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Therapie mit Evidenz

Phytos für Magen und Darm

Der Einsatz von Heilpflanzen bei gastrointestinalen Beschwerden ist nicht neu. Viele der heute empfohlenen Phytopharmaka basieren auf jahrhundertealtem Wissen. Bei Patienten sind sie beliebt und viele ziehen die vermeintlich sanfte natürliche Hilfe chemisch-synthetischen Arzneimitteln vor.
Nicole Schuster
02.12.2024  08:00 Uhr

Die Wirksamkeit der Vielstoffgemische aus Pflanzen ist allerdings unterschiedlich gut belegt. Während einige Anwendungen, etwa von Ingwer gegen Kinetosen, durch wissenschaftliche Studien untermauert sind, basieren andere Phytopharmaka hauptsächlich darauf, dass sie schon seit Jahrzehnten in der Indikation in Europa angewendet wurden. Für viele Heilpflanzen liegt eine HMPC-Monographie vor, die bei der Einordnung hilft. Das HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products) sammelt seit 2004 Daten zu pflanzlichen Arzneimitteln und bewertet deren Sicherheit und Wirksamkeit.

Bei der Anwendung werden zwei Kategorien unterschieden: Traditionelle pflanzliche Arzneimittel beruhen auf langjähriger traditioneller Anwendung (»traditional use«) und müssen keine klinischen Studien durchlaufen, solange der traditionelle Gebrauch nachgewiesen ist. Die Wirksamkeit dieser Mittel ist plausibel und als Nachweis für die Sicherheit gilt, dass sie seit mindestens 30 Jahren (davon mindestens 15 Jahre innerhalb der EU) sicher angewendet werden. 

Bei Phytopharmaka mit gut etablierter medizinischer Verwendung (»well-established use«, WEU) sind hingegen Wirksamkeit und Sicherheit durch wissenschaftliche Studien belegt. Ingwerwurzelstock hat den Status »well-established use« für die Vorbeugung von Übelkeit und Erbrechen bei Reisekrankheit erhalten, da klinische Studien seine Wirksamkeit bestätigt haben. Andere pflanzliche Präparate, wie etwa Bitterstoffdrogen gegen Appetitlosigkeit, haben oft nur eine lange Anwendungstradition ohne umfassende klinische Evidenz. Für verschiedene Störungen im Magen-Darm-Trakt gibt es bewährte Phytopharmaka aus beiden Kategorien.

Krämpfe lösen

Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist eine funktionelle Darmerkrankung, die durch chronische oder wiederkehrende Beschwerden wie Bauchschmerzen und Blähungen gekennzeichnet ist. Die Symptome treten in Verbindung mit Veränderungen im Stuhlgang auf und beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen. Die verschiedenen Subtypen unterscheiden sich in der Stuhlgangkonsistenz. Eine Diagnose wird gestellt, wenn die Symptome länger als drei Monate bestehen, eine signifikante Belastung darstellen und andere mögliche Ursachen ausgeschlossen werden können. 

Das Öl der Pfefferminze (Mentha piperita) ist seit Jahrhunderten ein bewährtes Heilmittel gegen Magen-Darm-Beschwerden und zählt heute zu den am besten erforschten Phytopharmaka bei funktionellen Verdauungsstörungen. Der Hauptwirkstoff Menthol hat krampflösende und schmerzlindernde Eigenschaften. Er blockiert Calciumkanäle und reduziert so Muskelkrämpfe im Magen-Darm-Trakt. Weiterhin wirkt Menthol lokalanästhetisch und kann dadurch Schmerzen im Verdauungstrakt lindern. Pfefferminzöl erhielt in der Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom aus 2021 mit einer 1A-Wirksamkeitsevidenz die stärkste Empfehlung und ist sogar international als effektives Spasmolytikum etabliert.

