PTA-Forum online
Betalactam-Antibiotika

Penicillin-Allergie ist oft keine

Die überwiegende Mehrheit der vermeintlichen Penicillin-Allergiker hat gar keine Allergie, wenn man sie näher untersucht. Dennoch verzichten viele Betroffene und Ärzte ein Leben lang auf diese wichtige Arzneistoffklasse – und nehmen damit ein schlechteres Therapieansprechen und unnötige Resistenzentwicklungen in Kauf.
Elke Wolf
20.01.2023  09:00 Uhr

»In Europa werden etwa 10 Prozent der Bevölkerung und rund 20 Prozent der stationären Patienten als sogenannte Penicillin-Allergiker eingestuft. Doch die Diagnose kann nur in maximal 10 Prozent der Fälle durch allergologische Tests bestätigt werden. Tatsächlich haben nur etwa 1 Prozent der Bevölkerung und etwa 2 Prozent der stationären Patienten eine echte Allergie gegen Betalactam-Antibiotika«, informierte Professor Dr. Heinrich Dickel vom Universitätsklinikum Bochum bei einer vom Ärzteverband Deutscher Allergologen (AeDA) ausgerichteten Ärzte-Fortbildung. Hintergrundwissen: Penicilline sind neben den Cephalosporinen die prominentesten Vertreter der Betalactam-Antibiotika, zudem gehören die Carbapeneme und Monobactame dazu.

»Das Problem: Da so viele Patienten vermeintlich allergisch reagieren, verzichten Ärzte vorsichtshalber auf einen Einsatz und geben Antibiotika zweiter Wahl, die für die jeweilige Indikation oft weniger effektiv sind und zur Entstehung von Resistenzen beitragen. Die fälschliche Diagnose steht also einem verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika komplett im Wege«, sagte Dickel. Aus diesem Grund ruft die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie zur Überprüfung von Penicillin-Allergien auf und gegebenenfalls zu deren Streichung. Neudeutsch spricht man dann auch von einem »Delabeling«.

Ein vager Verdacht auf eine Penicillin-Allergie führe häufig zum Label eines »Betalactam-Allergikers« und zu anschließender Meidung aller Betalactame, bestätigte Professor Dr. Ludger Klimek, Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie, Wiesbaden. Es stimme zwar, dass Penicilline zu den häufigsten Auslösern von Arzneimittelunverträglichkeiten gehören. »Eine echte Allergie liegt aber nur bei 10 Prozent der Verdachtsfälle vor. Deshalb gilt es, die Testungen auf eine tatsächliche Überempfindlichkeit zu intensivieren.« Mit dem DAP® Penicillin Test Kit, dem bislang einzigen in Europa zugelassenen Screening-Diagnostikum bei Betalactam-Überempfindlichkeit, können Patienten mit Verdacht auf eine Typ-1-Allergie identifiziert werden.

Fehldeutungen mit Folgen

Bei einer ausführlichen Untersuchung, oft schon durch die Erhebung der Anamnese, stellten sich die vermeintlichen Allergiesymptome als Nebenwirkungen heraus. »Bei der Mehrzahl der Fälle werden pharmakologische Antibiotikanebenwirkungen, wie Übelkeit oder Durchfall, als Allergien fehlinterpretiert. Auch Virusinfektionen können Exantheme verursachen oder eine Urtikaria triggern«, sagte Klimek, der auch Präsident des AeDA ist. Der zeitliche Abstand zwischen der Arzneimitteleinnahme und den Nebenwirkungen sei ein wichtiger Hinweisgeber. »IgE-vermittelte allergische Sofortreaktionen treten innerhalb von einer Stunde (selten bis zu sechs Stunden) nach Einnahme von Betalactam-Antibiotika auf und manifestieren sich als Urtikaria, Angioödem oder sogar Anaphylaxie bis hin zum anaphylaktischen Schock. T-Zell-vermittelte Spätreaktionen jedoch, die nach mehreren Stunden bis einigen Tagen auftreten, zeigen sich meistens als unkomplizierte makulopapulöse Exantheme.«

