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Krankheitserreger

Rotaviren fordern eine halbe Million Opfer jährlich

Rotaviren sind die idealen Auslöser einer Epidemie: sie sind weltweit verbreitet, umweltstabil, haben eine hohe Infektiosität und eine kurze Inkubationszeit. Besonders gefährdet sind Kleinkinder und ältere Personen, vor allem in Gemeinschaftseinrichtungen. Während die Patienten in den Industrienationen gute Chancen haben, wieder gesund zu werden, ist das Virus in den Entwicklungsländern die Hauptursache für die hohe Kindersterblichkeit.
Edith Schettler
10.06.2021  16:00 Uhr

Das Rotavirus gehört zur Familie der Reoviren und ist dort der einzige Vertreter, der für den Menschen eine größere Rolle als Krankheitserreger spielt. Alle anderen Familienmitglieder sind nach heutigem Wissen harmlos oder nur für Tiere oder Pflanzen pathogen.

Zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung im Jahr 1959 konnten die Forscher erklären, dass Reoviren den Gastrointestinaltrakt infizieren, ohne zu wissen, welche Erkrankungen daraus resultieren. Die Bezeichnung »reo« prägten sie aus den englischen Worten respiratory, enteric und orphan (selten). Der Name »rota« leitet sich von der lateinischen Bezeichnung für »Rad« ab, weil die Viren unter dem Elektronenmikroskop an ein Wagenrad erinnern.

Viren mit Brücken und Kanälen

Reoviren sind unbehüllte Viren mit einem doppelsträngigen RNA-Genom, das in der Core-(Kern-) Schale liegt. Neben der RNA enthält diese auch eine RNA-abhängige RNA-Transkriptase. Den Kern schützt ein doppeltes Kapsid. Proteinbrücken und Kanäle verbinden das innere Kapsid mit dem äußeren und geben dem Virus so sein radähnliches Aussehen. Für das Virus bedeutet das doppelte Kapsid einen doppelten Schutz vor äußeren Einflüssen: eine hohe Umweltstabilität und eine hohe pH-Wert-Resistenz. Die Viren können sich über mehrere Monate in Flüssen und Abwässern aufhalten und tolerieren dabei pH-Werte zwischen 3,5 und 10. So ist es nicht verwunderlich, dass sie weltweit vorkommen und immer wieder Masseninfektionen verursachen.

Im Falle des Rotavirus besteht das Genom aus elf Segmenten. Viren können innerhalb der Wirtszelle diese Segmente untereinander austauschen, sodass verschiedene neue Mutanten entstehen. Vom Rotavirus sind bisher sieben Serogruppen bekannt, die die Bezeichnungen A bis G tragen. Nur Vertreter der Gruppen A, B und C sind humanpathogen. Auf der äußeren Kapsidhülle liegen die Oberflächenproteine VP4 und VP7. Das sind die Stellen, an denen das menschliche Immunsystem das Virus als Antigen erkennt. Die Oberflächenproteine kommen in verschiedenen Varianten vor, anhand derer die Klassifikation der Viren einer Serogruppe in verschiedene Serotypen erfolgt. Es gibt 24 Varianten des Oberflächenproteins VP4, abgekürzt mit dem Buchstaben »P«, und 16 VP7-Typen (»G«).

Die meisten Rotavirus-Erkrankungen in Deutschland gehen auf das Konto des Typen G1P1A. In Brasilien hingegen dominieren G5-Typen, in Indien G9 und in den USA G10. Eine Infektion mit einem Serotypen führt zu einer spezifischen Immunität, die jedoch nicht vor einer Infektion mit einem anderen Serotypen schützt und auch nicht lebenslang anhält. Deshalb können Touristen immer wieder an einer Reisediarrhö erkranken, auch wenn sie sich schon zuvor daheim oder in einem anderen Land mit Rotaviren infiziert hatten. Rotaviren sind für jede fünfte Reisediarrhö verantwortlich.

Gefahr für Säuglinge und Kleinkinder

Weit gefährlicher als für Reisende ist eine Rotaviren-Infektion für Säuglinge. Sie verfügen noch nicht über Antikörper und sind damit den Viren schutzlos ausgeliefert. Erst nach dem Kontakt mit mehreren Serotypen ist ihr Immunsystem in der Lage, die Infektionen abzuwehren. Lediglich sehr junge Säuglinge haben noch einen gewissen Nestschutz, den sie von ihrer Mutter übernehmen. Gestillte Kinder bekommen Rotavirus-Antikörper über die Muttermilch. Bis zu seinem fünften Geburtstag ist fast jedes Kind mindestens einmal mit Rotaviren infiziert. In der Altersgruppe zwischen sechs Monaten und zwei Jahren sind Rotaviren die häufigste Ursache für eine Behandlung im Krankenhaus.

Weit dramatischer als in den Industrienationen ist die Situation für Kinder in den Entwicklungsländern, wo sich etwa 85 Prozent der weltweiten Todesfälle nach einer Rotaviren-Infektion ereignen. Nach Schätzungen erkranken in Asien, Afrika und Lateinamerika jährlich über 100 Millionen Kinder, von denen bis zu 500.000 infolge einer Exsikkose sterben. Auch hierzulande gibt es noch Todesfälle, jedoch wissen die Eltern zunehmend um die Gefahr des Flüssigkeitsmangels nach Durchfall und Erbrechen und suchen mit ihren Kindern rechtzeitig einen Arzt auf. Erwachsene machen dank ihres Immunschutzes mit weniger als 20 Prozent nur einen kleinen Teil der Infizierten aus. Abgesehen von Reisenden und Eltern, die sich bei ihren Kindern anstecken, leben die meisten Betroffenen in Altenheimen. Aufgrund ihres hohen Alters und ihrer Konstitution ist auch für sie eine Infektion nicht harmlos.

