Organmangel spitzt sich zu |
Barbara Döring |
31.05.2024 16:00 Uhr |
Viele Bundesbürger wären bereit, ein Organ zu spenden, haben ihre Bereitschaft jedoch nicht dokumentiert. / Foto: Adobe Stock/sewcream
Trotz aller Maßnahmen des Gesetzgebers, die Versorgung mit Spenderorganen zu verbessern, bleibt die Zahl der Organspenden in Deutschland auf niedrigem Niveau. Täglich sterben zwei bis drei Menschen, weil sie ein dringend benötigtes Spenderorgan nicht rechtzeitig erhalten. Die Situation für Patienten sei heute sogar schlechter als vor 25 Jahren, sagte Mario Rosa-Bian, Sprecher von ProTransplant, einem Zusammenschluss von Patientenverbänden und Selbsthilfegruppen im Bereich Transplantation und Organspende, bei einer Online-Pressekonferenz des Bündnisses. Derzeit hoffen allein 6 Prozent der circa 100.000 Dialysepatienten auf eine Transplantation, wobei die Wartezeit durchschnittlich zehn Jahre beträgt. Zwar würden laut einer repräsentativen Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 73 Prozent der Befragten im Falle eines Hirntods ihre Organe spenden, doch nur 15 Prozent haben ihre Bereitschaft schriftlich hinterlegt.
Angehörige müssten demnach im Zweifel entscheiden, ob ein Verstorbener der Spende seiner Organe zugestimmt hätte oder nicht. Viele Menschen möchten oder können die Entscheidung für ihren Angehörigen offenbar nicht treffen, denn mehr als 50 Prozent von ihnen lehnen eine Spende in dieser Situation ab. Warum es diese Diskrepanz zur prinzipiellen Spendenbereitschaft gibt, sei unklar, aber der beste Beweis, dass eine Widerspruchsregelung auch in Deutschland notwendig sei, betonte Rosa-Bian, der selbst seit 28 Jahren transplantiert ist.
Bei der Widerspruchsregelung, wie sie in den meisten europäischen Ländern gilt, können Organe zur Transplantation entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organspende widersprochen hat. Dagegen gilt in Deutschland die Zustimmungsregelung, bei der der Betroffene zu Lebzeiten der Organspende zugestimmt und dokumentiert haben muss, ob Organe im Falle eines Hirntods entnommen werden dürfen. Die Widerspruchsregelung war 2020 im Deutschen Bundestag gescheitert, der damals auf verstärkte Aufklärung setzte. Die Hoffnung, dass Aktionen wie der jährliche »Tag der Organspende« die Spenderzahlen erhöhen, haben sich laut ProTransplant jedoch nicht erfüllt. In fast allen europäischen Ländern gibt es mehr Spenden als in Deutschland. Mediziner seien hierzulande deshalb darauf angewiesen, Organe aus Ländern des Verbundes Eurotransplant zu beziehen, in dem Deutschland von acht Ländern das einzige ohne Widerspruchsregelung ist.
Laut deutscher Verfassung sei der Gesetzgeber verpflichtet, gegen den Organmangel Abhilfe zu schaffen, sagte Professor Dr. Josef Franz Lindner vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie der Universität Augsburg. Das begründe sich aus dem Grundrecht von Patienten auf Leben und Gesundheit sowie aus dem Sozialstaatsprinzip, wie der Jurist ausführte. Der Gesetzgeber hätte es jedoch unterlassen, hinreichende Regelungen zu schaffen, um dem Organmangel zu begegnen. Neben der Widerspruchsregelung gäbe es weitere Maßnahmen wie die Zulassung der Organspende nach Herz-Kreislauf-Stillstand oder die Erweiterung des potenziellen Spenderkreises durch die Einführung einer möglichen Lebendorganspende.
Zazie Knepper, Sprecherin von ProTransplant, wies in diesem Zusammenhang auf die mangelnde Spendererkennung in Kliniken hin. So würden 75 Prozent der fast 1200 Entnahmekrankenhäuser in Deutschland, die gesetzlich verpflichtet sind, potenzielle Organspender zu melden, keine Organspender finden. Auffallend sei, dass in anderen Ländern mit besseren Spenderzahlen diese Arbeit durch staatliche Stellen organisiert und kontrolliert wird. In Deutschland liege die Verantwortung bei der privaten Deutschen Stiftung Organtransplantation, die keine Kontrollkompetenzen in den Kliniken hat, so Knepper.
Wie Lindner ausführte, verletze der Gesetzgeber seine verfassungsrechtliche Schutzpflicht, wenn er keine oder nur unzureichende Maßnahmen gegen den Organmangel ergreife. Bereits im März letzten Jahres übergab das Bündnis einen offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach, unterzeichnet von zahlreichen Vereinen und medizinischen Fachgesellschaften, in dem darauf hingewiesen wurde, was aus Sicht des Bündnisses getan werden müsste, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen. Bis heute ließe eine Antwort auf sich warten, so Rosa-Bian. Wegen der anhaltend alarmierenden Situation kündigte ProTransplant nun eine Verfassungsbeschwerde an.