Schilddrüsenprobleme? Die Ursache kann im Hirn liegen |
Erhöhte Werte für TSH, T4 und T3 können ihre Ursache auch in einem Adenom der Hirnanhangsdrüse haben. / Foto: Adobe Stock/Saiful52
Die etwa erbsengroße Hypophyse regelt das Hormonsystem des Menschen. Sie liegt an der Schädelbasis zwischen dem Gehirn und den Nasengängen und besteht aus einem Vorder- und einem Hinterlappen. Die Drüse produziert Hormone, mit denen sie Prozesse wie Wachstum, Fortpflanzung und Stoffwechsel steuert. So regt etwa Prolaktin die Muttermilchbildung in der Brustdrüse an, während das adrenocorticotrope Hormon (ACTH) die Produktion von Glucocorticoiden wie Cortisol in der Nebennierenrinde stimuliert. Somatotropin (Wachstumshormon, englisch Growth Hormon, GH) ist wichtig für das Wachstum und die Differenzierung von Zellen. Das Follikelstimulierende Hormon (FSH) und das Luteinisierende Hormon (LH) regulieren die Hormonbildung in Eierstöcken und Hoden. Und auch das Thyroidea-stimulierende Hormon (TSH) stammt aus der Hypophyse. Es regt die Produktion von Schilddrüsenhormonen an.
Wenn Zellen dieses Drüsengewebes unkontrolliert wachsen, entsteht ein Adenom. Hypophysenadenome machen etwa 10 bis 15 Prozent der Tumore im Kopf bei Erwachsenen aus und äußern sich lange Zeit mit kaum oder unspezifischen Symptomen. Die meisten Patienten erkranken zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr. Bei erfolgreicher Behandlung schränkt ein Adenom die Lebenserwartung nicht ein. Die Krankheitszeichen hängen davon ab, ob der Tumor Hormone produziert, wie groß er ist und wo er liegt. Bei der Wahl der Therapie berücksichtigen Ärzte die Größe der Neubildung und ob das Adenom klinische Auswirkungen hat. Kleine Tumore und solche, die keine oder kaum Hormone produzieren, erfordern oftmals keine Behandlung. Dennoch ist dann eine regelmäßige Überprüfung vonnöten, ob sich die Zellwucherung verändert.
Tumore der Hypophyse können Symptome, die aus ihrer Raumforderung entstehen, verursachen und endokrine Störungen auslösen. Einschränkungen des Gesichtsfeldes, manchmal auch Doppelbilder, entstehen, wenn der meist langsam wachsende Tumor auf den über der Hirnanhangsdrüse liegenden Sehnerven drückt. Kopfschmerzen oder epileptische Anfälle resultieren, wenn die Geschwulst einen erhöhten intrakraniellen Druck verursacht.
Eine Hypophyseninsuffizienz ist die Folge, wenn große Tumore umliegendes Gewebe verdrängen und die normale Hormonproduktion der Hirnanhangsdrüse beeinträchtigen. Meistens sind davon die gonadotrope und die somatotrope Achse betroffen. Bei einem Mangel an FSH und LH haben Frauen vor der Menopause Zyklusstörungen und Amenorrhoe, bei Männern stellen sich Libidoverlust und Erektionsstörungen ein. Wenn die Insuffizienz das Wachstumshormon betrifft, beeinflusst das im Erwachsenenalter den Stoffwechsel und es entwickeln sich metabolische Störungen.
Da ein isolierter Somatotropin-Mangel bei Erwachsenen noch nicht ausreichend untersucht ist, lässt er sich klinisch schwer fassen. Etwa die Hälfte der Adenome beeinflussen die thyreotrope und kortikotrope Achse. Bei einer kortikotropen Insuffizienz produzieren die Nebennieren zu wenig Cortisol. Schwäche, Müdigkeit, Gewichtsverlust, niedrige Blutzuckerspiegel und Frösteln sind mögliche Anzeichen. Bei der thyreotropen Insuffizienz entsteht eine Schilddrüsenunterfunktion. Patienten bemerken Symptome wie eine Gewichtszunahme, Müdigkeit, trockenes, struppiges Haar, Verstopfung, leichtes Frieren und Ödeme. Vor allem bei kleinen Adenomen, die erst einmal beobachtet werden, verschreibt der Endokrinologe bei erniedrigten Hormonwerten Schilddrüsenhormone zur Substitution.
