Riechverlust meist reversibel |
Isabel Weinert |
13.05.2024 12:00 Uhr |
Menschen mit Geruchsverlust sollten nicht verzagen, sondern weiterhin versuchen, neugierig auf Aromen zu bleiben. / Foto: Getty Images/DianaHirsch
PTA-Forum: Den Geruchssinn verlieren – ist das erst seit Corona ein Problem?
Hummel: Nein, wahrscheinlich seit es die Menschheit gibt, verlieren Menschen ihren Geruchssinn. Bei den Viren gibt es verschiedene, die den Riechverlust verursachen können. Neben dem Coronavirus sind das Rhinoviren, Adenoviren und Influenzaviren. Es ist nur bei Weitem weniger häufig als es bei der Coronaepidemie war, wo ja sehr viele Infektionen mit Riechverlust einhergegangen sind.
PTA-Forum: Welche häufigen Ursachen gibt es für einen Riechverlust?
Hummel: Die häufigste Ursache ist bei Weitem das Altwerden. Je älter Leute werden, desto weniger riechen sie im Schnitt. Von den Menschen über 80 Jahren kann mindestens ein Drittel nichts mehr riechen. Andere Ursachen sind die chronische Rhinosinusitis, dann akute Infekte in der Nase sowie Schädel-Hirn-Traumen. Als seltenere Ursachen kommen neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer infrage, die häufig mit einem Riechverlust einhergehen.
Bei Morbus Parkinson geht der Riechverlust den eigentlichen klinischen motorischen Symptomen um zehn bis 20 Jahre voraus. Das heißt, bevor irgendein anderes Parkinson-Symptom auftaucht, haben die Leute schon einen Riechverlust. Wie das zustande kommt, dafür gibt es verschiedene Annahmen. Es kann auf der Ebene des Riechkolbens stattfinden. Das ist das erste Verschaltungsareal, in dem die Duftinformation umgeschaltet wird. Es liegt quasi zwischen den Augen, ganz vorne im Gehirn. Hier findet man auch schon früh Umbauvorgänge als körperliche Antwort auf den krankheitsbedingten Dopaminmangel. Es ist eine Hypothese, dass hier mehr Zellen aufgebaut werden, die eher hemmend wirken und das Riechsignal, das von der Nase ins Gehirn kommt und erst auf den Riechkolben trifft, gedämpft wird. Dann gibt es ebenfalls ganz früh Umbauvorgänge auf Ebene des Riechhirns, also der Amygdala. Es ist wichtig, dass es in diesen Zusammenhängen immer um einen ungeklärten Riechverlust geht.
PTA-Forum: Wie lässt sich ein schwankendes Riechvermögen erklären, also dass Menschen mal gut riechen können und dann wieder deutlich schlechter?
Hummel: Menschen mit chronischer Nebenhöhlenentzündung haben oft so wechselnde Riechempfindungen. Das schwankt stark. Manchmal können sie einen Tag lang Gerüche normal wahrnehmen, manchmal auch nur ein paar Minuten, und dann verschwindet das wieder. Das hängt wahrscheinlich mit der Entzündungsaktivität zusammen. Das ist die Ausprägung der Entzündung, die das beeinflusst.
Ein interessantes Phänomen ist hier, dass sich das Riechvermögen manchmal bei Menschen mit latenter Nebenhöhlenentzündung vorübergehend bessert, wenn sie einen akuten Infekt haben. Das lässt sich damit erklären, dass sich gewissermaßen zwei Entzündungsmechanismen miteinander verheddern, und zwar derart, dass etwas im Interleukinhaushalt passiert, wodurch die Leute dann besser riechen. Die eine Entzündung schwächt offenbar die andere im Interleukinbereich ab.
PTA-Forum: Welche Formen des Riechverlustes sind reversibel und welche irreversibel?
Hummel: Im Prinzip sind die meisten Formen des Riechverlusts reversibel. Das hängt damit zusammen, dass Riechen recht plastisch ist. Man findet Neuroregeneration auf der Ebene der Riechschleimhaut. Es sind ganze Neurone, die sich hier regenerieren, die sich neu bilden, und die können sich in der Riechschleimhaut dann tatsächlich neu formieren.
Das ist die Grundlage für die Regeneration eines Riechverlusts bei den meisten Leuten. Das heißt, bei einem Riechverlust durch einen Infekt ist die Prognose recht gut. Da bessern sich innerhalb von einem halben Jahr 80 bis 90 Prozent der Leute. Nur, aufgrund der hohen Zahl an Menschen mit einem Riechverlust durch Corona bleiben dann auch etliche Menschen mit einem dauerhaften Riechverlust.
Bei der chronischen Rhinosinusitis kann man gut therapieren. Da geht es vor allem um die akute Entzündung, die verhindert, dass das Riechen funktioniert. Und auch da ist der Riechverlust reversibel. Bei traumatischem Riechverlust bessert sich das Riechvermögen bei 20 bis 30 Prozent, also bei 70 bis 80 Prozent ist es irreversibel. Das hängt damit zusammen, dass Hirnschädigungen vorhanden sind, dass vielleicht die Fortsätze der Riechzellen abgerissen sind, die von der Nase ins Gehirn ziehen und das ist schwer reparabel.
