Patienten-Influencer oft nicht unabhängig |
Viele Influencer machen die eigene Krankheitsgeschichte und medizinische Informationen im Netz zum Thema. Das kann für andere Betroffene hilfreich sein, birgt aber auch Gefahren. / Foto: Adobe Stock/Алина Бузунова
Einen besonderen Lippenstift anpreisen oder ein Rezept für einen tollen Salat, das ist die eine Sache. Ein Medikament oder eine Therapiemethode für eine Krankheit empfehlen, das ist etwas ganz anderes. Denn es geht dabei um die Gesundheit und damit um ein hohes Gut. Mediziner etwa dürfen keine kommerziellen Interessen verfolgen und auch auf sozialen Medien nicht für Produkte oder Dienstleistungen anderer werben.
Anders liegt der Fall bei Laien, die sich – meist als betroffene Patienten – intensiv in ein medizinisches Thema eingearbeitet haben. Sie sind mit Gesundheitstipps und Ratschlägen am häufigsten im Internet präsent. Oft posten sie zu chronischen Krankheiten, beispielsweise Lupus erythematodes, Fibromyalgie, Zöliakie oder Migräne. Dabei finden meist besonders solche Patienten Beachtung, die mit ihren behandelnden Ärzten eher schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Viele dieser »Patienten-Influencer« gäben mit ihren Posts Antworten auf Fragen, zu denen sie selbst mühsam recherchiert haben, heißt es in einer Studie der University of Colorado Boulder, die kürzlich im »Journal of Medical Internet Research« veröffentlicht wurde. Andere wollen mit ihren Beiträgen gesundheitliche Probleme thematisieren, die ihrer Meinung nach in der Gesellschaft tabuisiert oder stigmatisiert werden. Gleichzeitig berichteten in der Untersuchung alle 26 befragten Influencer über eine starke emotionale Komponente ihrer Tätigkeit. So stellten ihnen viele Follower online persönliche Fragen und berichteten von eigenen Erfahrungen mit der jeweiligen Krankheit, sodass schnell ein Gefühl der Nähe entstehe.
Gemeinsam ist laut Studie darüber hinaus vielen Patienten-Influencern, dass sie mehr oder weniger enge Beziehungen zu Pharmaunternehmen pflegen. So gaben 18 der 26 in der Studie befragten Influencer an, mit einem Pharmaunternehmen zusammenzuarbeiten, beispielsweise als Mitglied eines beratenden Gremiums oder auch im Dialog mit Ärzten oder Wissenschaftlern zu bestimmten Produkten. »Patienten-Influencer übernehmen hier eine Form der interaktiven DTC-Werbung (Direct-to-Consumer) – in den USA erlaubt, in Deutschland im medizinischen Bereich verboten, aber natürlich trotzdem online abrufbar«, schreibt Studienautorin Erin Willis, außerordentliche Professorin für Werbung, Public Relations und Mediendesign. Die Influencer teilten ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit pharmazeutischen Präparaten mit Gemeinschaften von Followern, in denen sie großen Einfluss ausüben. Die in der Studie befragten Influencer hatten zwischen 1000 und 40.000 Follower. Untersuchungen hätten gezeigt, dass sie großen Einfluss auf das Kaufverhalten ihrer Follower haben, so Willis. Einige der Befragten hätten etwa Pressemitteilungen von Unternehmen direkt gepostet. Andere lasen Studien über Medikamente und präsentierten die Ergebnisse für ihre Follower; einige wurden auch dafür bezahlt, Inhalte für Arzneimittelhersteller zu veröffentlichen.
Auf Deutschland übertragbar seien die Ergebnisse dieser US-Studie allerdings nur bedingt, bemerkt Marcel Weigand, Gesundheitswissenschaftler und Leiter Kooperationen und digitale Transformation der UPD Patientenberatung Deutschland. »In den USA sind Patienten-Selbsthilfe und der Austausch unter Betroffenen digital viel weiter organisiert als hierzulande, und das Gesundheitssystem ist stärker privatisiert – beides fördert die Reichweite von Gesundheits-Influencern im Internet.« Auch gebe es in den USA – anders als in Deutschland – mit der Online-Plattform »PatientsLikeMe« ein nationales Austauschportal für Betroffene der verschiedensten Krankheiten. Da DTC-Werbung in den USA zugelassen ist, dürfen sich dort auch Arzneimittelhersteller direkt an die Verbraucher wenden, die Kommunikation läuft nicht ausschließlich über Ärzte. Für ihre Werbeaktivitäten suchen sie sich dann immer häufiger Patienten-Influencer als Botschafter.
In Deutschland gebe es nur wenige unabhängige Privatpersonen, die mit medizinischen Posts in sozialen Medien einen nennenswerten Kreis von Followern erreichen, berichtet Weigand. »Diejenigen, die richtig viele Follower haben, sind in der Regel von Unternehmen gesponsert, bieten eigene Produkte oder Dienstleistungen an und setzen auf Werbung. Das war vor einigen Jahren noch anders.« Neben der Kommerzialisierung der Ratgeber sieht der Digitalexperte eine weitere Gefahr durch die wachsende Anzahl von Medizin-Influencern: die »Pathologisierung sämtlicher Zustände, die vielleicht ungewöhnlich, deshalb aber noch lange nicht gleich krankhaft sind.«