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Covid-19

Pandemie geht, Coronavirus bleibt

Nach fast drei Jahren Pandemie steuert Deutschland in Richtung neuer Normalität im Umgang mit dem Coronavirus – weg von Masken- und Testpflicht, Alltagsauflagen und Verhaltensempfehlungen. Ob »das Ende der Solidarität« die richtige Strategie ist? Pharmazieprofessor Dr. Theo Dingermann bezweifelte das in einem Vortrag.
Elke Wolf
19.01.2023  16:00 Uhr

Die Corona-Angst der Deutschen ist sukzessive zurückgegangen. Aktuell hat laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov nur noch ein Drittel Sorge, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Das hat Nachlässigkeiten beim Eigenschutz zur Folge: die Maske bleibt oft zu Hause, die Hände werden nicht regelmäßig desinfiziert, vor privaten Treffen unterbleibt die Testung. »Dabei ist das Ende von Corona noch nicht geschrieben«, sagte Dingermann bei der Weihnachtsvorlesung an der Frankfurter Universität.

Grund sei die extreme Mutationsfreude von SARS-CoV-2. »Viele Coronavirus-Impfstoffe trainieren das Immunsystem darauf, einen bestimmten Abschnitt des ursprünglichen Virus zu erkennen, und zwar jene 201 Aminosäuren, die es dem Virus ermöglichen, sich an menschliche Zellen zu heften. In der Delta-Variante waren nur zwei dieser Aminosäuren mutiert. Die Mutationen reichten nicht aus, um Impfstoffe unwirksam zu machen. Anders sieht es bezüglich Omikron aus: Bei dieser Virusvariante waren 15 der 201 Aminosäuren, auf die die Impfstoffe abzielen, mutiert. Diese Mutationen halfen Omikron, dem Immunsystem zu entkommen (Escape-Variante) und auch Menschen zu infizieren, die geimpft oder nach einer Infektion genesen waren. Aber das Virus kann noch viel weiter mutieren als die wenigen Veränderungen, die bei Omikron beobachtet wurden. Jede Aminosäure kann durch 19 andere Aminosäuren ersetzt werden. Nach Berechnungen von Wissenschaftlern gibt es fast 2000 weitere Möglichkeiten, wie die 201 Zielaminosäuren mutieren können, ohne dass die Fähigkeit, an ACE2- Rezeptoren zu binden, wesentlich verloren geht«, erklärte der Pharmazeut. Dennoch sei nach wie vor ein trainiertes Immunsystem – also die Schützenhilfe durch die Impfungen - der beste Schutz vor Covid-19. »Auch wenn ständige Mutationen dafür sorgen, dass unsere passive Immunität vorübergehend nicht verfügbar ist.«

Aktuell macht die Omikron-Sublinie XBB.1.5 von sich reden. Mit besorgniserregender Geschwindigkeit breitet sie sich derzeit in Großbritannien, dem Nordosten der USA und in China aus. Auch in Deutschland könnte sie sich zur dominanten Variante entwickeln. Auffällig: XBB.1.5 breitet sich viel schneller aus als bisher dominante Varianten. Ob dort, wo sie dominant wird, auch die Rate an Klinikeinweisungen bei Risikopatienten steigt, ist derzeit noch unklar. Nach aktuellem Kenntnisstand handelt es sich um eine hochpotente Immunfluchtvariante, die zudem für das Eindringen in menschliche Zellen über den ACE2-Rezeptor optimiert ist.

Vom Virus gefangen

Gewissermaßen als neue Epidemie sieht Dingermann die Long-Covid-Problematik auf uns zukommen. Zwar würden die meisten Erkrankten nach überstandener Akutinfektion wieder gesund, doch entwickelten immerhin bis 10 Prozent ein Post-Covid-Syndrom, häufig auch Long Covid genannt. Darunter werden Symptome verstanden, die entweder mehr als zwölf Wochen nach der SARS-CoV-2-Infektion noch fortbestehen oder nach dieser Zeit neu auftreten. »Das Symptomspektrum ist erschreckend breit, mehr als 60 Folgebeschwerden sind dokumentiert«, informierte Dingermann.

Die Ursachen und molekularen Grundlagen von Long Covid seien noch nicht verstanden. Diskutiert würden verschiedene Modelle. So könnten die Post-Covid-Symptome auf bei der Infektion entstandene Organschäden, im Körper verbleibende Coronaviren, die eine chronische Inflammation auslösen, oder auf Reaktivierung von persistierenden Viren wie das Epstein-Barr-Virus (EBV) zurückgehen. Auch Autoimmunität, Gerinnungsstörungen und Störungen der Darmmikrobiota werden als mögliche Mechanismen diskutiert.

