Ohne Schlafdruck geht es nicht |
Schlaf ist ein Grundbedürfnis. Wer nicht genug bekommt, leidet meist sehr darunter. / Foto: Adobe Stock/fizkes
Rund ein Drittel unseres Lebens verschlafen wir. Je nach Alter sind es pro Tag ein paar Stunden länger oder kürzer. Tatsächlich ist das Schlafbedürfnis von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Mindestens sieben Stunden pro Tag sollten es aber sein. Das empfiehlt seit 2015 die American Academy of Sleep Medicine and Sleep Research Society in ihrem Konsensuspapier. Schlafen wir weniger, sind wir unkonzentriert, gereizt, müde und schlapp. Sogar unser Immunsystem reagiert prompt: In einer Studie führte nur eine einzige Nacht mit vier Stunden Schlaf zu 70 Prozent weniger Killerzellen. Kein Wunder, dass chronischer Schlafmangel mit Übergewicht, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Schlaganfall, Diabetes und vielem mehr assoziiert wird.
Denn Schlaf ist ein Grundbedürfnis und absolut überlebensnotwendig. Er verläuft in unterschiedlichen Stadien, die sich im Laufe einer Nacht wiederholen und mehrfach durchlaufen werden. Im Schlaflabor messen Ärzte die Hirnströme mittels Elektroenzephalografie (EEG) und können die Stadien anhand charakteristischer Muster unterscheiden. Schließen wir im entspannten Zustand die Augen und dösen, gleiten wir zunächst in das sogenannte Schlafstadium S1. In dieser Phase zucken gerne die Augenlider oder auch ein Arm oder Bein können heftig zucken. Da die Schlafphase noch sehr instabil ist, zählt erst das Schlafstadium S2 als »richtiges« Schlafen. Anschließend vertieft sich der Schlaf immer weiter und wir gleiten in die Tiefschlafphasen S3 und S4. Die Weckschwelle ist hoch und wir nehmen unsere Umwelt kaum wahr. Im EEG dominieren charakteristische Delta-Wellen, deshalb ist auch vom Delta-Schlaf beziehungsweise Slow-Wave-Sleep die Rede. Der sogenannte REM (Rapid-Eye-Movement)-Schlaf schließt den Schlafzyklus ab. Hier unterscheiden sich die gemessenen Hirnströme kaum vom wachen Zustand. Da die quergestreifte Muskulatur völlig gelähmt ist, liegen wir regungslos im Bett. Lediglich die Augen bewegen sich immer wieder sekundenlang rasch hin- und her. Daher hat der REM-Schlaf seinen Namen.
Die genaue Steuerung des Schlafes ist sehr komplex und wird gemeinsam durch die Schlaf-/Wachzeit-Homöostase, also den entstehenden Schlafdruck, sowie die Zirkadianrhythmik reguliert. Mit der inneren Uhr als Taktgeber ist unser Grundrhythmus auf eine Periodik von ungefähr einem Tag synchronisiert.
Die »Masterclock« sitzt im Hypothalamus und synchronisiert den endogenen Rhythmus mit Reizen von außen. Dafür erhält er Informationen über Licht und Dunkelheit von den Augen. Die Rückkopplung erfolgt über Melatonin zu einem GABAergen Kerngebiet im Hypothalamus (VLPO), das als Hauptschalter des Schlafes angesehen wird. Er interagiert mit allen erregenden Systemen (dopaminerg, cholinerg, adrenerg, serotonerg, histaminerg und orexinerg) und kann diese hemmen. Damit ist dieses Hirnareal besonders wichtig für die Initiation des Schlafes und den Tiefschlaf.
Adenosin wirkt als sogenannte »Schlafsubstanz«: Sie aktiviert diese Region und löst als neuronales Signalmolekül Müdigkeit aus. Während des Tages und bei Anstrengung reichert sich Adenosin an, sodass der Schlafdruck zunimmt. Je höher die Konzentration, desto höher wird der Schlafdrang. Neben der Müdigkeit spielen weitere Faktoren wie die Nahrungszufuhr oder Hirntemperatur (Fieber!) ebenfalls eine Rolle. Im Schlaf wird Adenosin dann rasch abgebaut und wir erholen uns. Die Regulation des Tiefschlafes ist also eher homöostatischer Natur.
Wäre Schlaf nur durch Schlafdrang gesteuert, wären wir zwar nach dem Aufwachen fit und ausgeschlafen. Dann würde die Müdigkeit jedoch kontinuierlich zunehmen und wir würden wohl mehrfach täglich zwischen Schlaf und Wachsein pendeln. Erst durch das Zusammenspiel aus Schlafdruck und circadianem Rhythmus entsteht unser klassischer Schlaf-Wach-Rhythmus mit konsolidierter Schlafphase.
