RSV bei Kindern |
Barbara Döring |
14.10.2022 09:00 Uhr |
Kinder im ersten Lebensjahr sind von RSV-Infektionen besonders häufig betroffen. / Foto: Adobe Stock/natalialeb
Die Corona-Maßnahmen und Kita-Schließungen in der ersten Phase der Pandemie waren wahrscheinlich der Grund, warum es im letzten Jahr schon Ende August bei Kindern eine ungewöhnlich hohe Zahl an RSV-Infektionen gab. Nachdem die Beschränkungen gelockert wurden, holten Kinder, die zuvor noch keinen Kontakt zu den Viren hatten, die Infektion nach. Das Robert-Koch-Institut hatte damals einen starken Anstieg der Krankenhaus-Einweisungen wegen RSV bei Ein- bis Vierjährigen gemeldet. Auch in diesem Sommer wurden bereits vereinzelt Kinder mit RSV-Infektion in Krankhäuser aufgenommen, wie die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie mitteilte. Normalerweise sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder bis zu einem Alter von zwei Jahren von einer RSV-Infektion betroffen, und das meist erst in der Hauptsaison zwischen November und April. Die Corona-Experten der Bundesregierung haben in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass auch in diesem Jahr spätestens im Herbst mit einer Häufung der RSV-Infektionen gerechnet werden könnte.
RS-Viren stammen wie auch Masern- und Mumps-Viren aus der Familie der Paramyxoviridae. Sie sind weltweit verbreitet und hochinfektiös. Die Ansteckung erfolgt über Tröpfcheninfektion oder kontaminierte Hände oder Gegenstände. Die ersten Symptome treten zwei bis acht Tage nach der Infektion auf. »Bei älteren Kindern ab dem Kindergartenalter oder bei Erwachsenen verläuft die Erkrankung meist wie ein Schnupfen«, sagt Professor Dr. Jörg Dötsch, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Köln und Mitglied des Expertenrats der Bundesregierung. Genau das sei aber auch das Kritische, wie Dötsch betont. Weil die Infektion bei älteren Kindern oder Erwachsenen meist harmlos verläuft und oft nicht einmal ein Halskratzen zu merken sei, würde auch nicht daran gedacht, kleine Kinder vor einer Ansteckung zu schützen.
In der Bevölkerung sind RSV-Infektionen weitgehend unbekannt und vielen Eltern ist nicht bewusst, dass die Infektion, die von ihnen selbst kaum bemerkt wird, gerade für Säuglinge und Kleinkinder zur gefährlichen Erkrankung werden kann. »Besonders die Kinder im ersten, manchmal auch im zweiten und dritten Lebensjahr, sind besonders stark von den jährlichen RSV-Infektionen betroffen«, sagt Dötsch. Das liegt vor allem daran, dass bei ihnen die Atemwege noch sehr eng sind. »Der Widerstand, den die Atemwege der Luft entgegenbringen, nimmt überproportional mit der Enge der Atemwege zu«, so Dötsch. Wenn sich der Durchmesser der Atemwege durch Zuschwellen der Schleimhäute bei der RSV-Infektion bei kleinen Kindern beispielsweise halbiert, führt dies dazu, dass der Luftwiderstand 16-mal höher wird. Ein kleiner Unterschied hat hier also große Auswirkungen. »Ein Säugling oder ein Frühchen, das besonders enge Atemwege hat, und vielleicht noch eine Lungenerkrankung, ist durch RSV deshalb viel schwerer betroffen als ein älteres Kind«, weiß Dötsch.
Gerade bei Frühgeborenen drohen Komplikationen wie Lungenentzündung oder Entzündung der kleinen Bronchien (Bronchiolitis), vor allem wenn sie unter einer chronischen Lungenerkrankung leiden oder mit einem angeborenen Herzfehler auf die Welt gekommen sind. Eine Infektion erkennt man daran, dass die Kinder kurzatmig werden und schneller und flacher atmen. Der Brustkorb bewegt sich beim Atmen angestrengter, das Gewebe zwischen den Rippen wird »angesaugt« und die Nasenflügel wackeln, beschreibt der Pädiater die Zeichen der Kurzatmigkeit. »Dann sollten Eltern mit ihrem Kind sehr schnell den Arzt oder in der Nacht oder am Wochenende eine Klinik aufsuchen«, rät Dötsch. Atmet das Kind sehr schwer und hat es Atemnot, ist das ein Grund, einen Notarzt zu rufen.