Eine Metaanalyse von neun randomisierten, kontrollierten Studien (RCTs) mit insgesamt 726 Patienten (darunter 50 Kinder) zeigt, dass Pfefferminzöl in magensaftresistenten Kapseln bei kurzfristiger Anwendung signifikante Effekte auf Bauchschmerzen und allgemeine Reizdarmsyndrom-Symptome hat. Für eine langfristige Anwendung fehlen noch Daten. Unerwünschte Nebenwirkungen wie Sodbrennen, meist bedingt durch falsche Anwendung, sind leicht und vorübergehend.

Um die Magenschleimhaut zu schonen und Nebenwirkungen wie Sodbrennen zu minimieren, ist das Öl oft in magensaftresistenten Kapseln verschlossen, sodass es erst im Darm freigesetzt wird. Auch bei funktioneller Dyspepsie hat sich Pfefferminzöl, besonders in Kombination mit Kümmelöl (wie in Carmenthin), als wirksam erwiesen. 

Bei Obstipation eine Option

Indische Flohsamenschalen (Plantago ovata) sind ein bewährtes Mittel zur Behandlung von Verstopfungen, zum Beispiel beim Reizdarmsyndrom vom obstipativen Typ. Sie sind reich an Schleimstoffen, die bei ausreichender Flüssigkeitszufuhr stark aufquellen und ihr Volumen erheblich vergrößern. Das erhöht das Darmvolumen, regt die Darmbewegungen an und unterstützt die Darmentleerung. Für Erwachsene und Jugendliche wird eine Tagesdosis von 7 bis 20 g empfohlen, verteilt auf mehrere Einzelgaben und in Kombination mit reichlich Flüssigkeit.

Studien bestätigen die Wirksamkeit, besonders bei der Unterstützung der Darmmotilität. Wichtig ist, auf einen Einnahmeabstand von einer halben bis einer Stunde zu anderen Medikamenten zu achten, da deren Resorption durch die Schleimstoffe beeinträchtigt sein kann. In der S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom empfehlen die Autoren für beide Symptomtypen lösliche Ballaststoffe, insbesondere Flohsamenschalen, die den WEU-Status haben.

Effektive Mischung

Eine gut untersuchte pflanzliche Option bei funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen sind auch die Extraktmischungen Iberogast. Sie werden in der Leitlinie zum Reizdarmsyndrom ebenfalls empfohlen. In den Extrakten STW-5 (Iberis Amara, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Mariendistelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter, Schöllkraut und Süßholzwurzel, enthalten in Iberogast Classic) und STW-5-II (Iberis Amara, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter und Süßholzwurzel, enthalten in Iberogast Advance) ergänzen sich die Heilkräfte verschiedener Pflanzen in ihren Wirkungen. STW-5 ist bereits für Kinder ab drei Jahren geeignet, zu beachten sind jedoch Anwendungsbeschränkungen aufgrund einer möglichen Lebertoxizität.

Ingwerwurzelstock (Zingiber officinale) hat sich bei der Behandlung von Kinetosen, vor allem bei Reiseübelkeit, als wirksam erwiesen. Vermutlich wirkt Ingwer, indem er die 5-HT3-Rezeptoren für Serotonin blockiert, die an der Kontraktion der glatten Muskulatur im Magen und Darm beteiligt sind. Wenn Serotonin an diese Rezeptoren bindet, verursacht es Übelkeit und Erbrechen. Patienten sollen 1 bis 2 g Ingwerpulver eine Stunde vor Reiseantritt einnehmen. Ingwer wenden Frauen auch gerne bei schwangerschaftsbedingter Übelkeit ein. Diese Indikation ist allerdings nicht durch die HMPC-Monographie abgedeckt, es gibt jedoch klinische Studien, die die Wirksamkeit vor allem bei milden Formen zeigen. 