Bei Verschiebungen, wie etwa nach einem Langstreckenflug, passen wir uns scheinbar rasch an. Vegetative Funktionen wie der circadiane Rhythmus der Körpertemperatur brauchen jedoch wesentlich länger zur Resynchronisierung und bedingen einen vorübergehenden Leistungsknick. Als Faustregel gilt ein Tag Anpassung pro Stunde Zeitzonen-Wechsel.
Üblicherweise dauert ein Schlafzyklus aus Nicht-REM-Schlaf (NREM) und REM-Schlaf etwa 1,5 Stunden und wiederholt sich vier oder fünf Mal. Der allererste Tiefschlaf ist der längste und verkürzt sich im weiteren Verlauf zunehmend. Genau entgegengesetzt nehmen die REM-Phasen zu und steigern sich von etwa 5 bis 10 Minuten auf bis zu 30 Minuten.
Die ersten zwei bis drei Schlafzyklen sind essenziell und heißen Kernschlaf. Er ist das absolute Mindestmaß, den der Körper braucht. Im Gegensatz dazu dürfen selbst mehrere Tage hintereinander zwei bis drei Stunden vom Optional- oder Füllschlaf fehlen, ohne dass wir ernste Auswirkungen spüren. Natürlich nimmt die Aufmerksamkeit ab und auch beispielsweise das Unfallrisiko steigt. Studien zufolge verhalten wir uns sogar risikoreicher, ohne dass wir das bemerken.
Aber unser Körper ist ein Meister der Kompensation: Akuter Schlafmangel sowie eine lange Wachperiode erhöhen kompensatorisch den Tiefschlafanteil. In gewissem Maß kann ein Schlafdefizit von werktags übrigens auch am Wochenende nachgeholt werden. Allerdings ist im Sinne der Schlafhygiene eine regelmäßige Bettzeit wichtig. Mehr als neun Stunden Schlaf sollen es nur in Ausnahmefällen sein, etwa wenn wir einen Infekt ausbrüten.
Insbesondere im Tiefschlaf regeneriert der Körper und baut neben Adenosin beispielsweise auch Tau-Protein im Gehirn ab. Dessen Ablagerungen gelten als zentrales Kennzeichen von Morbus Alzheimer, sodass ein Zusammenhang zwischen Schlafstörungen im Alter und degenerativen Erkrankungen denkbar ist. Außerdem werden zu Beginn der Tiefschlafphase Wachstumshormone ausgeschüttet und Cortisol sowie ACTH gehemmt. Extremer Stress kann Schlafstörungen auslösen und dadurch nicht nur das Wachstum bei Kindern stören, sondern wirkt sich auch negativ auf Lernen und kognitive Fähigkeiten aus. Denn bei Schlafmangel hapert es nicht nur an der Konzentration, sondern ebenso an der Konsolidierung und Integration des Gelernten.
Während des REM-Schlafs träumen wir intensiv und emotional. Sein Anteil weist eine enge Beziehung zum Essen auf: Adipöse Personen haben einen höheren REM-Anteil, während Fasten und Hungern REM-Schlaf unterdrückt. Scheinbar maximiert der Körper bei Nahrungsknappheit mit möglichst wenig Schlaf die Möglichkeit zur Nahrungssuche. Umgekehrt essen wir tendenziell weniger, wenn wir einen hohen Anteil REM-Schlaf haben. Wir erinnern uns: Schlafmangel macht dick und ist mit Adipositas assoziiert.
Im Laufe des Lebens verändert sich nicht nur die Schlafdauer, sondern auch die Schlafarchitektur. Neugeborene schlafen bis zu 16 Stunden täglich, wobei der REM-Schlaf davon bis zu 50 Prozent einnimmt. Das ändert sich rasch und pendelt sich auf einen Anteil von rund 20 Prozent ein. Erwachsene haben durchschnittlich einen Schlafbedarf von sieben bis acht Stunden.
Im Alter sinkt das Schlafbedürfnis: Bei älteren Menschen nehmen zusätzlich die Länge des Tiefschlafs und die Dauer des ununterbrochenen Schlafs ab. Zwei Drittel der Senioren benötigen länger zum Einschlafen als früher und erwachen mehrmals pro Nacht. Auch wenn sie nachts die Blase entleeren, danach aber rasch wieder einschlafen, ist das keine Schlafstörung. In diesem Fall können Schlafmittel sogar die Sturzgefahr erhöhen und zum Problem werden. Denn viele Stürze passieren nachts auf dem Weg zum WC. Kurzum: Senioren schlafen weniger tief und haben eine erniedrigte Weckschwelle, liegen also länger im Bett für weniger Schlaf. Das ist nicht krankhaft, sondern ein altersgerechtes Schlafprofil.