Die meisten Hypophysenadenome sezernieren jedoch Hormone. Die Art der Zellen, aus denen das Adenom hervorgegangen ist, bestimmt, welche Hormone es produziert. Am häufigsten kommen Prolaktinome vor, die Prolaktin sezernieren. Wenn das Wachstumshormon betroffen ist, entwickeln Patienten eine Akromegalie. Ein Überschuss an Adrenocorticotropem Hormon (ACTH) löst Morbus Cushing aus. Selten betrifft die Mehrsekretion das thyreotrope Hormon (TSH) oder LH/FSH. Einige Tumore sezernieren mehr als ein Hormon, wobei die häufigste Kombination aus GH und Prolaktin besteht. Das äußert sich in unerwartetem Knochenwachstum und sowohl bei Männern als auch bei Frauen als Laktation.
Art des Adenoms | Sezernierte Hormone | Symptome | Ungefähre Häufigkeit |
---|---|---|---|
Prolaktinom | Prolaktin | Galaktorrhoe, Hypogonadismus, Amenorrhoe, Unfruchtbarkeit, Impotenz | 30–48 % |
somatotrope Adenome | Wachstumshormon (GH) | Akromegalie bei Erwachsenen, Gigantismus bei Kindern | 10 % |
corticotrope Adenome | Adrenokortikotropes Hormon (ACTH) | Cushing-Syndrom | 2–6 % |
gonadotrope Adenome | Luteinisierendes Hormon (LH), Follikelstimulierendes Hormon (FSH) | ovarielle Überstimulation beziehungsweise Amenorrhoe bei Frauen möglich, Hypergonadismus bei Männern | 10 % |
thyreotrope Adenome | Thyroidea stimulierendes Hormon (TSH) | Hyperthyreose oder symptomlos | > 1 % |
Thyreotrope Zellen machen weniger als 5 Prozent aller Hypophysenzellen aus. Das kann zum Teil erklären, warum TSH-sezernierende Adenome mit weniger als 1 Prozent aller hormonaktiven Adenome der Hypophyse so selten sind. Ist die Produktion von TSH pathologisch gesteigert, entsteht eine Hyperthyreose. Die TSH-Sekretion erfolgt dabei autonom und lässt sich nicht mehr durch die negative Rückkopplung von Schilddrüsenhormonen steuern. Die Schilddrüse wird überstimuliert und seziert T4 und T3 im Überschuss. Da der Auslöser dieser Überfunktion im Gehirn liegt, spricht man von einer zentralen oder sekundären Hyperthyreose. Wie bei anderen Formen der Hyperthyreose äußern sich die Symptome als Tachykardie, übermäßiges Schwitzen, Unruhe und Gewichtsabnahme.
Diese Thyreotropinome, auch als TSH-Ome bezeichnet, können sich in jedem Alter bilden und treten im Gegensatz zu den häufigen Schilddrüsenerkrankungen nicht bevorzugt bei Frauen auf. Thyreotrope Zellen haben die gleiche Hypophysen-Transkriptionsfaktoren (etwa Prop-1 und Pit-1) wie somatotrope, also Wachstumshormon produzierende Zellen, und laktotrope Zellen, die Prolaktin herstellen. Daher kann eine Hypersekretion von GH und Prolaktin, die zu einer Akromegalie beziehungsweise einem Amenorrhoe-Galaktorrhoe-Syndrom führt, mit dem TSH-Überschuss assoziiert sein.
Die Zahl der diagnostizierten Thyreotropinome hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Hochempfindliche immunometrische Tests ermöglichen es, zwischen einer primären Hyperthyreose wie Morbus Basedow und einer zentralen Hyperthyreose zu unterscheiden. Die modernen Tests können helfen, Fehldiagnosen zu vermeiden. Patienten mit Thyreotropinom, denen fälschlicherweise eine primäre Hyperthyreose diagnostiziert wird, bekommen oft unnötigerweise operativ oder mit Radiojod die Schilddrüse entfernt. Das Adenom bleibt währenddessen unentdeckt, kann weiterwachsen und die Behandlung wird immer schwieriger.