Beim Altern kann man durch Riechtraining bei einem gewissen Prozentsatz Besserung bewirken. Bei alten Menschen ist es allerdings etwas kompliziert. Bei einem Riechverlust tritt das Schmecken in den Vordergrund. Das heißt, die fünf Geschmäcker süß, salzig, bitter, sauer und umami nehmen nur geringfügig ab im Alter, wobei der Süßgeschmack am besten erhalten bleibt. Deshalb kommt alten Menschen mitunter Süßes zu süß vor, weil es gegenüber den anderen Geschmacksrichtungen dominiert.
PTA-Forum: Schmeckt alles nach nichts, wenn man nicht mehr riechen kann?
Hummel: Wenn man nicht mehr riechen kann, kann man auch nicht mehr so gut schmecken, das stimmt. Denn die Aromawahrnehmung ist nicht mehr vorhanden. Aber: Die Gustatorik, also die Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und umami, die werden über andere Nervenstrukturen vermittelt und das bleibt erhalten. Das ist auch relativ stabil. Es führt aber eben dazu, dass man zum Beispiel vom Basilikum nur noch das Bittere schmeckt. Das Basilikumaroma geht verloren. Das gilt für insgesamt für die Wahrnehmung von Aromen.
PTA-Forum: Warum ist der Verlust des Geruchssinns mehr als ein banales Problem?
Hummel: Das Hauptproblem für diese Menschen ist, dass sie durch den Verlust der Aromawahrnehmung ganz viel an Lebensqualität einbüßen. Damit gehen oft auch soziale Kontakte verloren, weil das Kochen und Essen deutlich weniger Genuss bereitet und man sich dann diesen wichtigen sozialen Aktivitäten nicht mehr so recht anschließen möchte.
Außerdem können Betroffene andere Menschen weniger geruchlich wahrnehmen. Es wird unterschätzt, wie stark wir geruchlich miteinander kommunizieren. Schließlich führt der Riechverlust dazu, dass Gerüche als Warnsignal nicht mehr erkannt werden können. Das verunsichert viele Menschen. Es geht nicht vorrangig um Brandgeruch, das ist ja eher selten, sondern darum, rieche ich selbst unangenehm, meine Wohnung oder der Hausmüll? Manch einer beginnt dann, sehr häufig zu duschen, zu lüften, ständig den Müll zu entsorgen, weil sie oder er eben nicht mehr weiß, ob etwas unangenehm riecht.
PTA-Forum: Welche medizinische Bedeutung hat ein ungeklärter Riechverlust?
Hummel: Ein Riechverlust ohne erkennbare Ursache ist von einer erhöhten Mortalität begleitet. Dieser Riechverlust ist ein unspezifisches Zeichen für Gesamtgesundheit. Leute, die einen unerklärlichen Riechverlust haben, sterben früher und haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür als andere Menschen, sogar höher als bei kardiovaskulären Erkrankungen.
Ein unerklärter Riechverlust spricht auch für ein erhöhtes Risiko, eine demenzielle Erkrankung zu erleiden. Insgesamt ist ein unerklärter Riechverlust kein gutes prognostisches Zeichen.
PTA-Forum: Welche Möglichkeiten gibt es, den Geruchssinn zu fördern?
Hummel: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Kochkurse sind eher kompensatorisch. Sie helfen, sich im Leben wieder besser einzufinden und trotz verringerten oder nicht vorhandenen Riechvermögens weiterhin geruchliche Neugier zu zeigen. Das heißt, es ist gut, immer wieder an Aromen von Nahrungsmitteln zu riechen, aber auch an Blüten, wenn man sich draußen bewegt. Zudem helfen diese Kurse, sich selbst wieder zum Kochen und gemeinsamem Essen zu motivieren als sehr wichtiger sozialer Komponente.
Eine weitere Möglichkeit ist, sich ganz gezielt täglich Düften in einem Riechtraining auszusetzen. Auch auf eigene Faust kann man sich vier Düfte besorgen und morgens und abends über einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten jeweils für 30 Sekunden mit einem Abstand von etwa zehn Zentimetern von der Nase an jedem der vier Düfte riechen. Das ist eine langweilige Aufgabe, die Selbstdisziplin braucht, aber bei einem gewissen Anteil auch zu einem verbesserten Riechvermögen führt. Alle zwei bis drei Monate sollte man die Düfte wechseln.
Sinnvollerweise lässt man ein Riechtraining von HNO-ärztlicher Seite begleiten. Man macht vorher einen Riechtest, schaut, wie das Riechvermögen ist, und lässt es dann nach dem Riechtraining oder auch zwischendurch noch einmal kontrollieren.
PTA-Forum: Welche weiteren Therapien existieren, womöglich auch für die Zukunft?
Hummel: Entzündungsbehandlung bei chronischer Rhinosinusitis ist ganz wichtig. Bei nicht entzündlichen Ursachen kann man versuchen, das Wachstum von Riechzellen zu verstärken, mit topischem Vitamin A oder auch Omega-3-Fettsäuren. Und dann gibt es eine Reihe von Untersuchungen im Evaluierungsprozess, in deren Rahmen zum Beispiel plättchenreiches Plasma in die Schleimhaut injiziert wird.
PTA-Forum: Haben Sie eine wichtige Botschaft für Menschen mit Geruchsverlust?
Hummel: Ja, zusammenfassend kann man bei Riechstörungen optimistisch bleiben.
PTA-Forum: Vielen Dank für das Gespräch.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.