Organe altern unterschiedlich |
Gleicher Jahrgang, unterschiedlich alt – das gilt nicht nur für Menschen untereinander, sondern auch für die Organe jedes Einzelnen. / Foto: Adobe Stock/Monkey Business
Jeder Mensch altert. Die Geschwindigkeit, in der der Alterungsprozess vonstatten geht, kann individuell jedoch sehr unterschiedlich ausfallen. Optisch gut erfassbar ist das bei Klassentreffen, wenn ganze Jahrgänge zusammenkommen. Wissenschaftlich messbar wird der Alterungsprozess des Körpers, indem das biologische Alter bestimmt wird. Biomarker wie die Länge der Telomere, bestimmte Proteine und Entzündungsmarker, der Cholesterolwert und der Blutdruck, das Seh- und Hörvermögen sowie die Gelenkbeweglichkeit ermöglichen inzwischen sehr genaue Rückschlüsse auf den Zustand, in dem der Körper sich befindet.
Dass es noch genauer geht, konnten Wissenschaftler um Hamilton Se-Hwee Oh vom Wu Tsai Neurosciences Institute an der Stanford University in Kalifornien zeigen. In einer Ende 2023 im Wissenschaftsjournal »Nature« veröffentlichten Studie konnte das Team nachweisen, dass nicht nur das chronologische und biologische Alter eines Menschen deutlich voneinander abweichen können, auch das biologische Alter einzelner Organe entspricht nicht zwingend dem der anderen Organe oder dem chronologischen Alter des Menschen, zu dem sie gehören.
Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, haben sich die Forscher angesehen, welche Proteine in Herz, Fettgewebe, Lunge, Immunsystem, Nieren, Leber, Muskeln, Bauchspeicheldrüse, Gehirn, Blutgefäßen und Darm besonders aktiv sind und in welcher Konzentration sie im Blut von Probanden unterschiedlichen Alters auftreten. Den Wissenschaftlern gelang es dadurch, typische Proteinmuster einzelner Organe in verschiedenen Altersstufen zu identifizieren. In Folge entwickelten sie einen Algorithmus, mit dem das biologische Alter einzelner Organe anhand von Blutproben ermittelt werden kann.
Für die Wissenschaftler selbst war überraschend, dass keiner ihrer Studienteilnehmer Krankheitssymptome oder auffällige Biomarker im Blut aufwies. Dennoch identifizierten sie bei fast 20 Prozent der 5600 Probanden ein vorzeitig gealtertes Organ. Bei knapp 2 Prozent waren mehrere Organe von einem zu schnellen Altern betroffen. Im Juni hat das Team um Hamilton Se-Hwee Oh weitere Daten in einer Preprint-Studie veröffentlicht, in der sie die Zahl der Studienteilnehmer deutlich ausgeweitet haben.
Untersucht wurden die Blutproben von rund 44.500 Menschen zwischen 40 und 70 Jahren. Nur 27 Prozent der Studienteilnehmer zeigten eine dem chronologischen Alter entsprechende gleichmäßige Organalterung. Alle anderen wiesen zumindest ein vorzeitig gealtertes oder jünger gebliebenes Organ auf. Auch Mischtypen mit schneller sowie langsamer alternden Organen sind verbreitet.
In ihrer Folgestudie konnten die Wissenschaftler zudem Unterschiede zwischen den Alterungsprozessen von Männern und Frauen ausmachen. Während bei Männern die vorzeitige Organalterung besonders häufig die Nieren, den Darm oder das Immunsystem betrifft, sind es bei Frauen das Fettgewebe, die Arterien oder das Herz. Zudem zeigen die Daten, dass die vorzeitige Alterung eines Organs ohne weiteres Zutun von außen über Jahre hinweg stabil zu bleiben scheint.
Altert ein Organ schneller als der Rest des Körpers, besteht ein erhöhtes Risiko für eine Erkrankung dieses Organs. Die Wissenschaftler der Stanford University haben sich deshalb den Gesundheitszustand ihrer Probanden 15 Jahre nach der Blutanalyse angesehen. Demzufolge haben Menschen mit einer vorzeitig gealterten Niere ein höheres Risiko, einen Bluthochdruck oder einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Eine vorzeitig gealterte Lunge begünstigt die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD).
