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Abgabestatus von Arzneimitteln

Rx oder OTC, das ist hier die Frage

Andere Länder, andere Sitten: Das gilt auch beim Abgabestatus von Arzneimitteln, selbst innerhalb der EU. Die Mitgliedsstaaten dürfen selbst festlegen, welche Arzneimittel verschreibungspflichtig sind, und dabei nationale Begebenheiten berücksichtigen. Eine Ausnahme sind zentral zugelassene Mittel.
Nicole Schuster
14.12.2020  08:30 Uhr

Auch Apothekenmitarbeiter müssen in seltenen Fällen erst auf die Faltschachtel schauen, wenn ein Patient fragt, ob ein Arzneimittel verschreibungspflichtig sei. Verwundern kann, dass Kunden im Ausland das gleiche Medikament bisweilen auch ohne Rezept bekommen können.

Das liegt daran, dass die Verschreibungspflicht nicht weltweit, noch nicht einmal europaeinheitlich umgesetzt ist. Man kann also durchaus legal ein Medikament ohne Rezept im Ausland bekommen, für das in Deutschland eine Verschreibung erforderlich ist. »Für Mitgliedsstaaten der Europäischen Union enthält der Kodex für Humanarzneimittel (Richtlinie 2001/83/EG) die grundlegenden Kriterien dafür, dass ein Arzneimittel auf ärztliche Verschreibung hin abgegeben werden darf«, sagt Britta Ginnow, Master of Drug Regulatory Affairs und Arzneimittelexpertin beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), im Gespräch mit PTA-Forum. »Die EU-Regelungen sind in nationales Recht umgesetzt, dennoch können die Mitgliedsstaaten auf Basis gleicher Kriterien zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen.«

Eine Ausnahme sind zentral zugelassene Arzneimittel: Bei ihnen ist der Abgabestatus grundsätzlich für die gesamte EU einheitlich. Doch auch hier können sich einzelne Staaten Sonderregeln herausnehmen. So ist zum Beispiel das zentral zugelassene Notfallkontrazeptivum Ulipristal (EllaOne®) in Polen anders als im Rest der EU nur gegen ärztliches Rezept erhältlich.

AMVV gibt Regeln vor

Ob ein Arzneistoff nur gegen ärztliche Verschreibung oder auch ohne abgegeben werden darf, bestimmt in Deutschland die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV). Die Anlage 1 der Verordnung listet Stoffe und Zubereitungen auf, die verschreibungspflichtig sind und legt auch Ausnahmen fest. Ein Sachverständigen-Ausschuss ist bei Änderungen des Abgabestatus (sogenannter »Switch«) anzuhören. Er tagt in der Regel zweimal im Jahr. Nicht immer hängt es nur vom Wirkstoff an sich ab, ob ein Präparat rezeptpflichtig ist oder nicht. »Der Abgabestatus kann auch von bestimmten Dosierungen, Darreichungsformen oder Anwendungsbereichen abhängen. Einschränkungen hinsichtlich Höchstmengen für den Einzel- und Tagesgebrauch sind ebenfalls möglich.« Ein Beispiel ist Pantoprazol. Der Wirkstoff ist verschreibungspflichtig, ausgenommen sind allerdings gemäß Anlage 1 der AMVV »Arzneimittel in Packungsgrößen von nicht mehr als 14 abgeteilten Einheiten in einer Einzeldosis von 20 mg und in einer Tageshöchstdosis von 20 mg für eine kurzzeitige, ohne ärztliche Beratung auf maximal 4 Wochen und bei täglicher Einnahme auf maximal 2 Wochen begrenzte Behandlung von Reflux-Symptomen (wie Sodbrennen und saures Aufstoßen) bei Erwachsenen«.

Wie Deutschland haben auch die anderen EU-Länder die Vorgaben zur Verschreibungspflicht in eigenes Länderrecht umgesetzt. Die Folge ist, dass ein Arzneimittel in einem anderen Mitgliedstaat einen anderen Abgabestatus haben kann als bei uns. So ist zum Beispiel das Abführmittel Bisacodyl anders als in Deutschland in Polen und der Republik Irland nur auf ärztliche Verschreibung erhältlich. Ohne Rezept bekommen Polen hingegen die Antitussiva Codein und Levodropropizin.

Allerdings halten sich nicht überall Apotheken gleich konsequent an die Verschreibungsvorschrift. Das gilt sogar für Antibiotika, die in jedem EU-Land verschreibungspflichtig sind. Eine Studie von 2017 im Auftrag der Europäischen Kommission der Universität Antwerpen und des Netherlands institute for health services research (NIVEL) mit dem Titel »Antimicrobial resistance and causes of non-prudent use of antibiotics in human medicine in the EU« ergab, dass vor allem im Süden Europas in Ländern wie Griechenland, Zypern und Rumänien auch regelmäßig rezeptpflichtige Antibiotika ohne Rezept abgegeben werden.

