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Nomophobie

Panik ohne Handy

Nomophobie, so heißt das Fachwort für die Angst, die viele Menschen überfällt, wenn sie merken, sie haben ihr Handy nicht dabei, wenn der Akku leer ist oder sie in ein Funkloch geraten. Dr. Yvonne Görlich, Professorin für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie an der PFH – Private Hochschule Göttingen, sprach über das neue Phänomen mit PTA-Forum.
Isabel Weinert
12.04.2023  12:00 Uhr

PTA-Forum: Was bedeutet der Begriff Nomophobie?

Görlich: Nomophobie steht für die gesteigerte Angst, vom eigenen Smartphone getrennt zu sein, und ist ein Schachtelwort aus dem Englischen »No Mobile Phone Phobia«.

PTA-Forum: Wie äußert sich diese Angst?

Görlich: Die Betroffenen haben Stress bei ausgeschaltetem Handy, Angstzustände bei leerem Akku oder aufgebrauchtem Datenvolumen oder sie geraten in einem Funkloch in Panik. In schweren Fällen kann das aber auch zu körperlichen Symptomen führen wie Zittern, Schweißausbrüchen, Aufmerksamkeitsproblemen. Die Menschen reagieren auch übersteigert mit Ärger, sind gereizt.

PTA-Forum: Wie kamen Sie auf die Idee, die Nomophobie im Rahmen einer Studie zu untersuchen?

Görlich: Die Absolventin Melina Coenen und ich sind den Fragen nachgegangen, was eigentlich Nomophobie ist und wie sie sich messen lässt. Dazu haben wir ein international häufig eingesetztes Instrument, nämlich den Fragebogen NMP-Q von Yildirim und Correia übersetzt sowie an einer deutschen Stichprobe validiert und geprüft. Nomophobie setzt sich aus vier Dimensionen zusammen. Diese sind »Nicht kommunizieren können«, »Verbindungsverlust«, »Nicht auf Informationen zugreifen können« und »Komfortverzicht«. Wir wollten außerdem wissen, wie verbreitet die Nomophobie in einer deutschen Stichprobe ist und auch, wie sie mit der Smartphonesucht zusammenhängt, aber auch mit der »Fear of missing out«, also mit der Angst, etwas zu verpassen, und mit anderen Konstrukten.

PTA-Forum: Wie viele Teilnehmer hatten eine Nomophobie?

Görlich: Es kam heraus, dass 4 Prozent eine schwere Nomophobie hatten und fast die Hälfte ein mittleres Maß. Das Ausmaß hing auch vom Geschlecht und dem Alter ab.

PTA-Forum: Was hat sich da ergeben?

Görlich: Bei den Geschlechterunterschieden zeigte sich, dass Frauen häufiger betroffen waren als Männer, und beim Alter, dass mehr junge Menschen darunter litten als ältere. Dabei handelt es sich immer um Korrelationen oder Mittelwertvergleiche. Das heißt also nicht, dass es Männer nicht betrifft, sondern nur, dass Frauen in höherem Maße betroffen sind, und zwar vor allem bei den Faktoren »Nicht kommunizieren können« und beim »Komfortverzicht«. Das würden wir so interpretieren, dass Frauen eben ein stärkeres Bedürfnis nach sozialer Interaktion haben. Das zeigte sich auch daran, dass sie im Vergleich zu Männern das Smartphone nicht häufiger nutzen, aber länger.

PTA-Forum: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Dauer der täglichen Handynutzung und Nomophobie?

Görlich: Etwas mehr als vier Stunden verbrachten die Teilnehmer unserer Studie am Smartphone. Es zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Nutzungsdauer und der Ausprägung der Nomophobie. Es gab allerdings eine zeitliche Grenze der Nutzung: Niemand, der das Smartphone weniger als zwei Stunden pro Tag nutzte, war von einer schweren Nomophobie betroffen. Daraus leitet sich auch die Empfehlung ab, das Handy im Rahmen einer Verhaltensänderung nur noch maximal zwei Stunden am Tag zu nutzen.

PTA-Forum: Welche Zusammenhänge existieren zwischen Neurotizismus und Nomophobie?