Doch ab wann ist gestörter Schlaf tatsächlich ein Problem? Kurz gesagt immer dann, wenn Patienten sich tagsüber nicht erholt fühlen und Leidensdruck besteht. Ärzte unterscheiden Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Sie können primär sein oder als sekundäre Schlafstörung durch andere Erkrankungen hervorgerufen werden, wie beispielsweise das Restless-Legs-Syndrom. Die Beschwerden treten vor allem abends und in Ruhe auf und stören sowohl Einschlafen als auch den Tiefschlaf. Ärzten stehen von Eisensupplementierung über L-Dopa bis hin zu Opioiden und Antikonvulsiva verschiedene Medikamente in der Therapie zur Verfügung, während Sedativa nur selten eingesetzt werden.
Neben psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen steckt auch das Schlafapnoe-Syndrom gar nicht so selten hinter Schlafstörungen. Betroffene fühlen sich tagsüber müde und wenig leistungsfähig, während Bettpartnern oft ein lautes, unregelmäßiges Schnarchen auffällt. Bei Schlafapnoe treten Atempausen von mehr als zehn Sekunden auf. In über 90 Prozent werden sie durch einen Kollaps der Schlundmuskulatur ausgelöst. Es kommt dabei zur Obstruktion der oberen Atemwege durch nachlassenden Muskeltonus während des Schlafens.
Adipositas ist ein eigenständiger Risikofaktor für eine Schlafapnoe. Diabetiker, Patienten mit Vorhofflimmern und schwer einstellbare Hypertoniker sind besonders gefährdet. Klagen sie in der Apotheke über Schnarchen, sollte eine Abklärung durch den Arzt erfolgen. Basistherapie der Schlafapnoe ist die Normalisierung des Körpergewichts und natürlich der Verzicht auf Alkohol, Nikotin und apnoe-verstärkende Medikamente wie Schlafmittel. In schweren Fällen ist das Tragen einer Überdruckmaske für die Nacht erforderlich, um den Kollaps der oberen Atemwege zu verhindern. Dadurch sinkt das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall sowie Unfälle erheblich.
Bei der kardiorespiratorischen Polygrafie erhalten Patienten ein tragbares Gerät, das in der Nacht Atmung und Schnarchen, EKG und Sauerstoffsättigung aufzeichnet. Zusätzlich werden die Atembewegungen sowie die Körperlage erfasst. Die Untersuchung ist wegweisend, um schlafbezogene Atmungsstörungen wie Atempausen festzustellen, oder dient zur Kontrolle der Apnoetherapie mittels Überdrückmaske. Da die Untersuchung bequem zu Hause erfolgt, heißt sie auch »kleines Schlaflabor«.
Im Gegensatz dazu findet die Polysomnografie in speziell eingerichteten Schlaflaboren statt. Hierbei werden unter anderem zusätzlich die Hirnströme gemessen und Muskel- und Augenbewegungen aufgezeichnet. Das genaue Schlafprofil sowie die Untersuchung der Schlafarchitektur ermöglichen eine genaue Differenzialdiagnose spezieller Schlafstörungen.
Abends allzu lange vor dem Bildschirm zu sitzen, stört die Schlafhygiene. / Foto: Getty Images/tommaso79
Manchmal stecken Arzneimittel hinter Schlafstörungen, wie etwa orale Kontrazeptiva, anregende Antidepressiva (SSRI) oder Theophyllin. Wirkstoffe wie Citalopram werden daher üblicherweise morgens eingenommen. Gyrasehemmer führen als Nebenwirkung ebenfalls zu Insomnie, hier ist die Therapiedauer aber überschaubar. Da Betablocker und Alpha-Rezeptoragonisten wie Clonidin und Moxonidin die Melatonin-Bildung in der Zirbeldrüse hemmen, können sie ebenfalls den Schlaf beeinträchtigen. Nicht länger als 15 Minuten sollte die sogenannte Latenzphase dauern, also die Zeit vom wachen Zustand in die Schlafphase S2. Melatonin als freiverkäufliches Präparat kann die Einschlafdauer verkürzen. Einen Einfluss auf Durchschlafen hat die Anwendung nicht.