Viele Thyreotropinome werden erst im Stadium der Makroadenome diagnostiziert, wenn der Tumor also schon recht groß ist. Oft ist das Adenom dann bereits in umgebende Strukturen wie der Dura mater eingewachsen und kann dadurch Störungen verursachen. Viele Patienten mit Thyreotropinomen leiden daher unter Symptomen, die mit der Raumforderung der Hypophysenadenome in Zusammenhang stehen wie Sehverlust, Gesichtsfeldausfälle, Kopfschmerzen oder Funktionsverluste der Hormondrüse. Und: Die invasiven Makroadenome kommen besonders häufig bei Patienten vor, deren Schilddrüse durch Operation oder Radiojod entfernt worden ist.
Bei Patienten mit Verdacht auf ein Hypophysenadenom dient eine MRT-Untersuchung dazu, zwischen dem Adenom und anderen Wucherungen, Zysten oder Metastasen zu unterscheiden. Hinweise auf ein Thyreotropinom kann eine Blutuntersuchung geben. Typischerweise sind sowohl TSH als auch die freien Schilddrüsenhormone erhöht. Der meist erhöhte TSH-Wert ist sonst untypisch für eine Schilddrüsenüberfunktion und gibt einen ersten Hinweis auf ein Adenom als Ursache.
Ist die sogenannte Alpha-Subunit erhöht, spricht das ebenfalls für ein Adenom. Diese Protein-Untereinheit der Glykoproteinhormone haben die vier Hormone LH, FSH, TSH und humanes Choriongonadotropin (hCG) gemeinsam. Neurologische Symptome wie Sehstörungen oder Kopfschmerzen oder klinische Merkmale einer gleichzeitigen Hypersekretion anderer Hypophysenhormone (Akromegalie, Galaktorrhoe/Amenorrhoe) können den Verdacht weiter erhärten.
Bei einem TSH-Om schneidet ein Chirurg in der Regel das Adenom aus der Hypophyse heraus. Bis zur Operation erhalten Patienten Thyreostatika und Propranolol, um die Euthyreose wiederherzustellen. Die radikale Entfernung großer Adenome, die immer noch die Mehrheit der Thyreotropinome ausmachen, ist nicht möglich, wenn sie in benachbarte Hirnstrukturen eingedrungen sind. Bei vielen Patienten verbleibt daher nach der Operation ein Rest des Hypophysenadenoms. Dieser kann mit einer Bestrahlung oder einer Pharmakotherapie behandelt werden.
Die Schilddrüse kann nicht tun und lassen, was sie will. Normalerweise ist sie eingebunden in einen hormonellen Regelkreis, der mittels eines negativen Feedback-Mechanismus dafür sorgt, dass der Körper je nach Bedarf mit der erforderlichen Menge an Schilddrüsenhormonen bedient wird. TSH-sezernierende Adenome setzen diesen Mechanismus außer Kraft. / Foto: Stephan Spitzer
Fast alle Thyreotropinome exprimieren Somatostatin-Rezeptoren. Eine medikamentöse Behandlung mit langwirksamen Somatostatin-Analoga wie Octreotid oder Lanreotid bremst das Tumorwachstum und kann das Adenom sogar verkleinern. In den meisten Fällen reduziert die Therapie die übermäßige TSH-Sekretion. Dadurch normalisieren sich die Spiegel an freien Schilddrüsenhormonen, und der euthyreote Zustand stellt sich wieder ein. Bisweilen können die Arzneimittel die TSH-Sekretion sogar so stark senken, dass eine Hypothyreose entsteht. Die Verträglichkeit der Therapie ist meist gut, gastrointestinale Nebenwirkungen bei langwirksamen Analoga sind in der Regel vorübergehend.
Die seltenen Thyreotropinomen sind noch nicht ausreichend erforscht. Sowohl zur genauen Diagnostik als auch optimalen Therapie wenden sich Patienten daher am besten an ein hoch spezialisiertes Zentrum.