Riecht gut, schmeckt gut |
Kindheitserinnerungen: Der Geruch und Geschmack von Mamas Kuchen lösen bei vielen sofort positive Emotionen aus. / Foto: Adobe Stock/Drazen
Machen Sie den Test: Vermischen Sie Zucker mit Zimt, nehmen Sie einen Teelöffel davon in den Mund und halten Sie sich die Nase zu. Schmeckt süß, doch den Zimt schmecken sie nicht, richtig? Erst, wenn Sie die Nase öffnen, wird sich das Aroma des Zimts entfalten. Die Zunge nimmt nämlich nur die fünf Geschmacksarten süß, salzig, sauer, bitter und umami wahr, alle anderen Aromastoffe erschließen sich uns durch die Nase. Schmecken hat also enorm viel mit Riechen zu tun. Wer verschnupft ist, kennt das nur zu gut.
Riechen ist nichts anderes, als die Duftmoleküle in der Luft mit der Nase wahrzunehmen. Genau das passiert auch beim Essen: Beim Kauen steigen die Aromastoffe aller Zutaten von der Mundhöhle aus retronasal in die Nase. Die Kaubewegung ist hierbei wichtig, denn das Zerreißen der Zellwände setzt die Aromastoffe besser frei. Im oberen Bereich der Nase kommen sie mit der Riechschleimhaut in Kontakt, die beim Menschen aus 20 bis 30 Millionen Riechzellen besteht und an ihrer Oberfläche etwa 350 verschiedenen Arten von Geruchsrezeptoren enthält. Jeder dieser Geruchsrezeptoren passt zu einer Molekülgruppe, sodass die menschliche Nase auf diese Weise die gesamte Duftwelt abdeckt. Dockt ein Aromastoff an seinen Rezeptor an, wird diese Information in Form eines elektrischen Impulses zum Gehirn weitergeleitet. Deshalb riechen wir das Essen also beim Kauen.
Aromastoffe sind im Sprachjargon der Lebensmitteltechnologen das, was wir umgangssprachlich als Aroma oder Bukett bezeichnen: flüchtige Verbindungen, die von den Geruchsrezeptoren in der Nase wahrgenommen werden. Sie haben einen chemischen Namen, eine bekannte Strukturformel und charakteristische Eigenschaften. Allerdings stammen Aromastoffe aus Lebensmitteln und gelangen retronasal in die Nase, während wir Duftstoffe aus der Luft durch die Nasenlöcher einatmen (orthonasal). Auch der Begriff »Aroma« ist lebensmittelrechtlich eindeutig definiert. Er bezeichnet technologisch hergestellte Substanzen, die den Geschmack von Lebensmitteln prägen sollen.
Aromastoffe entstehen zum Beispiel bei der Verarbeitung und Zubereitung von Lebensmitteln. So werden die grünen Blätter der Teepflanze erst durch eine enzymatische Bräunung zu Schwarzem Tee, bei der die Catechine mit Luftsauerstoff zu Theaflavin und weiteren mehreren tausend verschiedenen Thearubigenen oxidieren. Andere Aromastoffe entstehen erst bei thermischen Prozessen wie Dämpfen, Dünsten, Kochen, Backen, Rösten, Frittieren oder Grillen. Wenn beispielsweise eine Temperatur von circa 140 °C die Maillard-Reaktion zwischen Einfachzuckern und Aminosäuren in Gang setzt, entsteht auf Lebensmitteln eine goldbraune Kruste aus Melanoidinen, denen Brot oder Bratwürstchen das besondere Back- beziehungsweise Grillaroma verdanken. Auch zum Karamellisieren ist Wärme erforderlich, allerdings reagieren dabei nur Zucker miteinander. Bei fermentierten Lebensmitteln, die mithilfe von Bakterien oder (Hefe-)Pilzen hergestellt werden, spielen deren Stoffwechselprodukte als Aromastoffe eine große Rolle. Dazu gehören unter anderem Sauerkraut, Joghurt, Käse, Bier und Wein.
