Reflux ohne Sodbrennen |
Laufend heiser, Stimmprobleme und einen Kloß im Hals? Das könnte auf einen stillen Reflux zurückzuführen sein. / Foto: Adobe Stock/Antonio Diaz
Das kennt fast jeder: Nach einem allzu reichlichen Abendessen, vor allem mit Alkohol, macht sich in der Nacht beim Liegen ein unangenehmes Brennen in der Brustgegend breit: Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre führt zum klassischen Sodbrennen. Ist dies regelmäßig der Fall, spricht man von der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD, im Medizinischen steht »Gastro« für Magen und »Ösophagus« für Speiseröhre).
Es gibt aber auch den stillen Reflux mit Beschwerden jenseits der Speiseröhre. In der Fachsprache ist dann von extraösophagealen Beschwerden oder auch vom laryngo-pharyngealen Reflux die Rede, weil Strukturen außerhalb der Speiseröhre in Mitleidenschaft gezogen werden. Dabei steigt das Refluat bläschen-/aerosolartig bis zum Rachen auf und reizt Kehlkopf, Stimmbänder und obere Atemwege. Der Magensaft inklusive der Magenenzyme wie vor allem Pepsin belegen, verschleimen und verätzen regelrecht die empfindlichen Schleimhäute im Nasen- und Rachenraum.
Professor Dr. Martin Storr, Neurogastroenterologe am Gesundheitszentrum Starnberger See und Autor eines Ratgebers zum Thema »Stiller Reflux« erklärt die Problematik so: »Beim stillen Reflux muss der Mageninhalt zwei Schließmuskeln überwinden, sowohl den unteren zwischen Magen und Speiseröhre als auch den oberen Schließmuskel, der die Speiseröhre zum Rachen und Kehlkopf hin abdichtet. Das passiert zum Beispiel durch Aufstoßen. Dabei steigen viele kleine Luftbläschen schaumartig die Speiseröhre hinauf. Darin enthalten sind Spuren des sauren Magensaftes und diese gelangen dann bis in den Rachen.« Doch oberhalb der Speiseröhre, im Kehlkopf, im Bereich der Stimmritze sowie in den Atemwegen sei die Schleimhaut viel empfindlicher als das robustere Epithel der Speiseröhre. Und so reichten bereits geringste Spuren von Magensaft, wie sie bei jedem Aufstoßen auftreten, um einen Schleimhautschaden und damit Symptome auslösen zu können.
Besonderen Wert bei den auslösenden Ursachen legt Storr auf die Rolle des Pepsins, im Magen für die Eiweißverdauung zuständig. »Dieses Enzym, auch wenn es nur in Spuren an die Schleimhäute außerhalb der Speiseröhre gerät, macht dann das, wofür es produziert wurde: Es zerlegt Proteine, auch wenn diese Proteine die eigenen Schleimhautzellen sind. Pepsin, ebenso wie kleine Mengen Magensäure, richten folglich an der kaum geschützten Schleimhaut außerhalb von Magen und Speisröhre großen Schaden an.«
Die Liste möglicher Beschwerden ist lang. Die Patienten haben nicht immer alle Symptome, manche nur eines, andere viele. Die Beschwerden können auch variieren, die Betroffenen berichten von guten und schlechten Tagen – was sehr für die Beeinflussung durch die Ernährungsweise und Lebensstil spricht.
Die Diagnose ist unspezifisch beziehungsweise ist es für den Patienten oft ein zeitraubender Irrweg zwischen Haus-, HNO-Arzt, Internist und Gastroenterologe. Man könnte den stillen Reflux als »Verdachtsdiagnose bezeichnen, die vom Hals-Nasen-Ohren-Arzt gestellt und vom Gastroenterologen bestätigt wird«. Dieser nimmt eine Magenspiegelung vor sowie in Einzelfällen eine sogenannte 24-Stunden-Impedanz-pH-Metrie, eine Säure-Reflux-Messung per Magensonde. So lässt sich feststellen, ob der Mageninhalt bis zum oberen Schließmuskel der Speiseröhre fließt.
Experte Storr gibt jedoch in seinem Buch zu bedenken, dass bei vielen Patienten die Menge des Rückflusses so minimal ist, dass die Refluxmessung einen Normalwert anzeigt, obwohl Beschwerden bestehen. »Eine negative Impedanz-pH-Metrie ist deshalb noch kein Beleg dafür, dass man nicht an einem stillen Reflux leidet«, heißt es da. Umso wichtiger sei eine gründliche Anamnese, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Beschreiben die Patienten etwa, dass ihr Husten mit der Nahrungsaufnahme oder bestimmten Körperpositionen zusammenhängt oder dass beim Vorneüberbeugen Missempfindungen im Halsbereich entstehen, gebe das dem Arzt deutliche Hinweise auf den versteckten Reflux.
