Pregabalin und Gabapentin – was ist zu beachten? |
Juliane Brüggen |
21.02.2025 12:00 Uhr |
Eine Medikamentenabhängigkeit kann sich unbemerkt einschleichen. / © Adobe Stock/Rainer Fuhrmann
Laut der Statistikbehörde des Vereinigten Königreichs sind die Todesfälle in Verbindung mit Gabapentinoiden in England und Wales zwischen 2018 und 2022 deutlich angestiegen: Bei Gabapentin von 93 Todesfällen im Jahr 2018 auf 135 Todesfälle im Jahr 2022; bei Pregabalin von 187 Fällen auf 441. Insgesamt wurden in dem untersuchten Zeitraum 2110 Todesfälle in Zusammenhang mit den Arzneistoffen verzeichnet. Experten führen dies vor allem auf missbräuchliche Anwendung und gefährliche Wechselwirkungen zurück.
»Das Abhängigkeitspotenzial ist schon lange bekannt, zumindest gibt es schon länger entsprechende Warnungen für Ärztinnen und Ärzte, dass man bei Menschen mit einem Abhängigkeitsproblem in der Anamnese besonders vorsichtig sein sollte«, erklärt Professor Dr. Oliver Pogarell, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des LMU-Klinikums München, im Gespräch mit PTA-Forum. In der Sucht- und Substitutionsambulanz seien die Gabapentinoide etwa seit 2010 vermehrt als Beikonsum in Erscheinung getreten. Mittlerweile berichteten etwa 30 Prozent der dort behandelten Patienten von Erfahrungen mit Pregabalin. Da dieses schneller anflutet und sich auch in anderen Aspekten pharmakokinetisch von Gabapentin unterscheidet, hat es wahrscheinlich das höhere Missbrauchspotenzial. Aber auch Gabapentin werde in der Szene gehandelt, berichtet Pogarell.
»Die Patienten berichten von einem psychotropen Effekt, vergleichbar mit Diazepam, aber auch von einem Gefühl der Euphorie, einem High-Gefühl«, beschreibt der Experte. Um die Effekte zu erhalten, benötigten Betroffene immer höhere Dosen. Teils mehrere Gramm Pregabalin nähmen Opioidabhängige ein, so der Mediziner – zum Vergleich: Die empfohlene maximale Tagesdosis liegt bei 600 mg. Oftmals würden die Substanzen mit Benzodiazepinen kombiniert oder im Wechsel genommen. »Hauptmotive für einen Sedativa-Konsum unter opioidabhängigen Menschen sind Schlafstörungen, Ängste oder eben der Wunsch, einfach betäubt zu sein«, so Pogarell.
Gabapentin und Pregabalin sind Strukturanaloga des hemmenden Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Sie binden jedoch nicht an GABA- oder Benzodiazepin-Rezeptoren, sondern an die Alpha-2-delta-Untereinheit von spannungsabhängigen Calciumkanälen im Zentralnervensystem. Durch das Schließen der Kanäle wird die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter wie Glutamat, Noradrenalin und Substanz P vermindert. Der genaue Wirkmechanismus ist nicht abschließend geklärt.
Zugelassen sind die Arzneistoffe bei Epilepsie und neuropathischen Schmerzen, Pregabalin zusätzlich bei generalisierten Angststörungen.
Das Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln, besteht grundsätzlich schon bei therapeutischen Dosen; Substanzmissbrauch in der Vorgeschichte gilt als prädisponierend. Empfohlen wird, vor Beginn der Therapie das individuelle Risiko abzuschätzen. Bei Patienten, die Pregabalin oder Gabapentin einnehmen, sollte wiederum auf Anzeichen oder Symptome von Missbrauch oder Abhängigkeit geachtet werden. Dazu gehören laut »Arzneiverordnung in der Praxis« (04/2024):
Bei Pregabalin wurde außerdem über das Auftreten von Suizidgedanken nach dem Absetzen berichtet. Entsprechende Gedanken und suizidales Verhalten sind als Risiko auch während der Therapie mit Gabapentin und Pregabalin beschrieben. Unabhängig von der Indikation sollten die Arzneistoffe über einen Zeitraum von mindestens einer Woche ausgeschlichen werden, um Entzugssymptome zu vermeiden.