Doch auch schon in unverarbeitetem Zustand enthalten Lebensmittel von Natur aus eine Vielzahl von Aromastoffen, die miteinander interagieren und zusammen den sensorischen Gesamteindruck auslösen. Oft sind ätherische Öle für das typische Aroma verantwortlich: in Kräutern, Gewürzen, den Schalen von Zitrusfrüchten, aber auch in Tomaten, Karotten, Petersilienwurzeln, Gemüsefenchel, Lauch und Zwiebeln. Bei den fettlöslichen und leicht flüchtigen Substanzen handelt es sich um eine Untergruppe der sekundären Pflanzenstoffe, die von Pflanzen abseits des primären Energiestoffwechsels gebildet werden und sich durch ihre große Vielfalt an Verbindungen verschiedenster chemischer Strukturen auszeichnen. Ein ätherisches Öl kann aus mehr als 400 Einzelkomponenten bestehen, wobei die Anwesenheit der sogenannten Leitsubstanz genügt, um einen Duft als solchen zu erkennen.
Dies macht sich auch die Lebensmittelindustrie zunutze. Sie benutzt den englischen Begriff »character impact compounds« für Schlüsselaromen, die den charakteristischen Geschmack eines Lebensmittels maßgeblich prägen. Zimtaldehyd ist beispielsweise eine solche Verbindung. Es tritt aus den Duftstoffen des Zimts so intensiv hervor, dass es als alleinige Zutat ausreicht, um einem Lebensmittel ein glaubwürdiges Zimtaroma zu verleihen.
In der Natur hat man bislang rund 10.000 Aromastoffe identifiziert, von denen etwa 2500 zur Herstellung von Aromen für die Lebensmittelindustrie eingesetzt werden. Dort werden Aromen gebraucht, um Aromaverluste während der Lagerung, Verarbeitung und Zubereitung auszugleichen. Fruchtsäften aus Konzentrat beispielsweise müssen die Aromen, die bei der Konzentrat-Herstellung zuerst entzogen werden, bei der anschließenden Rückverdünnung wieder zugesetzt werden. Nur so lässt sich ein gleichbleibender Geschmack schaffen, den die Verbraucher von ihrem Lieblingssaft erwarten. In unverarbeiteten Lebensmitteln wie Obst, Gemüse, Mehl, Zucker, Öle, Fisch, Fleisch, Milch, Butter oder Honig ist der Einsatz von Aromen verboten.
Bis zum Inkrafttreten der gültigen Aromen-Verordnung (EG) Nr. 1334/2008 im Januar 2011 wurde zwischen natürlichen, naturidentischen und künstlichen Aromastoffe unterschieden. Heute gilt diese Unterscheidung nicht mehr, es werden aber bei der Kennzeichnung besondere Anforderungen an die Verwendung des Begriffs »natürlich« gestellt. Seit Januar 2022 dürfen in Bio-Lebensmitteln ausschließlich Aromaextrakte und natürliche Aromen eingesetzt werden, deren Aromabestandteil ganz oder zu mindestens 95 Prozent aus dem namensgebenden Ausgangsstoff gewonnen wurde.
Natürliche Aromastoffe werden aus pflanzlichen, tierischen oder mikrobiologischen Ausgangsstoffen gewonnen, zum Beispiel Vanillin aus Vanilleschoten. Naturidentische Aromastoffe werden künstlich hergestellt, sind ihrem natürlichen Vorbild aber strukturell identisch. Künstliche Aromastoffe kommen in Lebensmitteln nicht natürlich vor, sondern werden künstlich hergestellt (zum Beispiel Ethylvanillin).
Geruch und Geschmack sind eng mit Emotionen verknüpft. Jeden Tag entstehen beim Essen neue Geschmackserlebnisse, die das Gehirn mit den dazugehörigen Emotionen als lebenslange Erinnerung speichert: das bunte Kindereis in einem unbeschwerten Sommer, die Plätzchen an einem beschaulichen Adventssonntag. Denn einer der Informationswege von der Nase zum Gehirn führt in das limbische System, in dem die Emotionen lokalisiert sind. So entsteht ein Erregungsmuster, das beim erneuten Genuss der Lebensmittel immer wieder als Ganzes abgerufen wird. Da auf dem Weg keine weiteren Nervenzellen zwischengeschaltet sind, entsteht das sich einstellende Gefühl – etwa Freude, Angst, Ekel oder Wohlbehagen – unmittelbar und völlig unkontrolliert. Viele Menschen mögen deshalb selbst als Erwachsene noch die Lebensmittel beziehungsweise Aromastoffe, mit denen sie aufgewachsen sind und mit denen sie positive Erinnerungen verknüpfen.