Menschen mit einem vorgealterten Herzen haben ein stark erhöhtes Risiko für eine Herzinsuffizienz und ein 2,5-mal größeres Risiko, ein Herzversagen zu erleiden, als Menschen mit einem Herzalter, das ihrem Alter entspricht. Ein schnell alterndes Herz war zudem ein Risikofaktor für einen Herzinfarkt. Altert das Gehirn schneller, steigt das Risiko, innerhalb der kommenden fünf Jahre Gedächtnisprobleme zu bekommen, auf das annähernd Doppelte. Das Risiko für Alzheimer ist 3,4-mal höher.
In den Preprint-Daten ist es Hamilton Se-Hwee Oh und seinen Kollegen gelungen, auch Menschen mit besonders jung gebliebenen Organen zu identifizieren. Wenig überraschend konnten sie bei ihnen einen gewissen Schutz vor bestimmten Erkrankungen nachweisen. So ist das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, um 81 Prozent reduziert, wenn das Gehirn jünger als das chronologische Alter ist. Auch andere Demenzerkrankungen treten seltener auf. Ein jung gebliebenes Immunsystem wirkt als Schutzfaktor vor Diabetes und Herzerkrankungen. Studienteilnehmer mit zwei bis vier langsam alternden Organen, entwickelten seltener chronische Nierenerkrankungen oder COPD.
Allerdings scheint es einen Punkt zu geben, an dem sich dieser Schutzfaktor umkehrt. So hatten Studienteilnehmer mit fünf bis sieben jünger gebliebenen Organen wieder ein erhöhtes Risiko, einen Diabetes oder eine Parkinson-Erkrankung zu entwickeln.
Auch das Sterberisiko ist mit jungen Organen nicht zwingend geringer. Lediglich Menschen mit jungen Gehirnen oder Immunsystemen hatten ein signifikant reduziertes Sterberisiko im Vergleich zu normal gealterten Menschen. Bei allen anderen Organen gab es keinen Unterschied. Warum Menschen mit jungen Organen nicht besser geschützt sind, ist unklar. Im Hinblick auf Gehirn und Immunsystem vermuten die Wissenschaftler, dass diese die zentralen Regulatoren der Lebensspanne von Menschen sein könnten. Ähnliches ist von Würmern, Fliegen und Mäusen, den Modellorganismen der Alternsforschung, bekannt.
Ziel der Stanford-Wissenschaftler ist es, ihren Bluttest zur Praxisreife zu bringen. Für die Medizin würde das einen enormen Handlungsspielraum im Hinblick auf organspezifische Prävention eröffnen. Aktuell lassen sich Organalterungen erst erkennen, wenn deutliche Veränderungen oder irreversible Schäden vorliegen. Erfolgt die Identifizierung eines schnell alternden Organs, bevor der Alterungsprozess Spuren hinterlässt, könnte dieser durch gezielte Lebensstiländerungen oder Therapien gestoppt werden, bevor Krankheiten entstehen. Für die Zukunft hoffen die Forscher, Zielstrukturen für neue Medikamente zu finden, mit denen ein Organ wieder in einen jüngeren, funktionsfähigeren Zustand versetzt werden kann.
Für den Menschen könnte die organspezifische Vorsorge der Schlüssel zu einem Leben bei möglichst langer guter Gesundheit sein. Bis es jedoch so weit ist, bleibt nichts anderes übrig, als die derzeit bekannten Maßnahmen zur Altersprävention umzusetzen. Dazu zählt, Nikotin zu vermeiden und einen umsichtigen Umgang mit Alkohol zu pflegen. Laut dem Alkoholatlas des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) gelten ein Glas Bier oder 0,15 Liter Wein täglich bei Frauen als medizinisch riskanter Konsum, für Männer gilt die doppelte Menge. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) nennt mittlerweile gar keine tolerable Dosis mehr, weil Alkohol in jeder Menge als Gift wirkt.
Eine ausgewogene, niedrigkalorische Ernährung ist wesentlicher Bestandteil für eine gute Gesundheit. Moderater Ausdauersport aktiviert das Immunsystem, unterstützt beim Stressabbau, stärkt die Muskulatur und fördert die Versorgung der Haut mit wichtigen Nährstoffen. Das Meiden von UV-Strahlung wirkt der Hautalterung entgegen, eine positive Lebenseinstellung erhöht die Chance, ein hohes Alter zu erreichen. Eine gute Motivation bei der Umsetzung all dieser Maßnahmen könnte sein, dass die Wissenschaftler der Stanford University bereits zeigen konnten, dass diese ihre Wirkung nicht verfehlen. So war der Konsum von Alkohol, Nikotin und Fleisch mit einer beschleunigten Alterung mehrerer Organe verbunden, während regelmäßige Bewegung und der Konsum von Fisch die Organe jünger hielten.