Partydroge und Gesundheitsgefahr |
Überreste einer Feier: Die Partydroge Lachgas wird aus einer Kartusche in Ballons gefüllt und dann inhaliert. / Foto: Getty Images/Corinne Poleij
Dass Menschen Lachgas für ein schnelles, aber kurzlebiges Gefühl von Euphorie, Entspannung und Losgelöstsein einatmen, sei an sich nichts Neues, sagt Professor Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, im Gespräch mit PTA-Forum. Seit mehr als 200 Jahren inhalieren Menschen N2O auch zu Party- und Rauschzwecken. Bekannt wurde das Gas Mitte des 19. Jahrhunderts aber vor allem als Narkosemittel, das erstmals schmerzfreies Operieren möglich machte.
Bis heute wird die schmerzstillende und betäubende Wirkung von Lachgas in der Medizin eingesetzt, wenn auch dank einiger Weiterentwicklungen in geringerem Ausmaß. Die Substanz ist einfach zu verwenden, da sie ja nur eingeatmet werden muss; sie ist auch für längere Behandlungen geeignet und selbst für Kinder zugelassen. Da sie nur kurzfristig wirkt, sind die Behandelten im Anschluss schnell wieder körperlich und geistig präsent und beispielsweise auch verkehrstüchtig.
Auch wenn Lachgas also schon seit jeher wegen seiner beruhigenden und berauschenden Eigenschaften auf Jahrmärkten zum Vergnügen inhaliert wurde, habe der Konsum erst heute ein bedrohliches Ausmaß erreicht, berichtet der Neurologe und Psychiater Erbguth. Das liege vor allem an der nunmehr viel größeren Verfügbarkeit. »Auf Festivals und Konzerten wird die Substanz in konsumfertigen Kapseln und lachgasgefüllten Luftballons angeboten; gleichzeitig posten Konsumenten in den sozialen Medien zuhauf ihre Erlebnisse mit der Partydroge und animieren so andere, es ihnen nachzutun.« Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant aktuell eine entsprechende Gesetzesänderung, um den Lachgaskonsum zu verbieten. Die Gesetzesänderung könnte noch dieses Jahr in Kraft treten.
Die meisten User bekommen Lachgas aus kleinen Gaskartuschen, die als »Schlagsahne-Ladegeräte« bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um kleine Druckkartuschen aus Metall mit 8 g flüssigem Distickstoffmonoxid, die beim Öffnen etwa 4 l Gas freisetzen. Sie sind für den Gebrauch mit Sahnespendern zu Hause und in der Lebensmittelindustrie zur Herstellung von Schlagsahne, Desserts, Schäumen sowie zur Aromatisierung von Getränken bestimmt und deshalb auch ganz regulär im Handel erhältlich.
Rauschkonsumenten öffnen die Patronen mit einem leeren Sahnespender – dieser hat einen Halter für die Patrone. Beim Einschrauben des Halters in die Patrone durchsticht ein scharfer Stift die Folienkappe am unteren Ende der Patrone und das Gas wird mit einem Zischen in die Packung abgesaugt. Hält man einen Ballon über das Ende der Düse, wird das Gas in den Ballon freigesetzt. Über diesen kann es dann eingeatmet werden. »Fatal ist, dass über das Internet inzwischen für rund 50 Euro ganze Flaschen beziehungsweise Container mit 640 g – und nicht nur 8 g – Distickstoffmonoxid erhältlich sind«, berichtet Erbguth.
Gleichzeitig gilt Lachgas fälschlicherweise als risikoarm, da die Wirkung bereits nach wenigen Minuten nachlässt. Dass dem aber nicht so ist, zeigen Erfahrungen aus der Neurologie. So dokumentiert die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), dass sich immer mehr Menschen mit schweren, unklaren neurologischen Beschwerden oder Blutbildstörungen nach Lachgaskonsum in Kliniken vorstellen. Eine Diagnose sei oft schwierig, auch weil viele Betroffene den behandelnden Ärzten den Lachgaskonsum verschweigen. Je früher aber eine Therapie begonnen werden könne, desto größer seien die Chancen, dass keine Langzeitschäden bleiben.
Das Spektrum der möglichen Schäden ist breit: Zunächst einmal werden die Gaskartuschen bei der Verwendung extrem kalt (bis zu -55° C), sodass bei direkter Inhalation Verletzungen an Fingern oder Lippen möglich sind, aber auch Lungenrisse (Pneumothorax) durch den hohen Druck des komprimierten, sich ausdehnenden Gases. Erbguth erinnert sich an einen jungen Patienten, der bei einem Rockfestival ein selbst gebasteltes Mundstück an eine Flasche mit Lachgas anschloss und sich beim Inhalieren schwerste Erfrierungen im Rachen und sogar einen vorübergehenden Herzstillstand zuzog, weil die inhalierte Kälte den herzbremsenden Vagusnerv reizte.