Das hat positive, aber auch negative Ausprägungen. So wurden Generationen von Deutschen auf Vanillegeschmack geprägt, weil bis in die 1970er-Jahre der industriellen Babynahrung häufig Vanille zugesetzt wurde und der Geschmack bis heute mit der Wärme der Mutter und Geborgenheit assoziiert wird. Durch die Aromatisierung verlernen wir allerdings auch den natürlichen Geschmack vieler Lebensmittel beziehungsweise nehmen ihn kaum noch wahr. So wird in (Blind-)Verkostungen ein künstlich aromatisierter Erdbeerjoghurt immer wieder als schmackhafter und natürlicher wahrgenommen, als ein Joghurt mit echten Erdbeeren ohne zugesetzte Aromastoffe.
Die Vorliebe für und die Aversion gegen bestimmte Lebensmittel entstehen also im Lauf des Lebens und sind weitgehend erlernt. Schon im Mutterleib wird das Baby von dem geprägt, was seine Mutter isst und trinkt. Ab der 26. Schwangerschaftswoche ist die Fähigkeit des Fötus zu riechen und zu schmecken so gut ausgebildet, dass es die im Fruchtwasser gelösten Aromastoffe aus den Speisen der Mutter wahrnehmen kann. Forscher der Durham University in England haben anhand von 4D-Ultraschall-Scans dabei die Reaktionen der Föten beobachtet. Demnach haben sie auf Karottengeschmack häufiger mit einem Lächeln reagiert, bei Grünkohlgeschmack eher das Gesicht verzogen. Mit den gleichen Babys wollen die Forscher nun herausfinden, ob das Kennenlernen dieser Aromen die Akzeptanz verschiedener Lebensmittel im späteren Leben beeinflusst. Nach der Geburt werden Babys über die Muttermilch, die im Gegensatz zu standardisierter Säuglingsanfangsnahrung jeden Tag anders schmeckt, ebenfalls an neue Geschmacksrichtungen gewöhnt.
Mit zunehmendem Alter werden Gerüche und Geschmäcker immer schlechter wahrgenommen. Zum einen nimmt die Zahl der Geschmacksknospen auf der Zunge ab: Während ein Säugling noch rund 10.000 Geschmacksknospen besitzt, hat sich beim Erwachsenen die Zahl schon auf wenige Tausend reduziert und kann sogar noch weiter abnehmen. Die meisten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass mit zunehmendem Alter vor allem die Empfindung für salzig nachlässt. Außerdem funktioniert die Verarbeitung von Aromastoffen in der Nase nicht mehr so gut. Die Ursachen sind vielfältig: Riechstörungen können frühe Anzeichen für neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson sein, zudem können auch altersbedingte Veränderungen beim Kauen dazu führen, dass weniger Aromastoffe retronasal zur Riechschleimhaut gelangen. Vielleicht hat auch der jahrzehntelange Kontakt mit Schadstoffen wie Zigarettenrauch die Riechzellen geschädigt, die sich nun im Alter trotz ihrer generell hohen Fähigkeit zur Regeneration sich nun doch immer langsamer erholen. Ältere Menschen bevorzugen daher oft kräftige, intensiv gewürzte Speisen. Gerade in der Seniorenverpflegung ist es also wichtig, Speisen besonders lecker zu würzen.
In dem Moment, in dem Aromastoffe mit der Riechschleimhaut interagieren, setzt ihre Wirkung ein. Zudem nehmen wir sie über den Mund direkt auf. Ein großer Teil gelangt bereits über die Mundschleimhaut in den Blutkreislauf, der Rest wird über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen. Chemisch gehört ein Teil strukturell den sogenannten Terpenen an; diese Stoffgruppe ist eng mit den Hormonen verwandt, was den starken Einfluss auf den Körper erklärt. Bereits, wenn sie das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, haben sie eine appetitanregende Wirkung entfaltet. Doch manchmal docken auch Aromastoffe an den Rezeptoren der Riechzellen an, die ein Ekelgefühl in uns erzeugen. Denn nicht zuletzt dient der Geruchssinn maßgeblich dazu, den Körper vor schädlichen Stoffen zu schützen. Egal ob faulige Eier, verdorbene Milch oder schimmeliges Brot: Wenn unangenehme Aromen in der Luft liegen, warnt uns unsere Nase rechtzeitig, damit wir die Gefahrenquelle meiden können.