Die gastroenterologische Leitlinie empfiehlt bei extraösophagealen Beschwerden der Refluxkrankheit genauso wie bei Sodbrennen zunächst eine Behandlung mit Protonenpumpenblockern (PPI), also etwa mit Omeprazol, Pantoprazol oder Esomeprazol – und das bis zu zwölf Wochen 40 mg zweimal täglich. PPI hemmen die Na+/K+-ATPase in den Belegzellen und damit die Säureproduktion. Achtung bei der Beratung: Im Rahmen der Selbstmedikation ist eine Anwendung von Omeprazol oder Pantoprazol 20 mg auf einen Zeitraum von zwei Wochen begrenzt.
Ergänzend dazu helfen vor allem Antacida weiter, die in der Lage sind, schleimhautprotektiv zu wirken. Das sind vor allem Heilerde und Alginate, beide positiv in der aktualisierten S2k-Refluxleitlinie bewertet. Beide bringen diesen neuen Aspekt in die Therapie mit ein: Zusätzlich zur hohen Säurebindungskapazität legt sich Heilerde (wie von Luvos® Heilerde, als Arzneimittel zugelassen) nach der Einnahme wie ein Schutzfilm über die strapazierte Schleimhaut der Speiseröhre, hat also einen mukosaprotektiven beziehungsweise schleimhautsensitiven Effekt.
Kleine gasförmige Refluxbläschen beinhalten Magensäure sowie Pepsin und verursachen oberhalb der Speiseröhre Entzündungen und damit einen stillen Reflux. / Foto: PZ Grafik/Jens Ripperger
Die Unterstützung der Schließmuskelabdichtung ist auch der Pluspunkt der Alginate. Sie greifen nämlich an der sogenannten Säuretasche (Acid Pocket), einer Ansammlung von Magensäure am Übergang vom Magen zur Speiseröhre, an. Alginate, die meist mit einem Antacidum kombiniert sind (wie Gaviscon® Dual, Reluba®), bilden einen Schaum auf der Acid Pocket und eliminieren diese. Zusätzlich bewirken sie eine mechanische Refluxblockade, ein auf dem Speisebrei schwimmendes Gel, das gleichzeitig wie ein Schutzfilm in der Speiseröhre wirkt. Auch Feigenkaktus-Extrakt (wie Refluthin®) oder ein Gel-Komplex bestehend aus Carbomer, Xanthan und Natriumhyaluronat (Sobrade®) wirken zur Speiseröhre hin abdichtend.
Dennoch: Es gibt Patienten, die trotz medikamentöser Säurehemmung Beschwerden haben. Der Grund ist einleuchtend: Die PPI unterdrücken zwar die Säureproduktion im Magen, verhindern aber nicht die, die dem Körper durch die Ernährung zugeführt wird. Um das Problem dauerhaft in Griff zu bekommen, kommt es deshalb vor allem auf die Ernährung an.
Aufgrund der ursächlich mitverantwortlichen Hypersensitivität, die durch die Magensäure ausgelöst wird, sind säurepuffernde Maßnahmen durch die Ernährungsweise erforderlich. So ist alles zu meiden, was die Schleimhaut reizt, vor allen Dingen scharf Gewürztes mit Curry, Chili oder Pfeffer, säurehaltige Nahrungsmittel wie Tomaten, Essig, Sauereingelegtes, Alkohol in jeder Form, fettiges oder geräuchertes Fleisch. Bei den Getränken sind Kaffee und Sprudelwasser, Limonaden und kohlensäurehaltigen Getränke einzuschränken. Milch und Eiweißreiches mindert dagegen die Beschwerden.
Der Neurogastroenterologe Storr rät in seinem Buch zu Heil- und Mineralwasser mit einem hohen Hydrogencarbonatgehalt (> 600 mg/l gut, > 1800 mg/l exzellent). »Vermutlich ist Heilwasser beim stillen Reflux eine der nachhaltigsten Methoden.« Und: »Vorteilhaft ist, dass Heilwasser jegliche Säure blockt und dadurch das therapeutische Dilemma löst, dass beim stillen Reflux nicht nur die Säure aus dem Magen, sondern auch Säuren durch die Ernährung und Säure durch Milieufaktoren im Kehlkopf-Rachen-Raum problematisch sind.« Das löst auch die Pepsinproblematik: Pepsin wird nur aktiviert, wenn die Umgebung sauer ist. Ohne begleitende Säure kann Pepsin keinen Schleimhautschaden jenseits der Speiseröhre anrichten.