Respekt und Geduld gefragt |
Die Ängste der Kleinen ernst nehmen und auf sie eingehen, hilft den Kindern am meisten, ihre Furcht zu überwinden. / Foto: Adobe Stock/Jenko Ataman
Angst empfinden und Ängste überwinden sind wichtige Bestandteile der kindlichen Entwicklung. Viele Eltern sind jedoch unsicher, wenn es um die Grenzen des »Normalen« geht. Wenn das Kindergartenkind plötzlich jeden Abend darauf besteht, bei den Eltern zu schlafen, weil unter seinem Bett ein Monster wohnt, oder das Baby nicht mehr zur Oma auf den Arm will, macht sich mitunter Ratlosigkeit breit. Kinderpsychologen können jedoch in vielen Fällen beruhigen. Kindliche Ängste folgen einem typischen Entwicklungsmuster und verlieren sich oft genauso schnell wie sie gekommen sind.
Bekanntschaft mit den ersten starken Gefühlen machen Babys, wenn die »Fremdelphase« beginnt. Bei den meisten ist es zwischen dem vierten und achten Lebensmonat so weit, weshalb der Entwicklungspsychologe René A. Spitz die Fremdelphase auch als »Acht-Monats-Angst« bezeichnete. Gerade eben wurde noch jede Bekanntschaft mit strahlendem Lächeln begrüßt und schon am nächsten Tag reagiert das Baby mit Ablehnung, wenn sich jemand auch nur vorsichtig nähert. Abwenden, Verstecken oder Weinen, für Außenstehende ist das kindliche Verhalten nicht immer nachvollziehbar, für Säuglinge aber ein wichtiger Entwicklungsschritt. Sie haben gelernt, das Gesicht der engsten Bezugspersonen zu erkennen und von weniger bekannten zu unterscheiden. Häufig setzt das Fremdeln ein, wenn Babys ihren Aktionsradius durch Robben oder Krabbeln erweitern. Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass das Fremdeln Säuglinge in Urzeiten davor bewahrte, sich zu weit von ihren Bezugspersonen zu entfernen und damit einen wichtigen Schutzmechanismus für das Überleben darstellte.
Ähnliche Wurzeln hat vermutlich auch die Trennungsangst, die sich meist gegen Ende des ersten Lebensjahres bemerkbar macht. Verlässt die Hauptbezugsperson die Sichtweite des Kindes, reagiert dieses mit einer lauten Protestaktion. Ihren Höhepunkt erreicht die Trennungsangst mit etwa eineinhalb Jahren und nimmt anschließend kontinuierlich wieder ab. Das Fremdeln zeigt sich sogar noch länger. Es gilt auch im dritten Lebensjahr als normale Verhaltensweise und nimmt bei vielen Kindern erst mit dem dritten Geburtstag langsam ab.
Wie ausgeprägt ein Kind fremdelt, hängt neben seiner Persönlichkeit von der Tagesform und den bereits gemachten Erfahrungen ab. Dies ist gleichzeitig der beste Ansatzpunkt für Eltern. Je besser sie auf das Fremdeln eingehen, das Kind beispielsweise auf den Arm nehmen, wenn es auf eine andere Person ängstlich reagiert, und dem Kind Zeit geben, von sich aus auf die fremde Person zuzugehen, umso mehr positive Erfahrungen machen Kinder und können lernen, weniger ängstlich zu reagieren.
Zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr befinden sich Kinder in der sogenannten magischen Phase. In ihrer Vorstellung ist nun alles möglich. Das eigene Denken und Handeln wird als Ursache für reale Geschehnisse gewertet. Gleichzeitig werden Geschehnisse durch »magische Theorien« zu deuten und erklären versucht. Viele freudige Überraschungen und Erwartungen haben ihren Ursprung im magischen Denken, aber auch viele alterstypische Ängste und Befürchtungen. So existieren Weihnachtsmann und Osterhase in der kindlichen Vorstellung ebenso wie Monster, Geister oder Hexen. Und ebenso wie die »Guten« können auch die »Bösen« selbstständig agieren. Was an Weihnachten oder beim Spielen noch großen Spaß macht, kann somit am Abend oder in der Nacht ganz schnell für große Ängste sorgen. Geister, Monster oder gefährliche Dinosaurier, die sich hinter Vorhängen oder unter Betten verstecken, sind für Kleinkinder real.
