Post Covid kann jeden treffen |
Gerade die Berücksichtigung von Heranwachsenden mit einer großen Kontrollgruppe sowie der relativ lange Beobachtungszeitraum machen für Winfried Kern von der Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums Freiburg die Stärken der Dresdner Arbeit aus. »Die Studie kann sehr gut beschreiben, wie viele Menschen nach einer Covid-Infektion wegen Beschwerden häufiger zum Arzt gehen als die Kontrollkohorte«, sagte er in einer unabhängigen Einschätzung der Nachrichtenagentur dpa. Allerdings bedeute das Untersuchungsdesign auch, dass eben nur die über einen Arztkontakt ermittelten Beschwerdekomplexe erfasst worden seien: »Wahrscheinlich sind Müdigkeit, Erschöpfbarkeit sowie Gedächtnisprobleme und Konzentrationsschwächen deswegen in dieser Studie nicht so dominant.«
Darüber hinaus stelle die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen keinen exakten Indikator für Einschränkungen in der Alltagsfunktionalität dar, so Kern. Der Infektiologe hatte selbst eine Post-Covid-Studie in Baden-Württemberg geleitet, deren Ergebnisse kürzlich im »British Medical Journal« veröffentlicht wurden. Diese zeigte, dass etwa ein Viertel der 12.000 Studienteilnehmer im Alter zwischen 18 und 65 Jahren sechs bis zwölf Monate nach einer Corona-Infektion unter erheblichen Langzeitfolgen leidet – und dadurch stark in Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist. Aktuell vergleicht Kerns Forschungsgruppe in einer Nachuntersuchung, inwiefern sich Corona-Erkrankte mit und ohne Post-Covid-Symptomatik unterscheiden, um so möglichen Biomarkern auf die Spur zu kommen. Erste Studien legen hier nahe, dass bestimmte Blutproteine, aber auch ein niedriger Cortisolwert messbare Parameter sein könnten.
Eine Bestimmung von Biomarkern könnte zudem helfen, die Ursachen für die Covid-19-Langzeitfolgen zu erklären. Dabei stehen laut Winfried Kern neben Durchblutungsstörungen auch Schädigungen des Nervensystems in der Diskussion. Geriete etwa das autonome Nervensystem in Mitleidenschaft, das unter anderem Kreislauf und Blutdruck reguliere, würde das Beschwerden wie Erschöpfbarkeit gut erklären. »Hier ist allerdings noch Grundlagenforschung nötig«, betont der Infektiologe. Schon jetzt deute sich indes an, dass das Post-Covid-Risiko bei einer Omikron-Infektion geringer sei.
Fragen wie diese werden kommende Woche beim ersten Kongress des neu gegründeten Ärzte- und Ärztinnenverbands Long Covid diskutiert, der am 18. und 19. November in Jena unter der Schirmherrschaft von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stattfindet. Ein Thema werden dort auch mögliche Therapieformen sein, bei denen aber ebenfalls noch große Forschungslücken klaffen, wie Experte Kern unterstreicht: »So lange man die genaueren Ursachen nicht kennt, bleiben Therapieoptionen experimentell.«
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.