In der Praxis stelle sich die Situation viel vager dar, schilderte Klimek. Oft liege der Anlass für den Allergieverdacht bereits Jahre zurück. Die Patienten könnten nicht angeben, wie lange die Hautveränderungen bestanden, welches Krankheitsgefühl sie hatten, ob die Schleimhaut mit betroffen war, ob es Blasen gab, wie viele Minuten oder Tage nach der Einnahme es zu den Hautveränderungen kam und ob Begleitreaktionen wie Luftnot oder Schwindel bestanden. Deshalb forderten Dickel und Klimek die allergologische Abklärung aller Penicillin-Verdachtsfälle, und zwar in jeder Altersstufe und am besten innerhalb eines Jahres nach der Reaktion. Das gelte vor allem für Sofortreaktionen, weil »spezifisches IgE auf Betalactam-Antibiotika bei einem Großteil der Patienten rasch negativ im Zeitverlauf werde. Das ist nicht gleichbedeutend mit einer Toleranz gegenüber dem Allergen, sondern erschwert die Diagnose«. Zusätzlich ein Hemmschuh: In der Notaufnahme von Krankenhäusern werden keine Allergietests durchgeführt und keine Antikörper bestimmt.

Das sind die Alternativen

Das DAP Penicillin Test Kit wird bereits in der aktuell überarbeiteten Leitlinie »Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel« empfohlen. Es enthält Penicillinderivate und dient der Durchführung von Hautpricktests und Intrakutantests. So lässt sich feststellen, ob eine Typ-1-Allergie gegen Major- oder Minor-Determinanten besteht. Dickel: »So können Patienten mit einer fälschlich diagnostizierten Allergie identifiziert und der unnötige Verzicht auf Penicilline vermieden werden. Zudem hat das Kit einen positiven prädiktiven Wert von 100 Prozent, das heißt, es ermöglicht uns, die entsprechenden Patientengruppen gut zu identifizieren.«

Klimek erklärte den Grund für die allergische Reaktion: »Der Betalactamring der Antibiotika ist instabil. Das führt bei den Penicillinen zur Bildung von Major- und Minor-Determinanten, die kovalent an Wirtsproteine binden, und zwar meist an Serum-Albumine.« Inzwischen sei bekannt, dass die immunologische Reaktivität bei der großen Mehrzahl der Betalactam-Antibiotika nicht gegen die zentrale Ringstruktur, sondern gegen die gruppenspezifischen Seitenketten gerichtet ist.

Das erkläre, warum bei dringendem Bedarf zum Beispiel Nicht-Aminopenicilline, Nicht-Aminocephalosporine, Azetronam oder Carbapenem der größten Gruppe der Betalactam-Allergiker in voller Dosis gegeben werden können. Das sind diejenigen, die auf ein Aminopenicillin wie Amoxicillin oder Ampicillin mit milden »gutartigen« makulopapulösen Exanthemen ohne Blasen, Pusteln und systemische Reaktionen reagieren. Das Risiko sei so gering und das resultierende Exanthem so gut behandelbar, dass bei akutem Bedarf eine Meidung nicht zu rechtfertigen wäre, erklärte Klimek.

Bei Haut- und Weichteilinfektionen, zum Beispiel einer Wundrose, bietet sich häufig Cefazolin an, das keine verwandte Seitenkette mit anderen Betalactam-Antibiotika hat und gegen das gewünschte Keimspektrum wirkt. Bei schweren Phlegmonen, also bei sich ausbreitenden Infektionen im Unterhaut- und Bindegewebe, ist ein Carbapenem geeignet. Klimek: »Diese Gabe nicht kreuzreaktiver Betalactam-Antibiotika erlaubt zwar kein Delabeling, ist aber bestens geeignet für Notfallsituationen.«

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.
TEILEN
Datenschutz

Mehr von Avoxa