Da die Pathologie noch nicht gut verstanden sei, tun sich Mediziner mit einer kausalen Therapie schwer. Ganz neu sei das Phänomen einer lang gezogenen Krankheitsphase nach der eigentlichen Infektion hingegen nicht. Auch im Zuge von Ebola, Dengue, Polio oder EBV treten länger anhaltende Symptome auf. Aus der Behandlung von chronischem Fatigue-Syndrom kenne man etwa die Wirkung der Statine, die auch einer Neuroinflammation entgegenwirken könnten. Eine entsprechende Wirkung werde auch für das Antibiotikum Minocyclin vermutet, so Dingermann. Denkstörungen und Fatigue ließen sich in Einzelfallberichten mit der Standarddosis behandeln. Bei einem Teil der Long-Covid-Patienten, bei denen ein Mastzellaktivierungssyndrom vorliege, sei auch die Gabe einer Kombination von H1-und H2-Blockern oder Montelukast eine Therapieoption.

In jedem Fall sprach sich Dingermann dafür aus, Paxlovid® (Nirmatrelvir plus Ritonavir) bei akut Erkrankten mit Risikofaktoren konsequenter einzusetzen. »Das ist derzeit das einzige spezifisch wirksame Medikament, um eine akute Coronainfektion zu behandeln. Die Therapie muss jedoch zügig beginnen. Als Virustatikum kann Paxlovid nur wirken, wenn Viren vorhanden sind. In der Realität wird es jedoch viel zu zögerlich eingesetzt, weil man offensichtlich Angst vor seinem Wechselwirkungspotenzial hat.« Im November ließ Paxlovid auch in puncto Long-Covid-Vorbeugung aufhorchen: Eine US-amerikanische Studie mit mehr als 50 000 Teilnehmern hatte zeigen können, dass eine antivirale Behandlung der akuten Coronainfektion das Risiko für Post-Covid-Symptome um 25 Prozent zu senken vermag.

Wie Masken funktionieren

Nach wie vor gelte es, sich und andere optimal vor der Krankheit oder noch besser vor der Infektion zu schützen. Deshalb hat sich Dingermann sowohl eine Beibehaltung der Masken- als auch der Isolationspflicht im Krankheitsfall gewünscht – als »einen Akt der Rücksichtnahme«. Dass es jetzt anders gekommen ist, mache ihn als Senior fast schon ärgerlich, da er aufgrund seines Alters zur Risikogruppe gehört.

Dass Masken mehr oder weniger zuverlässig vor einer Infektion schützen, sei hinlänglich bewiesen – FFP2-Masken mehr noch als OP-Masken. »FFP2-Masken sind absolute Hightechprodukte. Der Grund, warum sie so gut funktionieren, ist die Tatsache, dass sie nicht wie ein Fliegennetz, sondern wie ein Spinnennetz – und davon versetzt mehrere hintereinander – aufgebaut sind«, erklärte der Pharmazeut.

FFP2-Masken bestehen aus mehreren Lagen. In der Mitte befinden sich meistens zwei bis drei Lagen eines Filtervlieses, das wie ein elektrostatisch geladenes Sieb funktioniert. Damit werden feinste Aerosole festgehalten, die durch die reine Faserdichte des Gewebes nicht aufgefangen werden. Die Partikel werden in der Faser eingeschlossen wie in einem Spinnennetz. Die elektrostatischen Kräfte wirken wie ein Magnet und ziehen Partikel an, die sonst entweichen würden. »Problematisch sind im Prinzip die mittelgroßen Partikel von etwa 0, 3 Mikrometer. Diese würden durch ein reines Fliegennetz- oder Siebsystem durchrutschen, während kleine Partikel von weniger als 0,1 Mikrometer durch Brownsche und Van der Waalssche Kräfte und Teilchen größer als 1 Mikrometer durch den Siebeffekt zurückgehalten werden. Durch die eingebauten elektrostatischen Kräfte können etwa NF95-Masken mindestens 95 Prozent der in der Luft befindlichen Partikel filtern, die größer als 0,3 Mikrometer sind.«


>> Hören Sie dazu auch: PZ-Podcast »Gedanken zum ›Ende der Pandemie‹«

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