Reprotox braucht Unterstützung |
Kann ich das Medikament in der Schwangerschaft einnehmen? Die Beratungsstelle Reprotox beantwortet solche Fragen, auch Apothekenmitarbeiter können sich dorthin wenden. / Foto: Getty Images/vorDa
Die Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie Reprotox wurde 1976 auf Anregung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) an der Universitätsfrauenklinik Ulm eingerichtet. Sie berät Patientinnen, Ärzte, Hebammen, Apotheken, Mitarbeiter der Schwangerenberatung und die Pharmazeutische Industrie zu den Auswirkungen potenziell schädigender Faktoren für Schwangere und Stillende – etwa Medikamente sowie Arbeitsplatz- und Umweltchemikalien.
»Besonders im ersten Schwangerschaftsdrittel können Medikamente fatale Auswirkungen auf das Ungeborene haben, wie der Contergan-Skandal lehrt«, erinnert der Leiter von Reprotox, der Mediziner Dr. Wolfgang E. Paulus, gegenüber PTA-Forum. Etwa 10.000 Kinder wurden zwischen 1958 und 1961 mit schweren Gliedmaßendefekten geboren, weil ihre Mütter das Schlafmittel Thalidomid (Contergan®) eingenommen hatten.
Seitdem nimmt Paulus bei Ärzten und Patientinnen eine berechtigte Vorsicht wahr, häufig jedoch auch irrationale Angst, wenn es darum geht, Medikamente während der Schwangerschaft einzunehmen. Denn setzen Schwangere mit einer chronischen Erkrankung wie Asthma bronchiale oder Bluthochdruck ihr Medikament abrupt ab, kann dies die Grunderkrankung verschlechtern und dadurch Mutter und Ungeborenes gefährden.
Neben der Beratungsarbeit überwacht Reprotox deshalb auch seit mehr als 30 Jahren Arzneimittelrisiken in Schwangerschaft und Stillzeit. »Wenn ein Arzneimittel zugelassen wird, sind die Kenntnisse über dessen Sicherheit naturgemäß nicht vollständig«, erklärt Paulus. Klinische Studien mit Schwangeren seien aus ethischen Gründen kaum durchführbar. Daher sei es nötig, die Sicherheit eines Fertigarzneimittels ab dem Zeitpunkt seiner Marktzulassung systematisch zu beobachten.
Die Beratungsstelle hat sich dazu früh dem europäischen Netzwerk von Pharmakovigilanzzentren angeschlossen: ENTIS – European Network of Teratology Information Services. Auch die zweite deutsche teratologische Beratungsstelle, das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum (PVZ) für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin (bekannt unter dem Namen Embryotox), gehört ENTIS an.
»Wissenschaftliche Auswertungen zu Fehlbildungsrisiken basieren auf den langfristigen Dokumentationen von Schwangerschaftsausgängen nach Kontaktaufnahme mit unseren Beratungsstellen in der Frühschwangerschaft. Auf dieser Basis haben wir in den letzten 30 Jahren unsere Datenbank FETIS mit mehr als 32.000 dokumentierten Schwangerschaftsausgängen aufgebaut«, berichtet Paulus. Dadurch könne Reprotox Anfragen zum Medikamenteneinsatz in Schwangerschaft und Stillzeit sowie zu fruchtschädigenden Umweltfaktoren per Online-Formular (www.reprotox.de), Telefon, Fax oder E-Mail mit einer individuellen schriftlichen Stellungnahme in der Regel binnen 24 Stunden umfassend mit aktuellen Erkenntnissen beantworten.
Etwa 3000 Beratungsanfragen erhält Reprotox jährlich aus Deutschland und dem angrenzenden Ausland, das bedeutet elf Stellungnahmen pro Werktag. »Wir sind über den persönlichen Austausch mit den Anfragenden froh, um auf diesem Wege auch Informationen über den Ausgang der Schwangerschaft zu erhalten«, sagt Paulus. Die beiden teratologischen Beratungsstellen, Embryotox in Berlin und Reprotox in Ulm, seien in beiden Aufgabenfeldern, der Beratung und der Überwachung von Arzneimittelrisiken, gleichermaßen aktiv, so Paulus. Doch Reprotox stecke seit Jahrzehnten in Finanzierungsnot.
Während Embryotox laut Pressestelle des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) derzeit von BMG und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Rahmen von Projektfördermaßnahmen finanziell unterstützt wird und das Land Berlin seine Beratungstätigkeit finanziert, ist Reprotox auf Spenden und Drittmittel angewiesen. Die Hauptlast (mehr als 80 Prozent) übernimmt seit mehr als 20 Jahren die Katholische Kirche.
