Schadet Mikroplastik der Gesundheit? |
Mit jedem Schritt,, den Menschen in Schuhen mit Kunststoffsohlen gehen, entstehen durch den Abrieb auch Partikel von Mikroplastik. / Foto: Adobe Stock/dbunn
Nach Angaben der Weltnaturschutzunion (IUCN) gelangen pro Jahr 3,2 Millionen Tonnen Mikroplastik in die Umwelt. Ein Teil stammt aus Plastikabfällen, die sich unter dem Einfluss von UV-Strahlung, Bakterien, Salz, Temperaturschwankungen und Reibung zersetzen. Ein weiterer Teil wird durch den mechanischen Abrieb von Reifen freigesetzt. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts gelangt in Deutschland rund ein Drittel des gesamten Mikroplastiks auf diesem Weg in die Umwelt. Ebenfalls unter den Top 10 der Eintrittspfade befinden sich Emissionen bei der Abfallentsorgung, der Abrieb von Asphalt, Fahrbahnmarkierungen und Schuhsohlen, Verwehungen der Beläge von Sport- und Spielplätzen und Freisetzungen auf Baustellen.
Die ersten Nachweise von Mikroplastik in der Umwelt reichen zurück in die 1970er Jahre als Wissenschaftler kleine Kunststoffpartikel an Stränden, in Meerwasserproben sowie den Mägen von Fischen und Wasservögeln entdeckten. Inzwischen lässt sich Mikroplastik nicht nur in praktisch allen Teilen der Umwelt, sondern auch in der Lebenswelt der meisten Menschen nachweisen. Es findet sich in Trinkwasser und Nahrung, im in der Luft befindlichen Staub, in Kosmetikartikeln und Reinigungsmitteln.
Durchschnittlich fünf Gramm Mikroplastik – das entspricht etwa dem Gewicht einer Kreditkarte – sollen pro Woche und Kopf in den menschlichen Magen-Darm-Trakt gelangen. Mikroplastik konnte dementsprechend in Stuhlproben sowie dem Gewebe des Magen-Darm-Trakts nachgewiesen werden. Auch in der Lunge und der Plazenta wurden Wissenschaftler bereits fündig. Im vergangenen Jahr konnten niederländische Forscher zeigen, dass Mikroplastik bis ins menschliche Blut vordringen kann. Das Team um Dick Vethaak fand in 17 von insgesamt 22 Blutproben Plastikpartikel mit einer Größe von 0,0007 Millimetern. Darüber hinaus gelang es den Wissenschaftlern, verschiedene Kunststoffe in den Blutproben nachzuweisen. Sie fanden zum Beispiel Rückstände von PET-Kunststoffen, die für die Herstellung von Getränkeflaschen verwendet werden, Rückstände von Polystyrol, das in Joghurtbechern verarbeitet wird, und solche von Polyethylen, das für die Herstellung von Plastiktüten genutzt wird.
Mikroplastik wurde durch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und das Umweltbundesamt (UBA) als feste, wasserunlösliche Kunststoffpartikel, die fünf Millimeter und kleiner sind, definiert. In der Wissenschaft wird weiter differenziert. Hier gelten Plastikteilchen zwischen 0,001 und 5 Millimetern als Mikroplastik. Unter 0,001 Millimetern wird von Nanoplastik gesprochen.
Was Mikroplastik im menschlichen Organismus macht und ob die Aufnahme Folgen für die Gesundheit hat, ist bisher weitgehend unbekannt. In Untersuchungen mit Mäusezellen konnten Wissenschaftler beobachten, dass diese Mikroplastik aufnehmen können. Bekannt ist, dass die vorliegenden physikochemischen Gegebenheiten die Aufnahme von Mikroplastikpartikeln in das Gewebe beeinflussen können. Wird Mikroplastik in Gewebe aufgenommen, könnte es dort Mechanismen aktivieren, die an lokalen Entzündungs- und Immunreaktionen beteiligt sind. Experimentelle Studien weisen darauf hin, dass Mikroplastik zu Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms führen kann, was wiederum mit der Entstehung von Diabetes, Adipositas oder chronischen Lebererkrankungen in Verbindung gebracht wird. Die niederländischen Forscher halten es zudem theoretisch für möglich, dass im Blut zirkulierendes Mikroplastik in Immunzellen vordringen oder sich an Proteine und Lipide anheften könnte.
