Schluss mit Altern durch Taurin? |
Taurin kann in Tierversuchen das Leben verlängern. Aber wie immer lassen sich diese Resultate nicht einfach auf den Menschen übertragen. / Foto: Adobe Stock/Photographee.eu
Die Meldung machte viele Menschen neugierig. Ein Abbauprodukt der Aminosäure Cystein soll das Altern verlangsamen. Das behaupteten zumindest indische Forscher, nachdem sie einige Tierversuche durchgeführt hatten. Sie sind nicht die ersten, die sich auf die Suche nach einem Stoff gegen das Altern begeben haben. Bisher konnte dabei niemand einen nennenswerten Durchbruch verzeichnen. Die Studie ist allerdings ein guter Grund, sich Taurin einmal genauer anzuschauen. Seinen Namen hat die nicht proteinogene Aminosulfonsäure vom griechischen Wort Tauros für Stier. Sie wurde 1827 von den Chemikern Leopold Gmelin und Friedrich Tiedemann entdeckt. Die beiden Forscher untersuchten die Verdauung von Rindern und extrahierten dabei Taurin aus der Gallenblase eines Ochsen. Taurin für Lebensmittel wird im Labor synthetisiert und ist vegan.
Im Körper entsteht die Aminosulfonsäure auf natürliche Weise, wenn Cystein abgebaut wird. Cystein wiederum kann der Körper aus der Aminosäure Methionin herstellen. Damit Taurin in der Leber und im Gehirn gebildet werden kann, muss ausreichend Vitamin B6 vorhanden sein. Körperliche Aktivität scheint die Produktion zu erhöhen. Besonders viel Taurin findet sich in Muskelzellen, im Gehirn, im Herzen, im Blut und in den Augen. Da der Körper den Stoff selbst herstellen kann, ist er semiessenziell.
Die Substanz hat physiologische Wirkungen und ist deshalb ein Bestandteil vieler Energydrinks. Sie soll die Wirkung von Koffein verstärken und die Leistungsfähigkeit des Konsumenten verbessern. Ob das wirklich funktioniert, konnte in Studien noch nicht gezeigt werden. Als Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ist Taurin in Form von Kapseln, Tabletten oder Pulver sowohl als Monosupplement als auch in Kombinationspräparaten erhältlich. Menschen, die parenteral ernährt werden, erhalten meistens ebenfalls Taurin. Bei Frühgeborenen, die über Infusionen ernährt werden müssen, soll Taurin die Entwicklung der Augen fördern.
Die Aufgaben von Taurin im Körper sind noch nicht ausreichend untersucht, obwohl es in fast jeder Zelle enthalten ist. Bekannt ist, dass Taurin eine Rolle bei der Fettverdauung spielt und gebraucht wird, um konjugierte Gallensäuren zu bilden. Taurin ist weiterhin an der Entwicklung des zentralen Nervensystems sowie an Signalübertragungen im Gehirn beteiligt. Es ist wichtig für die Netzhaut (Retina) und für die Herzfunktion und hat eine antioxidative Wirkung. Viele andere Wirkungen, die der Substanz zugeschrieben werden, sind nicht ausreichend belegt. So ist unklar, ob Taurin tatsächlich den Blutzucker- oder Cholesterinspiegel beim Menschen senken kann.
Im Tierversuch konnte auch ein Einfluss auf den Insulinspiegel gezeigt werden. Es liegen dazu sogar Hinweise aus kleinen Humanstudien vor. Eine systematische Überprüfung der Literatur aus dem Jahr 2022 ergab, dass eine Taurin-Supplementierung in fünf Studien den HbA1c-Wert, den Nüchternblutzuckerspiegel und den Wert im HOMA-IR-Test (Insulinresistenz-Test) bei Diabetikern verbessern konnte. Die Auswirkungen auf die Serumlipide, den Blutdruck und die Körperzusammensetzung waren nicht statistisch signifikant.
Ein Review ergab 2020, dass Taurin entzündungshemmende Wirkungen ausüben könnte, die sich positiv auf Diabetes auswirken. Die Einnahme war außerdem vorteilhaft für das Herz-Kreislauf-System, möglicherweise durch Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems. Ob sich diese oder andere Wirkungen von Taurin möglicherweise therapeutisch nutzen lassen könnten, muss weiter untersucht werden. Dabei muss beachtet werden, dass gerade chronische Krankheiten multifaktoriell sind und die Einnahme eines NEMs sie sicherlich nicht heilen kann.
Für Schlagzeilen sorgte zuletzt, dass Taurin an Alterungsprozessen beteiligt sein könnte. Wer als junger Mensch einen Mangel hat, könnte im Alter ein höheres Risiko für Störungen der Muskel- und Augenfunktion sowie des Zentralnervensystems haben. Ab dem mittleren Lebensalter verbesserte im Tierversuch die zusätzliche Gabe von Taurin die Gesundheit im Alter und wirkte sogar lebensverlängernd. Die bereits erwähnte Forschergruppe aus Indien hatte herausgefunden, dass mit zunehmendem Alter weniger Taurin bei Mäusen, Affen und Menschen zirkuliert. Eine Taurin-Supplementierung konnte dem Rückgang entgegenwirken. Dank des zusätzlichen Taurins konnten im Experiment Mäuse länger leben und die Gesundheit von Affen verbesserte sich.