Derzeit muss Reprotox mit einem Etat von rund 140.000 Euro aus Drittmitteln und Spenden auskommen. Jedoch benötigt die Beratungsstelle laut eigener Auskunft mindestens das Doppelte, um die Aufgaben unter regulären Arbeitszeiten und mit ausreichend Personal bewältigen zu können.
Die ärztliche Beratung von Reprotox kann auch nicht über die etablierten Vergütungssysteme abgerechnet werden: Krankenkassen zahlen primär für die Behandlung von Patienten durch Ärzte. Reprotox berät jedoch nicht nur Patientinnen, sondern in großem Umfang medizinisch-pharmazeutisches Fachpersonal. »Da wir etwa die Hälfte unserer Arbeitszeit für Beratung, die andere Hälfte für Dokumentation und Evaluation von Schwangerschaftsverläufen unter Medikation investieren, wäre es eindeutig staatliche Aufgabe, für eine Finanzierung unserer Arzneimittelüberwachung in Schwangerschaft und Stillzeit zu sorgen«, argumentiert Paulus.
Der Mediziner kämpft seit Jahren für eine finanzielle Unterstützung für Reprotox. »Ich möchte nicht mit den Kollegen und Kolleginnen von Embryotox um die begrenzten Fördermittel konkurrieren, sondern auf den bedauerlichen Zustand aufmerksam machen, dass für unsere vergleichbare Tätigkeit seit Jahrzehnten keine Finanzierung durch unser Gesundheitssystem gewährt wird«, betont der Mediziner.
Warum ist die Arbeit von Reprotox so wichtig? Schließlich sammeln und bewerten in Deutschland die Bundesoberbehörden, das BfArM und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Das ist aus Paulus’ Sicht ein erster Schritt zur Arzneimittelüberwachung in der Schwangerschaft. Beispielsweise eine massive Häufung schwerer Anomalien eines bestimmten Organsystems ließe sich so entdecken. »Was jedoch nicht auffällt, sind weniger eindrucksvolle Fehlbildungen bei selteneren Anwendungen«, so Paulus. Sei bei den Spontanmelderegistern keine Zunahme von Anomalien erkennbar, bedeute das nicht per se, dass eine Substanz in der Schwangerschaft keine kindlichen Schädigungen verursache.
Für eine optimale Arzneimittelsicherheit seien Kohorten von exponierten Schwangeren nötig, die bereits in der Frühschwangerschaft rekrutiert und mit einer unbelasteten Kontrollgruppe verglichen werden. Paulus und sein Team wirken daran mit, indem sie unter anderem Fehlbildungs- und Abortrisiken zwischen behandelten und unbelasteten Schwangeren vergleichen.
Ein zweiter Kritikpunkt: Spontanmelderegister können auch die wahre Häufigkeit von Ereignissen verzerren. Als Beispiel nennt Paulus die mütterliche Lithiumtherapie, der vor gut 40 Jahren ein hohes Risiko für kindliche Herzfehler unterstellt wurde. Forscher und Ärzte vermuteten einen Zusammenhang, Lithium-Patientinnen meldeten nun nach der Entbindung vor allem Herzfehler des Babys. Die Folge waren vermehrte Schwangerschaftsabbrüche von Frauen, die unter Lithiumtherapie ungeplant schwanger wurden.
Inzwischen liegen Ergebnisse aus kontrollierten Follow-up-Studien vor, nach denen das Risiko für kindliche Herzfehler unter Lithiumtherapie nur geringfügig erhöht zu sein scheint, sodass Mediziner ihren Patientinnen heute oft zur Fortsetzung der Lithium-Anwendung in der Schwangerschaft unter Serumspiegelkontrolle raten. »Spontanmelderegister können solche kontrollierten Follow-up-Studien nicht ersetzen, auch wenn wir von Reprotox und Embryotox Auffälligkeiten an das BfArM und PEI melden. Für eine umfassende Risikobewertung reicht das nicht«, sagt Paulus.
Die hohe Anzahl Anfragen allein an Reprotox zeige Paulus, dass auch die Ulmer Beratungsstelle notwendig sei, zumal die Berliner Beratungsstelle auf ihrer Internetseite darauf hinweist, dass sie »Stillende aus Kapazitätsgründen weder telefonisch noch per E-Mail beraten« kann.