Schizophrenie-Therapie meist lebenslang |
In der Therapie von Psychosen spielen Antipsychotika eine entscheidende Rolle. / Foto: Adobe Stock/Alta Oosthuizen
In der Therapie von Psychosen spielen Antipsychotika eine entscheidende Rolle. Einige Experten beklagen zwar den Einsatz zu hoher Antipsychotika-Dosierungen in der Behandlung zugelassener Indikationen sowie eine leichtfertige Anwendung und ungerechtfertigte Ausweitung von Off-Label-Verschreibungen. Mehrheitlich betonen Fachleute jedoch, dass eine verantwortungsvolle, in der Dosierung auf das klinische Zustandsbild abgestimmte Gabe von Antipsychotika gelebte Praxis in den psychiatrischen Kliniken und bei den niedergelassenen Fachärzten ist.
Nach der chemischen Grundstruktur werden Antipsychotika prinzipiell unterteilt in trizyklische Antipsychotika und hier unter anderem in Phenothiazine, Thioxanthene und Dibenzodiazepine sowie Butyrophenone, Diphenylbutylpiperidine, Benzisoxazolpiperidine, substituierte Benzamide, Benzisothiazolderivate, Dichlorphyenyl-Piperazinyl-Quiloninon oder Dichlorophenylpiperazin-Derivate. Ebenso unterschiedlich wie die Grundstrukturen sind die Wirkmechanismen.
So liegt den Antipsychotika der ersten Generation als gemeinsamer Wirkansatz die sogenannte Dopamin-Hypothese zugrunde, die besagt, dass bei Schizophrenie-Patienten eine Dysregulation des dopaminergen Systems zu verzeichnen ist. Dabei wird die Negativ-Symptomatik der Schizophrenie (unter anderem Affekt-Verarmung, Einschränkung der emotionalen Erlebnisfähigkeit, Reduktion der Gefühle) durch eine Hypoaktivität im frontalen Bereich des Großhirns erklärt. Die Positivsymptomatik wiederum (Halluzinationen wie das Hören von Stimmen oder Wahnvorstellungen) beschreiben Wissenschaftler als eine Hyperaktivität im mesolimbischen System, also in Teilen des Mittel- und Zwischenhirns.
Antipsychotika der ersten Generation sind Dopamin-Rezeptor-Antagonisten. Mit Hilfe dieser auch als Typika bezeichneten Gruppe wird versucht, das mesolimbische Gleichgewicht der Botenstoffe wiederherzustellen, damit die Psychose abklingt. Typische Neuroleptika, die über eine Blockade der D2-Rezeptoren als Untergruppe der Dopamin-Rezeptoren den Dopamin-Überschuss abfangen, vermindern vorrangig die Positivsymptomatik und wirken zudem sedierend.
Dieser Effekt wird jedoch von mitunter sehr belastenden extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen begleitet. So verstärkt die unspezifische D2-Blockade der Antipsychotika der ersten Generation die Negativsymptomatik mit einer verringerten kognitiven Leistungsfähigkeit, einem reduzierten Antrieb und einer gedrückten Stimmung.
Durch den Eingriff in das sogenannte nigrostriatale System, also das reziproke Bahnsystem zwischen der Substantia nigra und dem Corpus striatum mit Dopamin als Neurotransmitter, verursacht die D2-Hemmung Parkinson-ähnliche Symptome (Parkinsonismus) sowie Früh- und Spätdyskinesien. Dazu gehören unwillkürliche Bewegungen der Gesichts-, Zungen- oder Extremitätenmuskulatur, Gang- und Haltungsstörungen oder Unruhe mit Bewegungsdrang. Diese Nebenwirkungen hängen vom Rezeptorprofil des Wirkstoffs ab. Die Häufigkeit des Auftretens steigt mit höherer Dosierung. Arzneistoffe der ersten Generation sind unter anderem Benperidol, Chlorprothixen, Droperidol, Haloperidol, Promethazin und Melperon.
Die Antipsychotika der zweiten Generation funktionieren nach einem anderen Wirkprinzip. Diese »Atypika« blockieren die 5 HT2a-Rezeptoren als Untergruppe der 5 HT-, also Serotonin-Rezeptoren, was mit einer sehr viel sensibleren Modulation der Dopamin-Ausschüttung einhergeht. Das bedeutet, die Positivsymptomatik schwächt sich ab, und die Negativsymptomatik bessert sich.