Von Rx zu OTC

Warum braucht man für so viele Arzneimittel überhaupt ein Rezept? »Die Verschreibungspflicht dient der Patentensicherheit«, sagt Ginnow. »Daher unterliegen neue Wirkstoffe erstmal der Rezeptpflicht.« Das ist sinnvoll, da die neuen Wirkstoffe in der medizinischen Wissenschaft noch nicht allgemein etabliert sind. Durch die Rezeptpflicht werden für einen gewissen Zeitraum eine ärztliche Kontrolle und Überwachung gewährleistet. Zeigt diese Phase, dass die Anwendung sicher ist und sich das Präparat auf dem Markt bewährt, kann der OTC-Switch erfolgen. Die Kriterien, die dazu zu erfüllen sind, hat die Europäische Kommission in einer eigenen Guideline (Switch-Guideline) formuliert. Sind diese erfüllt, kann das Mittel aus der Verschreibungspflicht in die Selbstmedikation wechseln. So geschah es dieses Jahr in Deutschland mit dem Antihistaminikum Desloratadin und 2019 mit Diclofenac als Pflaster und Levocetirizin.

Aber auch der umgekehrte Fall, ein »Re-Switch« ist möglich. Ein prominentes Beispiel ist 2015 Chinin gegen nächtliche Wadenkrämpfe, das unter die Verschreibungspflicht gestellt wurde. »Switches von national zugelassenen Produkten sind Ländersache und der pharmazeutische Unternehmer muss in jedem Land einen Antrag stellen«, erzählt die Expertin. Desloratadin erfuhr zum Beispiel bisher nicht in allen EU-Ländern einen OTC-Switch. In zahlreichen Ländern wie Lettland, Litauen, den Niederlanden und Portugal braucht man weiterhin ein Rezept. In Deutschland ist hingegen das Antiallergikum Fexofenadin nach wie vor rezeptpflichtig, in Österreich und Italien nicht mehr.

Möglich ist es zwar auch, einen »zentralen Switch«, also die EU-weite Überführung in den OTC-Status, zu beantragen. Das ist aber riskant: Wird der Antrag abgelehnt, kann das pharmazeutische Unternehmen ihn in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht noch einmal stellen.

UK und USA

»Großbritannien ist bisher in seinem nationalen Recht weitgehend den Vorgaben der EU-Richtlinie gefolgt«, sagt die Geschäftsfeldleiterin Arzneimittelzulassung des BPI. Ob das Land in Zukunft davon abweicht und eigene Regeln machen wird, ist nicht auszuschließen, zurzeit aber noch unklar.

Länder außerhalb der EU haben ihre eigenen Systeme zur Abgabe von Arzneimitteln. Beispiel USA: Auch hier gibt es frei verkäufliche Medikamente und rezeptpflichtige. Beide dürfen in Drugstores und Supermärkten angeboten werden, damit Patienten ständig Zugang zu Arzneimitteln mit erschwinglichen Preisen haben. Rezeptfreie Präparate kann man in den USA typischerweise abgefüllt in Glas- oder Plastikfläschchen kaufen, rezeptpflichtige Medikamente bekommen aber auch die Amerikaner nur gegen Rezept vom Apothekenpersonal. Anders als bei uns gibt es keine festen Packungsgrößen. Stattdessen erhalten Patienten aus Kostengründen immer nur individuelle Arzneimittelmengen, maximal eine Monatsration. Unangenehm für den Patienten ist, dass er für Folge-Medikamente (»Refills«) wiederholt zum Supermarkt oder Drugstore kommen muss.

Wer in Amerika ein freiverkäufliches Arzneimittel kauft, dem mag auffallen, dass einige davon in Deutschland rezeptpflichtig sind. Beispiele sind Fexofenadin oder Kombipräparate für Kinder etwa ein Arzneimittel mit Dextromethorphan und Guaifenesin, also einem Hustenstiller und einem Hustenlöser. Ibuprofen 200 mg können Amerikaner ohne Rezept in Dosen mit bis zu 1000 Tabletten kaufen. Antibiotika gibt es allerdings auch in den USA nur auf Rezept. Das gilt aber nicht für Antibiotika für Tiere. Diese können Verbraucher rezeptfrei in der Drogerie kaufen. Da sie oft preisgünstig sind und kein Arztbesuch erforderlich ist, besteht aber die Gefahr, dass diese Medikamente auch missbräuchlich angewendet werden.

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