Erkrankungen durch das Rotavirus sind in Deutschland seit dem Jahr 2001 meldepflichtig. In den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 traten weit weniger Infektionen auf als in den Jahren zuvor. Verzeichnete das Robert-Koch-Institut für das Jahr 2019 noch rund 36.000 Fälle, so waren es 2020 nur etwas mehr als 3.000 – der Trend setzt sich im Jahr 2021 fort. In der Hauptinfektionszeit zwischen Februar und April traten mit Stand 14. April 2021 nur 1219 Erkrankungen auf. Die Schließung der Kindereinrichtungen und vermehrte Hygienemaßnahmen haben die Verbreitung der Rotaviren wirkungsvoll verringert.

Im Wasser und auf Lebensmitteln

Wie die meisten Durchfallerreger verbreiten sich auch die Rotaviren auf fäkal-oralem Weg, durch Schmierinfektion, kontaminiertes Wasser und Lebensmittel. Infizierte Patienten scheiden die Erreger etwa acht Tage lang in großen Mengen, zwischen 109 und 1011 pro Gramm, mit dem Stuhl aus. Damit sich ein Kind infiziert, genügen schon zehn Virionen. Hauptreservoir ist der Mensch.

Nach oraler Aufnahme gelangen die Erreger in den Dünndarm und dringen in die Enterozyten der Darmschleimhaut ein. Sie halten sich bevorzugt in den Spitzen der Darmzotten auf. In der Wirtszelle streifen die Viren zunächst das äußere Kapsid ab und setzen das Genom in das Zellinnere frei. Zusammen mit der RNA gelangt die zugehörige Transkriptase ins Zytoplasma und das Endoplasmatische Retikulum und beginnt mit der Ablesung einer der beiden RNA-Stränge. Auf jedem Segment befindet sich die Information für ein Protein, demzufolge entstehen elf Proteine. Diese verbinden sich zur Core-Schale und den Kapsidhüllen der neuen Virionen. Am Endoplasmatischen Retikulum erfolgt die Endmontage der Virionen, indem ein neuer RNA-Strang in das Kapsid eingebaut wird. Im letzten Schritt entsteht im Kern der zweite RNA-Strang und komplettiert das Genom.

Die Virionen verlassen die Wirtszelle, die schließlich abstirbt. In der Folge nehmen die Länge und die Anzahl der Darmzotten ab, was zu einer Störung der Resorption von Wasser und Nährstoffen führt. Auf den Gewebeschaden reagiert die Dünndarmschleimhaut mit einer verstärkten Sekretion. Die im Darmlumen verbleibenden unverdauten Nahrungsbestandteile binden osmotisch das Wasser und führen zu einer Diarrhö. Der Patient leidet außerdem an Erbrechen, Fieber und Bauchschmerzen. Jeder zweite klagt außerdem über respiratorische Symptome. Unbehandelt kann der Flüssigkeitsmangel schnell zu einer Dehydratation und einer Elektrolytverschiebung führen. Die orale Substitution von Wasser und Elektrolyten ist in der Regel als Therapie ausreichend, in schweren Fällen erfolgt eine stationäre Aufnahme zur intravenösen Zufuhr von Flüssigkeit.

Impfung als beste Prophylaxe

Konsequente Hygienemaßnahmen wie Kontaktsperre, das Tragen von Handschuhen, Hände- und Wischdesinfektion können der hohen Ansteckungsfähigkeit entgegenwirken. Das unbehüllte Virus wird durch Desinfektionsmittel mit der Bezeichnung »viruzid« oder »begrenzt viruzid Plus« in genügend hoher Konzentration und Einwirkzeit inaktiviert.

In Deutschland sind zwei attenuierte Lebendimpfstoffe zur Schluckimpfung zugelassen: das monovalente Rotarix® und RotaTeq®, das aus fünf Virusstämmen besteht. Die Ständige Impfkommission STIKO empfiehlt je nach Impfstoff die zwei- oder dreimalige Applikation im Abstand von mindestens vier Wochen. Da die Antikörper gegen das Rotavirus aus der Muttermilch den Impferfolg herabsetzen können, sollte die Mutter ihr Kind direkt vor und einige Stunden nach der Impfung nicht stillen. Spätestens bis zur 32. Lebenswoche des Säuglings muss die Immunisierung abgeschlossen sein, weil mit zunehmendem Alter das Risiko für Darmeinstülpungen (Invaginationen) steigt. Dieses Risiko besteht auch bei einer Infektion mit dem Rotavirus.

Ziel der Impfempfehlung ist es, die Krankenhausaufenthalte zu verringern und die ökonomischen Auswirkungen von Epidemien in Gemeinschaftseinrichtungen zu vermindern. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt die Impfung weltweit. In den Entwicklungsländern sind die derzeit verfügbaren Impfstoffe jedoch weniger wirksam, was unter anderem am schlechten Ernährungszustand vieler Kinder liegen könnte. Parenteral zu applizierende Impfstoffe könnten dieses Problem lösen, die Forschungen dazu befinden sich derzeit in der klinischen Phase.

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