Im Vergleich zu den Typika verursachen Atypika keine beziehungsweise geringere extrapyramidal-motorische Symptome. Auch nimmt die graue Hirnsubstanz unter diesen Wirkstoffen wieder zu, während der Schizophrenie-bedingte Abbau unter den Antipsychotika der ersten Generation voranschreitet.
Auch das ist ein Grund, warum die Antipsychotika zweiter Generation heute bevorzugt und auch länger gegeben werden. Allerdings nehmen Patienten durch die 5 HT2a-Blockade abhängig vom Wirkstoff erheblich zu, ein metabolisches Syndrom kann sich ausprägen, mit den entsprechenden negativen Effekten. Zu den Arzneistoffen der zweiten Generation zählen Amisulprid, Clozapin, Olanzapin, Risperidon und Sulpirid.
Aripiprazol als Antipsychotikum der dritten Generation ist ein partieller Dopamin-D2-Agonist und blockiert die postsynaptischen Dopamin-D-Rezeptoren, während es gleichzeitig die präsynaptischen Autorezeptoren stimuliert. Aripiprazol wirkt agonistisch, wenn der natürliche Botenstoff Dopamin fehlt, und antagonistisch, sobald dessen Aktivität erhöht ist. Es kann die mesolimbische Hyperaktivität minimieren und die mesokortikale Hypoaktivität ausgleichen. Trotz seiner typischen Neben- und Wechselwirkungen gilt es als extrem gut verträglich und günstig auch hinsichtlich des Interaktionsprofils.
Medikamentengruppe | Beispiele |
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ZNS-wirksame Medikamente | L-Dopa und andere dopaminerge Medikamente, Anticholinergika, Triptane |
Kardiovaskuläre Medikamente | Digoxin, Clonidin, Methyldopa, Betablocker, ACEInhibitoren, Angiotensin-II-blockierende Medikamente, Kalziumkanalblocker, Diuretika, Statine |
Gastroenterologische Medikamente | Metoclopramid, H2-Blocker, Pantoprazol |
Hormonpräparate | L-Thyroxin, orale Kontrazeptiva, Steroide |
Analgetika | Nichtsteroidale Antiphlogistika, Opioide |
Antiinfektiva | Sulfonamide, Chinolone, Clarithromycin, Amoxicillin, Cephaloxine, Metronidazol, Chloroquin, Isoniazid, Zovirax |
Immunsuppressiva und Immunmodulatoren | Kortikosteroide, Methotrexat, Vincristin, Ifosfamid, Cyclosporine, 4-Fluorouracil, Cisplatin, Doxorubicin, Cyclophosphamid |
In Deutschland stehen aktuell circa 30 Antipsychotika zur Verfügung. Die Autoren der Leitlinie »Schizophrenie« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) machen deutlich, dass Arzt und Patient die Wahl des geeigneten Antipsychotikums sowie die der Applikationsform besprechen müssen. Dazu gehört, Vor- und Nachteile der jeweiligen Wirkstoffe, metabolische, motorische, kardiovaskuläre oder hormonelle/sexuelle Nebenwirkungen, Nutzen und Risiken bei Verzicht auf eine Behandlung, Präferenzen des Betroffenen sowie geschlechtsspezifische Aspekte und das Alter zu berücksichtigen.
Um Nebenwirkungen möglichst gering zu halten, wählt der Arzt die antipsychotische Dosierung so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig. Wichtig für die Patienten: Es entstehen weder Abhängigkeiten noch entwickelt sich eine Toleranz. Das gilt auch für Depot-Antipsychotika, die die zuverlässigste Rezidivprophylaxe bieten und die Prognose noch weiter begünstigen.
Die Schizophrenie gilt als eine der schwersten psychischen Erkrankungen, von der weltweit circa ein Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben betroffen ist. Das Leid der Patienten ist entsprechend groß. Dabei, so führende Psychiater, ist ein wichtiger Faktor die immense Mortalitätsrate – nicht zuletzt auch durch eine erhöhte Suizidalität. Circa 10 Prozent aller Menschen mit Erstdiagnose unternehmen im ersten Jahr nach Diagnosestellung einen Suizidversuch, 5 bis 15 Prozent der Menschen mit einer Erkrankung aus dem Formenkreis der Schizophrenie versterben durch Selbstmord.