Görlich: Personen mit hohen Neurotizismus-Werten sind eher unsicher, ängstlich oder nervös. Da haben Frauen tendenziell höhere Werte als Männer. Und je höher diese Werte, desto eher neigt ein Mensch zu Nomophobie.

PTA-Forum: Hängt eine Nomophobie immer auch mit einer Handysucht zusammen?

Görlich: Es gibt Überschneidungen. Wir haben in unserer Studie eine Korrelation von 0,6 gefunden. Ein Viertel der Teilnehmer war Smartphone-abhängig und unter diesen Personen waren auch vorwiegend diejenigen, die eine starke Nomophobie hatten. Unter den Nicht-Smartphone-Abhängigen waren kaum Personen mit einer starken Nomophobie.

PTA-Forum: Wie unterscheiden sich Smartphone-Sucht und Nomophobie?

Görlich: Smartphone-Abhängigkeit ist eine Suchterkrankung und Nomophobie ist eine Angststörung. Beide sind aber noch keine ICD-Diagnosen. In den ICD 11 hat es bislang nur die Computerspielsucht geschafft. Die durch die technischen Veränderungen bedingten psychischen Herausforderungen halten auch im ICD Einzug, aber eben immer ein wenig zeitlich versetzt, abhängig vom Erkenntnisgrad.

PTA-Forum: Wie versucht man, eine Nomophobie zu behandeln?

Görlich: Da gibt es die Idee der kontrollierten Handynutzung. Hier bekommen Betroffene den Rat, das Handy nicht mehr als zwei Stunden pro Tag zu nutzen. Sie sollten es so oft wie möglich zu Hause lassen oder auch die Push-Benachrichtigungen abstellen, vielleicht auch den Schwarz-Weiß-Modus einschalten. Es hilft auch, nicht alle Aufgaben vom Handy erledigen zu lassen. Man kann als Uhr auch eine Armbanduhr benutzen und sich statt des Handyweckers einen anderen Wecker anschaffen. Denn jedes Mal, wenn ich das Handy starte, um etwa auf die Uhr zu schauen, steigere ich das Risiko, mich wieder in sozialen Medien, Nachrichten oder Sonstigem zu verlieren. Das ist auch beim Handywecker der Fall. Der erste Griff nach dem Aufwachen geht dann automatisch zum Handy. Das ist ungünstig. Wenn man dem bewusst entgegenwirkt, ist das sinnvoll.

PTA-Forum: Wissen Sie, ob diese Maßnahmen Erfolg bringen?

Görlich: Ob diese Maßnahmen wirklich funktionieren, untersuche ich derzeit in einer neuen Studie im randomisierten Wartezeit-Kontrollgruppen-Design. Die Teilnehmer wurden zufällig zwei Gruppen zugeteilt. Zunächst nutzte eine Gruppe zwei Wochen kontrolliert das Smartphone, zeitlich verzögert dann die zweite. Die Ergebnisse sollen Aufschluss darüber geben, ob eine kontrollierte Smartphone-Nutzung einen Effekt auf Nomophobie oder auch auf andere Aspekte des Erlebens und Verhaltens hat.

PTA-Forum: Welche Effekte könnten das sein?

Görlich: Man kann vermuten, dass die Teilnehmer zum Beispiel Hobbys wiederentdecken, soziale Beziehungen im Hier und Jetzt leben, Achtsamkeitsmomente erfahren. Denn oft läuft es heute so: Während zum Beispiel Familien am Essenstisch sitzen oder zusammen auf dem Spielplatz sind, werden E-Mails gecheckt oder sie sind in sozialen Netzwerken aktiv, um nichts zu verpassen. Fear of missing out hängt ebenfalls mit Nomophobie signifikant positiv zusammen.

PTA-Forum: Gibt es Entzugserscheinungen?

Görlich: Es kann sein, dass die Symptome zunächst zunehmen, wenn das Handy nur noch kontrolliert genutzt wird, oder dass vermehrt Phantomvibrationen oder Phantomklingeln wahrgenommen werden. Auch körperliche Symptome sind denkbar. Das sollte aber vorübergehend sein.

PTA-Forum: Vielen Dank für das Gespräch.

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