Nichts schmeckt, Sprach- und Schluckbeschwerden, Wundsein: Zytostatika und eine Strahlentherapie können den Schleimhäuten arg zusetzen. Eine supportive Nahrungsergänzung kann die Schleimhäute schützen. / Foto: Getty Images/stefanamer
Sowohl eine klassische Chemo- und Strahlentherapie als auch orale Antitumortherapeutika können die Schleimhäute großflächig schädigen. Da sich die Zellen der Schleimhaut rasch teilen, reagieren sie besonders empfindlich auf die Krebsbehandlung. Deshalb ist die Prävalenz einer Schleimhautentzündung im Mund (Stomatitis) und im gesamten Magen-Darm- und Urogenitaltrakt (Mukositis) unabhängig von der Tumorart relativ hoch. Die Prävalenz der oralen Mukositis beträgt bei der Verabreichung von Standardchemotherapien 40 Prozent, bei Hochdosistherapien sogar bis zu 80 Prozent. Es kann bis zu vier Wochen dauern, bis die Entzündung nach der letzten Einheit eines Chemo- oder Strahlentherapiezyklus abheilt.
Starke Schmerzen, Sprach- und Schluckbeschwerden, Geschmacksstörungen und Mundtrockenheit (Xerostomie) führen zu einem so starken Leidensdruck, dass die Stomatitis einer der häufigsten Gründe für einen Therapieabbruch darstellt. Deshalb ist die Prävention das A und O. In jedem Fall gilt es, die Schleimhäute im Mund- und Rachenbereich von Anfang an so gut wie möglich zu pflegen beziehungsweise ihren Erhalt bestmöglich zu unterstützen.
»Alle Nebenwirkungen, die etwa im Zuge einer Aromatasetherapie des Mammakarzinoms auftreten, sind letztlich auf das mukosale System zurückzuführen«, sagte Dr. Steffen Wagner, Facharzt für gynäkologische Onkologie aus Freiburg, bei einer digitalen Presseveranstaltung des Unternehmens Helixor. Mukosales System? Die Bedeutung beziehungsweise der Einfluss unserer Schleimhäute auf die Gesunderhaltung des Organismus hat in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen.
Die gesamte innere Oberfläche vieler (Hohl-)Organe des Körpers ist quasi mit Schleimhaut ausgekleidet. Diese Mukosa besteht aus ein- oder mehrschichtigem Epithel, das von einer Schicht aus viskosem Schleim (Mucus) überzogen ist. Dieser wird von Becherzellen in der Epithelschicht freigesetzt und arbeitet eng mit den darunterliegenden Strukturen des sogenannten Mukosa-assoziierten lymphatischen Gewebes (MALT) zusammen. »Dieses MALT-System umfasst eine Vielzahl von Immunzellen, darunter Makrophagen, Lymphozyten und dendritische Zellen, die darauf spezialisiert sind, Krankheitserreger zu erkennen und zu bekämpfen«, so Wagner. Das Mukosagewebe enthält etwa drei Viertel aller Lymphozyten und auch die meisten Immunglobuline A werden hier produziert. Insofern ist das MALT-System eine gute Ergänzung zur systemischen Immunabwehr.
Je nach Körperregion ist das Mukosa-assoziierte lymphatische Gewebe unterschiedlich ausgeprägt und wird entsprechend benannt. Am besten untersucht ist das mit dem Gastrointestinaltrakt assoziierte GALT (gut-associated lymphoid tissue), das Ansammlungen von Lymphfollikeln in Form von Peyer’s Plaques im Dünndarm, den Appendix vermiformis (Wurmfortsatz) und zahlreiche isolierte lymphatische Follikel im gesamten Darm umfasst. »80 Prozent unseres Immunsystems sitzen im Darm.« Wird dieses System durch eine Krebstherapie beeinträchtigt, sind starke Durchfälle die Folge.