Weitgehende Einigkeit besteht derzeit darüber, dass es umso öfter zu Wechselwirkungen mit menschlichem Gewebe und einzelnen Zellen kommt, je kleiner die Partikel sind. Größere Partikel werden ähnlich wie aufgenommene Sandkörner durch biologische Barrieren daran gehindert, in den Organismus vorzudringen und ausgeschieden.
Erfahrungen aus anderen Forschungsbereichen zeigen zudem, dass die Interaktion des Organismus mit Mikroplastik von vielen weiteren Faktoren beeinflusst wird. Einer davon ist die Umweltkonzentration, also die Menge an Mikroplastik, der ein Organismus ausgesetzt ist. So ließ sich beobachten, dass das Füttern von Wassertieren mit Mikroplastik unter Laborbedingungen zu Veränderungen der Tiere führt. Gleichzeitig zeigen aktuelle Umweltrisikobewertungen, dass von der derzeitigen Umweltkonzentration an Mikroplastik keine Gefahr für Wasserorganismen ausgeht. In Bezug auf die menschliche Gesundheit vermuten Experten, dass neben der vorhandenen Menge, Form und Größe der Mikroplastikpartikel auch ihre Beladung, die bei ihrer Interaktion mit der Umwelt zustande kommt, eine Rolle spielt.
Auf Grundlage des derzeitigen Wissensstands gehen die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) davon aus, dass von Mikroplastikpartikeln in Lebensmitteln keine gesundheitlichen Risiken für den Menschen ausgehen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt die Situation so ein, dass Mikroplastik in Trinkwasser kein gesundheitliches Risiko darstellt. Zum jetzigen Zeitpunkt nehmen Experten an, dass die aufgenommenen Mikroplastikteile überwiegend ausgeschieden werden. Klar ist aber auch, dass eine abschließende Risikobewertung derzeit nicht möglich ist und es weiterer Forschung und Erhebung von Daten bedarf. Unklar sind auch die langfristigen Folgen der Belastung mit Mikroplastik. So schätzt die Europäische Chemikalienagentur Mikroplastik als unkalkulierbares Risiko ein, dessen Folgen möglicherweise noch nicht aktuell sichtbar, aber aufgrund der Anreicherung des Materials in der Umwelt in einigen Jahrzehnten zu irreversiblen Schäden führen könnte.
Um sich künftig mehr auf verlässliches Wissen als auf Hypothesen stützen zu können, ist im April 2021 das europäische Forschungsvorhaben »Plastics Fate and Effect in the human body« (kurz: »PlasticsFatE«) gestartet, an dem 27 europäische Universitäten, Forschungsinstitute und -organisationen beteiligt sind. Ziel ist es, den Verbleib und die Wirkungen von Mikro- und Nanoplastik im menschlichen Organismus zu erfassen und belastbare Gefahreneinschätzungen sowie wirksame Maßnahmen zur Risikominimierung abzuleiten. So soll zum Beispiel mit eigens entwickelten Analyse- und Testmethoden bestimmt werden, wie viele Kunststoffpartikel tatsächlich im Körper verbleiben. Zudem sollen die unterschiedlichen Eigenschaften der Partikel und die Auswirkungen gebundener Schadstoffe berücksichtigt werden. Welche Toxizität Letztere besitzen, wo sie verbleiben und welchen Schaden sie im menschlichen Körper verursachen, ist ebenfalls unbekannt. Aktuell gelten für an Mikroplastik gebundene Schadstoffe die EU-Höchstgehalte beziehungsweise die nationalen Höchstgehalte für Rückstände und Kontaminanten.
Während die Forschung ihre Risikobewertung nicht abgeschlossen hat und noch viele offene Fragen sieht, hat sich die Bevölkerung ihre Meinung bereits gebildet. Dabei wird das Risiko durch Mikroplastik deutlich höher eingeschätzt als es derzeit durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden würde. Das zeigt eine repräsentative Umfrage mit 1027 Personen, die unter der Federführung des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) durchgeführt wurde. Hier gaben 93 Prozent der Befragten an, dass Mikroplastik eher negative oder sehr negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit habe. Dabei zeigten Frauen und Menschen über 50 Jahre eine höhere Risikowahrnehmung als Männer und jüngere Personen. Zudem spielten das Umweltbewusstsein und die Kenntnis von Medienberichten eine Rolle.