahrnehmungsbezogene logische Denken. Die kristalline Intelligenz gilt als sehr stabil. Senioren mit fortgeschrittener Demenz erinnern sich oft noch detailliert an Episoden aus ihrer Jugend, wissen aber nicht, was es zum Frühstück gegeben hat.
Den zahlreichen Einsatzmöglichkeiten von Intelligenztests stehen etliche Kritikpunkte gegenüber. Alle Skalen stehen in einem kulturellen Zusammenhang. Was in Europa oder in den USA funktioniert, gilt noch lange nicht für Afrika oder Asien. Hinzu kommt, dass sich IQ-Tests trainieren lassen. Wiederholungen führten zu einem Gewinn von fünf bis neun IQ-Punkten. Auch die emotionale Intelligenz findet bei klassischen Verfahren keine Beachtung.