Das vaginal assoziierte lymphatische Gewebe (VALT) liegt im Urogenitaltrakt. Häufige Pilzinfektionen oder eine bakterielle Vaginose sprechen für Dysbalancen im System. Das Bronchien-assoziierte lymphatische Gewebe (BALT) ist in den unteren Atemwegen und den Bronchien lokalisiert, während das NALT-System mit Lymphgewebe in Mund, Nasenhöhle und Pharynx einschließlich der Tonsillen für die Immunabwehr im Nasen-Rachen-Raum bereitsteht. Dieses System trägt unter anderem zur Kontrolle von Atemwegsinfekten bei. Zudem scheint auch das jeweils ansässige Mikrobiom eine wichtige Rolle für die Toleranzentwicklung zu spielen. »Die Schleimhaut fungiert also nicht nur als physikalische Barriere, sondern ist durch das integrierte MALT-System auch in ihrer Funktion ein Schutzschild«, erläuterte der Mediziner.
»Die Wechselwirkungen zwischen der Schleimhaut und dem Immunsystem sind entscheidend für die Aufrechterhaltung einer guten Immunabwehr.« Deshalb sind intakte Schleimhäute vor allem für Menschen mit schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs oder gestörter Immunfunktion wichtig, da schmerzhaft entzündete Schleimhäute wie im Mund-Rachen-Raum sowie im Magen-Darm-Bereich zu einer eingeschränkten Nahrungsaufnahme und zu Flüssigkeitsmangel führen können. Wagner: »Das wirkt sich negativ auf den Heilungsverlauf sowie auf die Therapieadhärenz aus.«
Neben einem gesunden Lebensstil mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr, Rauchverzicht und Stressreduktion seien die supportiven Maßnahmen zur Mukosa-Unterstützung ziemlich begrenzt, führte Wagner aus. Deshalb hält er neben der Kühlung der Mundhöhle mit Eiswürfeln während der Infusionen (siehe Kasten) die supportive Nährstoffzufuhr für ein probates Mittel, um Nebenwirkungen zu begrenzen. Dabei habe sich eine Nährstoffkombination mit Papain, Bromelain, Lektin- und Selen-haltiger Linsenextrakt, Biotin und Vitamin C (zum Beispiel Sanomucin®) als hilfreich erwiesen. »Vor allem Biotin ist ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Zellen und trägt zur Erhaltung normaler Schleimhäute bei«, berichtete der Gynäkologe von seinen Erfahrungen. »In der Komplementärmedizin gibt es keine randomisierten Studien.«
Die Kühlung der Mundhöhle mithilfe von Eiswasserspülungen oder Lutschen von Eiswürfeln während der Infusionen ist in der Lage, das Ausmaß und die Schwere der Läsionen zu begrenzen, heißt es etwa in der S3-Leitlinie Mukositis. Durch die Minderdurchblutung der Mundschleimhaut, so die Überlegung, verringere sich die Konzentration toxischer Substanzen in diesem Gewebe, und entzündliche Reaktionen werden unterdrückt.
Das große Problem dabei: Aufgrund des langen und intensiven Kältereizes - die Kältetherapie sollte bereits vor der Infusion beginnen und bis etwa eine halbe Stunde nach deren Ende fortgesetzt werden – ist sie eher schwierig zu handhaben. Angenehmer als die mitunter scharfkantigen Eiswürfel empfinden viele Patienten das Lutschen tiefgefrorener Fruchtwürfel oder -kugeln, etwa aus Ananas, Papaya oder auch Salbeitee. Auch eisgekühlte Butterkügelchen oder gekühlte Aloe-vera-Mundspüllösungen finden oft die Akzeptanz der Patienten.
Wagner sagte, dass die Kombination aus den pflanzlichen Enzymen Papain und Bromelain sowie Selen und Lektin zum Beispiel laut den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) bei Aromatasehemmer-induzierten Arthralgien empfohlen wird. »Auch diese Arthralgien sind auf die Attacke des MALT-Systems zurückzuführen. Denn unter antihormoneller Krebstherapie entstehen oft Entzündungen in den Gelenkschleimhäuten, der Synovia. Dies bewirken hartnäckige Bewegungsschmerzen und schränken die Gelenkbeweglichkeit ein. Die tägliche Einnahme der supportiven Nährstoffkombination eine Stunde vor oder eine Stunde nach einer Mahlzeit trägt dazu bei, die Beschwerden zu reduzieren.«