Bevor Betroffene jedoch zu Schlafmitteln greifen, sollten sie zuerst kritisch ihre Schlafhygiene unter die Lupe nehmen. Helles Licht wirkt am stärksten auf den Tag-Nacht-Rhythmus und hemmt die Melatonin-Ausschüttung. Bis spät abends vor dem Bildschirm oder Fernseher zu sitzen, ist daher keine gute Idee. Wird dann auch noch ein Krimi angesehen oder eine hitzige Diskussion geführt, kann das Einschlafen schwerfallen. Das gilt ebenso für Sport spätabends. Im Idealfall ist das Schlafzimmer eher zu kühl als zu warm. Da Koffein als Adenosin-Antagonist wirkt, sollte nachmittags auf Kaffee, Cola oder schwarzen Tee verzichtet werden. Alkohol und Nikotin sind besser ganz tabu.
Nach einem Glas Wein oder Bier am Abend klappt das Einschlafen meist ratzfatz. Tatsächlich bewirkt Alkohol bei Gesunden eine verstärkte Hemmung durch GABA-Rezeptoren sowie die Hemmung bestimmter NMDA-Rezeptoren. Zahlreiche weitere Effekte sind möglich, da Alkohol alle Neurotransmitter beeinflussen kann, die den Schlaf-Wach-Rhythmus steuern. Bei Gesunden verbessert das zunächst die Schlafeffizienz: Einschlafzeit und REM-Schlaf nehmen ab, der NREM-Schlaf wie Tiefschlaf nimmt zu. Diese Effekte betreffen typischerweise jedoch nur die ersten Stunden, während mit Absinken des Pegels die totale Schlafzeit abnimmt und sich der REM-Anteil wieder erhöht. Betroffene wachen häufiger auf, schlafen deutlich oberflächlicher und werden nicht selten von (Alb-)Träumen oder Herzrasen, Magenbeschwerden, Schwitzen oder Harndrang geplagt. Bei häufigem Konsum bedingt die Toleranzwirkung langfristig einen Wirkverlust, sodass beim Absetzen sogar eine ausgeprägte alkoholinduzierte Schlafstörung droht. Ärzte sprechen von »Rebound-Insomnie«, die Patienten zum erneuten Konsum zwingt. Als Schlafmittel ist Alkohol deshalb weder kurz- noch langfristig geeignet.
Auch Mittagsschlaf ist hinderlich. »Vielmehr ist es wichtig, ausreichend Bedürfnis nach Schlaf (Schlafdruck) über die Wachdauer (also die Dauer des Wachseins) aufzubauen, indem man die Bettzeit kontrolliert beziehungsweise kurzhält – das ist meines Erachtens die wirksamste Maßnahme für einen gesunden Schlaf«, erklärt Professor Dr. Christoph Nissen, Leiter des Referats »Schlafmedizin« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in einer Pressemitteilung (www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org).
»Wenn man nach einer nächtlichen Schlafdauer von circa fünfeinhalb oder sechs Stunden wach wird, sollte man – anstatt immer wieder auf den Wecker zu schauen, sich herumzuwälzen, zu grübeln und die Gedanken sinnlos kreisen zu lassen – lieber einfach aufstehen und akzeptieren, dass gelegentliches Wachliegen oder Schwankungen in der Schlafdauer ganz normal sind.« Die beste Intervention für Ein- und Durchschlafstörungen ist seiner Meinung nach, die Bettzeit auf die erlebte Schlafdauer zu reduzieren und so Schlafdruck aufzubauen. Durch positive Konditionierung werde so das Bett nicht mit Frust und Ärger über den schlechten Schlaf verknüpft, sondern mit einem Platz für Ruhe und Erholung.
Patienten sollten außerdem ihre individuelle Neigung als »Eule« beziehungsweise »Lerche« herausfinden und ihren Alltag daran anpassen. Dabei ist Regelmäßigkeit entscheidend. Stehen »Lerchen« gerne früh auf und gehen früh ins Bett, sollten sie dies auch am Wochenende beibehalten. »Strenge Verhaltensvorgaben, wie eine optimale Schlafdauer oder ein optimales Schlafklima zu erzielen sind, sollte man nicht überbewerten«, meint Nissen. Üblicherweise seien die genannten Basismaßnahmen ausreichend, nämlich Schlafdruck aufbauen, Bettzeit kontrollieren sowie einen regelmäßigen Rhythmus beibehalten und die individuellen Neigungen akzeptieren. Verursachen chronische Schlafstörungen Leidensdruck und treten mehr als dreimal pro Woche über drei Monate auf, müssen sie gründlich abgeklärt werden.