Klinisch relevante Aspekte sind außerdem die ausgeprägte gesellschaftliche Stigmatisierung, die hohe Prävalenz komorbider Abhängigkeiten vor allem von Tabak, Alkohol und Cannabis sowie die große Rate an Arbeits- und Obdachlosigkeit oder sozialer Desintegration.
Wer von außen häufig negatives Feedback aufgrund seiner Krankheit erfährt, beginnt, sich selbst in einem schlechten Licht zu sehen. / Foto: Adobe Stock/fizkes
Aktuell werden in Deutschland circa 800.000 Betroffene vermutet. Pro Jahr erkranken rund 13.000 Menschen neu an einer Schizophrenie. Die Erkrankung tritt laut Leitlinien der DGPPN bevorzugt erstmals zwischen dem 15. und dem 35. Lebensjahr auf. Ein Erkrankungsbeginn vor dem 13. oder nach dem 40. Lebensjahr gilt als selten. Bei Männern wird die Schizophrenie etwa drei bis vier Jahre früher als bei Frauen diagnostiziert. Im Menopausenalter erkranken mehr Frauen als gleichaltrige Männer. In Europa sind bis zu 20 Prozent der Menschen mit Schizophrenie nicht in medizinischer Behandlung.
Zu den Leitsymptomen der Schizophrenie zählen nach ICD-10 unter anderem Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung, Kontroll- oder Beeinflussungswahn, kommentierende oder dialogische Stimmen, anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität sowie auch Erregungszustände, Haltungsstereotypien oder Stupor, also Zustände psychischer oder motorischer Erstarrung mit auffälliger Apathie, Sprachverarmung oder verflachten und inadäquaten Affekten.
Mit Verweis auf die Bedeutung erblicher Faktoren in der Ätiopathogenese macht die DGPPN-Leitlinie deutlich, dass das Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie bei Angehörigen Betroffener in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad gegenüber der Gesamtbevölkerung erhöht ist. Neben einer genetisch bedingten Vulnerabilität spielen jedoch Umweltfaktoren und psychosoziale Stressoren eine wichtige Rolle bei der Manifestation der Schizophrenie. Virusinfektionen können die Krankheit triggern, aber auch Kindheitstraumata oder Gewalterfahrungen, das Aufwachsen in einer städtischen Umgebung, Migrationshintergrund oder eine per se verminderte Stress-Toleranz. Schizophrenie ist also keine Erbkrankheit, sondern entwickelt sich aus einer Vielzahl von Faktoren.
Spezifische Resilienzfaktoren könnten zu interindividuell heterogenen Ausprägungsformen der Symptomatik und des Verlaufs beitragen, so die Leitlinien-Autoren. Sie empfehlen neben der antipsychotischen Pharmakotherapie auch psychotherapeutische und psychosoziale Interventionsmaßnahmen.
Im Rahmen des Gesamtbehandlungsplanes benötigen Menschen mit Schizophrenie eine strukturierte Psychoedukation beziehungsweise eine kognitive Verhaltenstherapie. Angehörige und andere Vertrauenspersonen von Menschen mit einer Schizophrenie sind selbst erheblichen emotionalen Belastungen ausgesetzt. Gleichzeitig sind sie die wichtigste Quelle der sozialen Unterstützung für die Betroffenen. Sie sollten als Mitbetroffene angesehen werden.
Bis zu zehn Prozent der mit Schizophrenie diagnostizierten Patienten könnten laut Studien an einer autoimmun vermittelten Entzündung des Zentralen Nervensystems leiden, so Experten. Diese Entzündungen entstehen, wenn Autoantikörper neuronale Oberflächenproteine im Gehirn attackieren. Auch aus diesem Grund soll eine organische Differentialdiagnostik bei jeder neu aufgetretenen psychotischen Symptomatik angeboten werden, schreiben die Autorin der DGPPN-Leitlinie »Schizophrenie«. Die Therapie gestaltet sich dann anders. Es kommen Immuntherapeutika zum Einsatz, die den Autoimmunprozess und damit die psychotischen Symptome stoppen können.