Trockenextrakte aus den Blättern der Artischocke (Cynara scolymus) werden traditionell bei Verdauungsstörungen eingesetzt. Obwohl die EMA den well-established use bisher nicht anerkannt hat, gibt es klinische Studien, die den Nutzen der Artischocke belegen. Der Extrakt hilft besonders bei funktionellen Störungen des ableitenden Gallensystems. Artischocke kurbelt die Fettverdauung an, unterstützt die Verstoffwechslung von Cholesterol und entlastet die Leber. 

Silymarin-haltige Extrakte aus Mariendistelfrüchten (Silybum marianum) sind eine klassische pflanzliche Therapieoption bei Lebererkrankungen. Der HMPC erkennt die traditionelle Anwendung an, die dazu dient, Verdauungsstörungen, Völlegefühl und Verdauungsbeschwerden zu lindern und die Leberfunktion zu unterstützen. Bei seiner Bewertung berücksichtigte der HMPC auch mehrere klinische Studien mit Mariendistelfrüchten bei Patienten mit Lebererkrankungen. Obwohl die Studien darauf hindeuten, dass Mariendistelfrüchte die Leberfunktion positiv beeinflussen, reichte die Qualität der Studien dem Gremium nicht aus, um eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen.

Vorsicht bei Fencheltee

Neben den positiven Wirkungen pflanzlicher Arzneimittel bei gastrointestinalen Beschwerden gibt es Risiken zu bedenken, etwa bei Fencheltee. Fenchel (Foeniculum vulgare) wird seit Jahrhunderten in der traditionellen Medizin verwendet, vor allem, um Verdauungsbeschwerden wie Blähungen zu behandeln. Die Heilpflanze wirkt karminativ, reduziert also die Ansammlung von Gasen im Darm, und erleichtert deren Ausscheidung. Hauptverantwortlich für die Wirkung sind die ätherischen Öle Anethol, Fenchon und Estragol, die eine entspannende und krampflösende Wirkung auf die glatte Muskulatur des Magen-Darm-Traktes ausüben.

Säuglinge leiden häufig unter Dreimonatskoliken, bei denen sich Luft im Verdauungstrakt ansammelt und starke Schmerzen verursacht. Fencheltee wird traditionell genutzt, um solche Beschwerden zu lindern. Auch als Bestandteil von Kombinationspräparaten mit Kümmel oder Anis ist Fenchel beliebt, da die Heilpflanzen eine synergistische Wirkung haben.

Das enthaltene Estragol wird jedoch in hohen Dosen als potenziell krebserregend eingestuft. So haben mehrere Studien an Nagetieren karzinogene Effekte festgestellt. Daher empfehlen Experten, die Belastung der Bevölkerung durch Estragol vorsorglich so gering wie möglich zu halten. Zwar sind die Mengen in Fencheltee sehr gering, dennoch wird vulnerablen Gruppen wie Kindern unter vier Jahren sowie schwangeren und stillenden Frauen von der Einnahme abgeraten.

Estragol ist noch in weiteren Heilpflanzen wie Anis (Pimpinella anisum) enthalten, die gegen Magen-Darm-Beschwerden verwendet werden. Eine sicherere Alternative ist Kümmel (Carum carvi). Ein Tee aus den Früchten kann Erleichterung verschaffen und das Öl können Eltern äußerlich nutzen, um den Bauch ihres Kindes zu massieren. Kümmel regt die Tätigkeit der Verdauungsdrüsen und den Appetit an. Weiterhin wirkt es karminativ und krampflösend. Der HMPC erkennt die traditionelle Anwendung an. Da es an klinischen Daten für Kinder mangelt, empfiehlt er das Phytopharmakon jedoch erst ab zwölf Jahren.

Trotz der breiten Nutzung pflanzlicher Arzneimittel bei gastrointestinalen Störungen fehlen selbst für gängige Heilpflanzen oft noch valide Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit. Um mehr evidenzbasierte Phytopharmaka anbieten zu können, bedarf es daher noch weiterer Studien.

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