Gabapentin und Pregabalin wurden mit Fällen schwerer Atemdepression in Verbindung gebracht. Diese kann bis zum Tod führen. Ein Risikofaktor ist die Kombination mit zentral dämpfenden Substanzen wie Opioiden. »Vermutlich handelt es sich um (supra)additive Effekte«, heißt es dazu in der ABDATA-Datenbank. Das Risiko kann außerdem bei älteren Personen ab 65 Jahre, bei Überdosierung sowie bei bestehenden Vorerkrankungen der Lunge oder eingeschränkter Nierenfunktion erhöht sein.
Ist die Kombination mit Opioiden oder anderen zentral wirksamen Arzneimitteln medizinisch erforderlich, sind Patienten sorgfältig im Hinblick auf eine ZNS-Dämpfung zu überwachen. Anzeichen sind zum Beispiel Schläfrigkeit, übermäßige Sedierung oder eine verminderte Atmung.
Die Wechselwirkung hat wahrscheinlich auch eine Rolle bei Gabapentinoid-assoziierten Todesfällen in England (2004 bis 2020) gespielt: Im Rahmen einer Studie wurden 2322 Todesfälle in Zusammenhang mit Pregabalin und 913 mit Gabapentin analysiert. In 92 Prozent der Fälle wurden zusätzlich Opioide gefunden – oft, ohne dass eine Verschreibung vorlag. Die Gabapentinoide wurden jedoch nur vereinzelt als hauptverantwortlich für die Todesfälle eingestuft, meist lag ein Mischkonsum vor.
Verunsicherte Patienten, die Pregabalin oder Gabapentin in einer zugelassenen Indikation, zum Beispiel bei neuropathischen Schmerzen, erhalten und in einer üblichen Dosierung einnehmen, könnten PTA und Apotheker beruhigen, sagt Pogarell. Es handele sich grundsätzlich um sichere Medikamente, die keine beschränkte Anwendungsdauer haben. Das Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln, sei bei anderen Medikamenten, etwa Benzodiazepinen, deutlich höher. »Dennoch sollten Patienten sensibilisiert sein, beispielsweise, wenn sie merken, dass sich Toleranzeffekte einstellen oder es zu einer Dosissteigerung kommt«, so der Experte. Ebenso sollten sie informiert sein, dass es in Kombination mit Alkohol und anderen zentral wirksamen Substanzen mitunter gefährlich werden kann und wie sich dies bemerkbar macht.
In der Apotheke könne auffallen, dass die Verordnungsabstände kürzer werden oder Kassenpatienten Privatrezepte einreichen, so Pogarell. Ein Fehlgebrauch entstehe oft unbeabsichtigt, etwa, wenn bei Schmerzen zwischendurch nachdosiert wird. »Das kann weiterführen zu einem schädlichen Gebrauch oder Missbrauch und eben einer Abhängigkeit«, so Pogarell. »Gefährdet sind Personen in einem höheren Lebensalter und Personen, die andere psychotrope Medikamente einnehmen oder psychische Probleme wie Ängste oder Depressionen haben.« Auch ein Suchtproblem in der Anamnese oder starkes Rauchen seien allgemeine Risikofaktoren für eine Medikamentenabhängigkeit.
Sein Rat: Die Patienten empathisch darauf ansprechen und bei Bedarf den verordnenden Arzt kontaktieren. »Ganz wichtig ist immer, dass Ärzte und Apotheker in Kontakt bleiben – das ist eine der wesentlichen präventiven Strategien, um Medikamentenabhängigkeit vorzubeugen.«