Besorgniserregend sind auch die möglichen neurologischen Folgen: Sie reichen von Bewusstlosigkeit (durch Verdrängung des Sauerstoffs in der Lunge) über Lähmungserscheinungen bis hin zu hypoxischen Hirnschäden, also Hirnschäden durch Sauerstoffmangel. Chronischer Konsum stört darüber hinaus den Zellstoffwechsel und beeinträchtigt die Funktion des Vitamins B12 – besonders gefährlich ist das für Menschen, denen es beispielsweise aufgrund einer veganen oder vegetarischen Ernährung ohnehin an Vitamin B 12 mangelt.
Ein Mangel an Vitamin B12 wiederum kann schwere hämatologische Schäden wie eine verminderte Zahl weißer Blutkörperchen (Leukopenie), eine verminderte Zahl von Blutplättchen (Thrombozytopenie) oder einen verminderten Hämoglobingehalt des Blutes (Anämie) verursachen. Auch neurologische Störungen wie Rückenmarkschäden (funikuläre Myelose) und Störungen des peripheren Nervensystems (periphere Neuropathie) sind möglich. Wird der B12-Mangel nicht rechtzeitig erkannt, sind diese Folgen mitunter nicht mehr reversibel.
Die Offenheit der Patienten ist besonders wichtig für eine schnelle Diagnose, da der funktionelle Vitaminmangel meistens nicht direkt im Blut nachweisbar ist, sondern erst bei Bestimmung weiterer Stoffwechselmarker auffällt. Zur Diagnostik werden ergänzend Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurografie) und ein MRT durchgeführt. Je früher die Diagnose bekannt ist und eine Therapie – die hoch dosierte Gabe von Vitamin B12 – begonnen werden kann, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine Schäden zurückbleiben.
Was Fachleuten besonders Sorge bereitet: Der Konsum steigt vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Von 2022 bis 2023 hat sich beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die Zahl der dem Landeskriminalamt bekannten Missbrauchsfälle mehr als verdreifacht.
Eine aktuelle Studie aus Frankreich wiederum berichtet über schwere, durch Lachgas verursachte neurologische Erkrankungen im Großraum Paris. Von 2018 bis 2021 wurden dort in Abteilungen für Neurologie und Innere Medizin alle Personen über 18 Jahren mit schweren Lachgas-Vergiftungen erfasst. Bis Ende 2019 wurden keine entsprechenden Fälle beobachtet, danach nahm die Häufigkeit deutlich zu.
Von 181 Patienten hatten 25 Prozent eine Schädigung des Rückenmarks (Myelopathie), 37 Prozent eine periphere Neuropathie und 38 Prozent eine Kombination beider Schäden. Betroffen waren vor allem junge Erwachsene, die unter schlechten sozioökonomischen Bedingungen in städtischen, sozial benachteiligten Gegenden leben. Die meisten waren 20 bis 25 Jahre alt, 37 Prozent waren arbeitslos. Der durchschnittliche tägliche N2O-Verbrauch lag bei 1200 g; die mediane Dauer zwischen dem Beginn des N2O-Konsums und dem Auftreten der Symptome lag bei einem halben Jahr. In den sozial am stärksten benachteiligten Regionen waren die Inzidenzen zwei- bis dreimal höher als in den anderen Regionen.
Für die neurologischen Folgen könne kein Schwellenwert angegeben werden, betont die DGN. Es gebe Fallberichte, wo nur vier inhalierte Luftballons nach sieben Wochen zu entzündlichen Veränderungen des peripheren Nervensystems ähnlich dem Guillain-Barré-Syndrom geführt haben – auf entsprechenden Partys würden von manchen Menschen durchaus 50 und mehr Ballons inhaliert. »So steigt mit jedem Atemzug am Lachgas-Ballon das Risiko für neurologische Folgekomplikationen«, betont DGN-Pressesprecher Professor Dr. Peter Berlit.
Die DGN befürwortet daher eine klare Kaufeinschränkung von N2O außerhalb medizinischer Indikationen. Die Abgabe für gewerbliche Zwecke müsse gesetzlich geregelt werden. Berlit: »Vor allem sehe ich eine Pflicht der Gesellschaft und Politik, junge Menschen über die möglichen Gefahren zu informieren. Viele halten Lachgas für ungefährlich – das ist es ganz sicher nicht.« Um das Ausmaß des Problems zu erfassen, führt die DGN nun gemeinsam mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine Umfrage in Deutschland zur Prävalenz und Folgen des Lachgasmissbrauchs durch. Bestätigen sich die Befürchtungen, sind gemeinsame Aktionen und Aufklärungsinitiativen geplant.