Mit einem Säugling oder Kleinkind sollte man immer zum Arzt gehen, auch wenn die Symptome nicht so stark ausgeprägt sind. »Beim Arzt oder in der Klinik gibt es häufig Schnelltests, mit denen sich innerhalb einer Stunde herausfinden lässt, ob es eine RSV-Infektion ist«, sagt Dötsch. Wird das Virus nachgewiesen, kann es sein, dass eine leichte Symptomatik erst der Anfang einer schweren Erkrankung ist. Junge Säuglinge oder Frühchen würden deshalb zunächst in der Klinik behalten, um den Verlauf der Infektion zu überwachen und um rechtzeitig handeln zu können, falls sich die Symptomatik verschlimmert. Eltern sollten diese Entscheidung nicht als bedrohlich empfinden, betont Dötsch. Das Kind in der Klinik zu behalten wäre nicht zwingend ein Zeichen, dass es dem Kind besonders schlecht geht, sondern eine Sicherheitsmaßnahme, um rechtzeitig behandeln zu können und zum Beispiel Sauerstoff zu geben, wenn es erforderlich ist. Eine spezifische Therapie gibt es bei einer RSV-Infektion nicht. Die Symptome wie Fieber, Husten oder Schnupfen können Eltern bei größeren Kindern wie bei einem grippalen Infekt dem Alter entsprechend behandeln.
Werdende Mütter könnten eventuell mit ihrer Ernährung schon während der Schwangerschaft zum späteren Schutz vor RSV ihres Kindes beitragen. Eine US-amerikanische Studie der Vanderbilt-University deutet darauf hin, dass eine kohlenhydratreiche Ernährung mit hohem Zuckerkonsum das Risiko für schwere Verläufe erhöht. Obst und Gemüse könnten dagegen einen schützenden Effekt haben. Darauf weist der Lungeninformationsdienst der Helmholtz-Gesellschaft hin.
Eine RSV-Infektion lässt sich nur schwer vermeiden. Eine Impfung gibt es nicht. Fast alle Kinder erkranken bis zum Alter von zwei Jahren daran. Das sei prinzipiell auch kein Problem, betont Dötsch. Bis zu zwölf Infektionen unterschiedlicher Art macht ein Kind bis zur Einschulung jedes Jahr durch. »Das ist auch wichtig, denn damit wird das Immunsystem vorbereitet, zwischen selbst und fremd zu unterscheiden«, sagt der Pädiater. Um Säuglinge und Kleinkinder mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf zu schützen, gibt es die RSV-Prophylaxe. Sie ist für Frühgeborene, bei Lungenerkrankung und angeborenem Herzfehler vorgesehen. Dabei handelt es sich um eine passive Immunisierung mit dem monoklonalen Antikörper Palivizumab. Der Antikörper bindet gezielt an das RS-Virus und unterstützt so die körpereigene Abwehr. Während der RSV-Saison wird Palivizumab alle vier Wochen insgesamt fünfmal intramuskulär injiziert. Bereits die erste Dosis bietet Schutz vor Infektion, das Wirkmaximum wird jedoch erst mit der zweiten Dosis erreicht. Bei einem früheren RSV-Saisonstart ist auch eine zeitigere Prophylaxe sinnvoll. »Gerade für Eltern mit Neugeborenen mit Herzfehler oder von Frühgeborenen ist es deshalb wichtig, engen Kontakt zum Kinderarzt zu halten«, rät Dötsch.
Vor Kurzem hat mit Nirsevimab ein weiterer monoklonaler Antikörper die Zulassungsempfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA erhalten. Im Falle einer Zulassung wäre es die erste passive Immunisierung auch für gesund Geborene, bei der zudem eine einzelne Dosis ausreicht. Zusätzlich Schutz vor Infektion bieten die allgemein bekannten Hygieneregeln wie regelmäßiges Händewaschen und das Reinigen von Kinderspielzeug, das kontaminiert sein könnte. Personen mit grippeähnlichen Symptomen sollten den Kontakt zu Kindern mit erhöhtem Risiko meiden oder einen Mund-Nasen-Schutz tragen.
Auch im Alter besteht ein höheres Risiko, dass eine RSV-Infektion schwer verläuft. Die Firma GlaxoSmithKline forscht an einer aktiven Immunisierung für Menschen ab 60 Jahre. Der Impfstoff befindet sich zurzeit in der Studienphase 3. Das Unternehmen hat bereits positive Ergebnisse vorgestellt. Demnach wird das Risiko für eine schwere Erkrankung der unteren Atemwege (LRTI-RSV) um 85,7 Prozent reduziert. Noch in diesem Jahr wird der Antrag auf Zulassung eines RSV-Impfstoffs für Menschen ab 60 Jahre erwartet.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.