Auch wenn es für Erwachsene absurd erscheinen mag, sollten sie dem Kind helfen, seine Angst wirksam zu beseitigen. Dies gelingt, indem besonders dunkle Zimmerecken mit einer Taschenlampe ausgeleuchtet werden, ein magisches Kuscheltier unter dem Bett die Monster verjagt oder jeden Abend ein »Zauberring« angezogen wird. Diese und ähnliche Rituale vermitteln Sicherheit und erleichtern das Einschlafen. Angst- und Albträume sind in dieser Entwicklungsphase dennoch häufig, und viele Kinder suchen nachts verstärkt die Nähe der Eltern.
Bis zum Schuleintritt sind die meisten Kinder in ihrer Entwicklung so weit fortgeschritten, dass sie Trennungsängste gut regulieren können. Auch die Furcht vor Fantasiegestalten, Tieren oder der Dunkelheit nimmt ab und das realistische Denken gewinnt die Oberhand. Sorgen und Ängste beziehen sich nun vermehrt auf das soziale Umfeld. So ist die Angst vor Bewertung oder Ablehnung durch andere in diesem Alter weit verbreitet. Aktuell belastet zudem die Covid-19-Pandemie viele Kinder und Jugendliche zusätzlich. Laut der COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, in der die psychische Gesundheit und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie untersucht wird, ist aktuell jedes dritte Kind psychisch auffällig. Vor der Pandemie traf dies auf jedes fünfte Kind zu. Zugenommen haben vor allem Ängste und psychosomatische Beschwerden. Ähnliches zeigt sich auch in Österreich, wo mit der »Tiroler Covid-19-Kinderstudie« der Medizinischen Universität Innsbruck die Auswirkungen von Angst-, Stresssymptomen und Traumata sowie die Lebensqualität von drei- bis zwölfjährigen Kindern untersucht wird.
Typisch für alle entwicklungsbedingten Ängste ist, dass sie zeitlich begrenzt und gering ausgeprägt sind. Mit Unterstützung der Eltern oder anderen engen Bezugspersonen schaffen es Kinder, sich ihren Ängsten zu stellen, diese zu überwinden und daran zu wachsen. Aufmerksam sollten Eltern werden, wenn Ängste stark ausgeprägt sind, das Kind sehr belasten oder in seiner Entwicklung beeinträchtigen. Alarmierend ist auch, wenn Kinder im Grundschulalter noch immer unter starken Trennungsängsten leiden. Diese zeigen sich meist beim Einschlafen, vor dem Aufbruch zur Schule oder einer Verabredung mit Freunden. Nicht immer gelingt es Kindern, ihre Ängste zu verbalisieren. Bei Trennungsängsten reagieren die Kinder mitunter nur mit ausgeprägter Aggressivität. Andere berichten von physiologischen Symptomen wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Herzrasen, Schwitzen und Zittern.
Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Rund 10 Prozent der Heranwachsenden sind betroffen. Besonders häufig treten Trennungsängste, soziale Angststörungen und spezifische Phobien (zum Beispiel vor Hunden oder der Dunkelheit) auf. Da Kinder und Jugendliche, die an Angsterkrankungen leiden, ein höheres Risiko haben, auch im Erwachsenenalter psychisch zu erkranken, sollten sie rechtzeitig behandelt werden. Kompetente Ansprechpartner, um den Verdacht einer Angststörung abzuklären, sind neben den Kinderärzten die Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und Kinder- und Jugendpsychiater.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat einige hilfreiche Tipps zusammengestellt, wie Eltern und andere Bezugspersonen Kindern helfen können, mit Ängsten umzugehen: