Riskante Influencer-Empfehlungen |
Für Verbraucher ist auf Social Media mitunter schwer zu erkennen, ob es sich um Werbung handelt, das heißt, ob der Influencer für die Produktplatzierung beauftragt und bezahlt wurde. / © Creative Credit/Getty Images
Sich bei der Auswahl eines Nahrungsergänzungsmittels (NEM) an Influencern in den sozialen Medien zu orientieren, ist nicht immer die beste Wahl – viele Beiträge enthalten massive Fehl- und Desinformation. Das haben Forschende aus Lübeck zum Anlass genommen, sich die Risiken der NEM-bezogenen Inhalte auf Social Media genauer anzuschauen, aber auch die Chancen und Verbesserungsmöglichkeiten. Die Publikation von Emma C. Gauch und Professor Dr. Martin Smollich, Institut für Ernährungsmedizin der Universität Lübeck, ist im »Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz« erschienen.
Sowohl Fehlinformation (unbeabsichtigte Falschaussagen) als auch Desinformation (absichtliche Täuschung) seien in den sozialen Medien präsent und zeigten besonders starke Auswirkungen im Gesundheits- und Ernährungsbereich, so die Autoren. Algorithmen verstärkten die emotionale Tonalität und förderten den »Social-Proof-Effekt«. Darunter versteht man das Phänomen, dass Informationen durch Likes und Shares glaubwürdiger erscheinen.
Hinzu komme, dass Influencer relevante Verstärker von NEM-bezogenen Inhalten sind. Aus empirischen Analysen weiß man, dass in 71 Prozent der Beiträge deutschsprachiger Fitness-Influencer eine Marke präsent ist. 75 Prozent dieser Beiträge bewerben Nahrungsergänzungsmittel, was nur bei 6 Prozent dieser Posts korrekt als Werbung gekennzeichnet ist. So erscheinen potenziell wirtschaftlich motivierte Posts bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern als persönliche Empfehlung.
Problematisch sei auch, dass die Informationen zu den Präparaten oftmals unvollständig sind und Angaben zu Inhaltsstoffen, Dosierungen sowie Risiken häufig fehlerhaft. Übertriebene Heilversprechen wie Detox-, Anti-Aging-, Immunboosting-Effekte verstoßen nicht selten gegen die EU-Health-Claims-Verordnung. Das bestätigt auch eine YouTube-Analyse zu Multinährstoffpräparaten: Bei 84 Prozent der Videos wurden keine potenziellen Risiken erwähnt. 90 Prozent der Instagram-Werbeaussagen zu NEM wurden als unzulässig eingestuft.
Bedenklich ist laut der Publikation, dass durch die mangelhaften Informationen nicht nur Fehlkäufe gefördert, sondern auch Gesundheitsrisiken in Kauf genommen würden. Verbraucherinnen und Verbraucher überschätzten womöglich die Kompetenzen der Influencer und träfen dadurch riskante Entscheidungen in der Selbstmedikation.
Beispielsweise konnte im Rahmen einer Umfrage gezeigt werden, dass knapp 21 Prozent der befragten Akne-Patientinnen den Empfehlungen in den sozialen Medien folgten. Bei einer aktuellen Befragung von 320 Patientinnen, die eine Brustkrebsdiagnose erhalten hatten, stieg der Anteil derer, die Nahrungsergänzungsmittel einnahmen, von 20 Prozent vor der Diagnose auf fast 65 Prozent nach der Diagnose.
Soziale Medien bieten dennoch Potenzial für eine evidenzbasierte Wissenschaftskommunikation, wie die Autoren betonen. So könnten Menschen niedrigschwellig, visuell ansprechend und personalisiert über Nutzen und Risiken von NEM aufgeklärt werden. Inhalte mit Hashtags wie #dietpills vermittelten durchaus auch kritisch korrekte Botschaften. Und parasoziale Beziehungen, die etwa Follower zu Influencern aufbauen, ließen sich auch konstruktiv nutzen, etwa um gesundheitsförderliches Verhalten zu motivieren.
Die Autoren leiten fünf zentrale Maßnahmen ab:
Nach Meinung der Forschenden sollte dies durch politische Maßnahmen und Reformen der Algorithmen flankiert werden, um strukturelle Verzerrungen zu korrigieren. Auf eine freiwillige Selbstregulierung der Plattformen zu hoffen, bleibe wahrscheinlich ohne Erfolg.