Beim Menschen korrelierten niedrigere Taurin-Konzentrationen mit verschiedenen altersbedingten Krankheiten. Die Forscher vermuteten im Taurin-Mangel eine Alterungsfolge. Es fehlen jedoch klinische Daten, die zeigen, dass die Anti-Aging-Wirkungen auch im Menschen stattfinden.
Es ist bislang nicht erwiesen, dass eine zusätzliche Aufnahme von Taurin sinnvoll oder nützlich ist. Dennoch ist eine Supplementation gerade in Sportlerkreisen verbreitet. Die Konsumenten erhoffen sich, dass der Stoff den Muskelaufbau unterstützt und die sportliche Leistungsfähigkeit verbessert.
Da Wissenschaftler in klinischen Studien bisher vor allem die Auswirkungen von Taurin in Kombination mit anderen Substanzen wie Koffein, Kreatin und Glucose in Energydrinks untersucht haben, lassen sich die Ergebnisse nicht auf Taurin als Monosubstanz übertragen. Es liegen nur wenige Daten aus klinischen Studien vor, in denen es um die isolierte Einnahme von Taurin ging.
In einer verblindeten und placebokontrollierten Studie untersuchten Forscher beispielsweise, wie sich eine orale Taurin-Supplementierung (1660 mg) auf die Ausdauer von trainierten männlichen Radfahrern eine Stunde vor dem Training auswirkt. Es zeigten sich keine Effekte auf die Flüssigkeitsaufnahme, die Herzfrequenz, die subjektive Anstrengung oder die Leistung im Zeitfahren. Während der 90-minütigen Trainingsperiode stieg allerdings die gesamte Fettoxidation um 16 Prozent. Da die Mitochondrien der Hauptort des Fettsäureabbaus sind, könnte die Taurin-Supplementierung möglicherweise die Mitochondrienfunktion verbessern.
In einer doppelblinden, placebokontrollierten, randomisierten Crossover-Studie führten 14 Soldaten der kolumbianischen Armee verschiedene körperliche Fitness- und kognitive Tests durch. Zuvor hatten sie 250 ml von einem der folgenden Getränke getrunken: Getränk mit 80 mg Koffein oder mit 1000 mg Taurin oder mit 80 mg Koffein plus 1000 mg Taurin oder einen handelsüblichen Energydrink (Red Bull) oder ein Placebo. Vergleiche zwischen den Gruppen ergaben keine statistischen Unterschiede. Taurin verbesserte also weder die körperliche noch die kognitive Leistung. Die aktuelle Datenlage lässt es somit fraglich erscheinen, ob Sportlern die Taurin-Supplementation überhaupt etwas bringt. Es bleibt noch die Frage zu klären, ob die Einnahme schaden könnte.
Eine sichere Obergrenze für die Aufnahme von Taurin wurde bisher nicht festgelegt. Der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss SCF (Scientific Committee on Food) der Europäischen Kommission überprüfte bis 2003 mehrere toxikologische Studien zu Taurin und konnte kein karzinogenes oder teratogenes Potenzial feststellen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) empfiehlt, täglich maximal 100 mg Taurin pro Kilogramm Körpergewicht aufzunehmen. Wie viel Menschen tatsächlich konsumieren, hängt mit der Ernährungsweise zusammen. Schätzungen zufolge sind das zwischen 40 und 400 mg Taurin.
NEM enthalten meistens pro Tagesdosis 500 bis 2000 mg Taurin. In Energydrinks dürfen laut der Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeordnung maximal 4000 mg Taurin pro Liter enthalten sein. Als kritisch ist zu bewerten, dass in den Drinks ein Cocktail weiterer Substanzen enthalten ist, deren synergistische Wirkungen nicht ausreichend erforscht sind.
Die Kombination aus Taurin und Koffein könnte beispielsweise zu Unruhe und Nervosität, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Krampfanfällen oder Kreislaufproblemen führen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) rät daher Kindern, Schwangeren und Stillenden davon ab, die anregenden Getränke zu nutzen. Besonders gefährlich ist, wenn Energydrinks zusammen mit alkoholischen Getränken konsumiert werden. Koffein, Alkohol und Taurin könnten möglicherweise zusammen schwerwiegende Folgen wie Nierenversagen oder Herzstillstand auslösen.
Für die Beratung in der Apotheke ist noch die Frage wichtig, ob Taurin zu Wechselwirkungen mit Medikamenten führen kann. Die Daten dazu sind begrenzt. Möglicherweise könnte Taurin Cytochrom-P450-Enzyme in klinisch relevanter Weise beeinflussen, die für den hepatischen Arzneimittelstoffwechsel verantwortlich sind. Taurin hemmt CYP2E1, das für den Abbau verschiedener Arzneistoffe verantwortlich ist, darunter häufig verwendete Anästhetika, Analgetika, Antidepressiva, Antibiotika und Antiepileptika. Fälle von Überdosierungen sind bislang nicht bekannt geworden. Wer zu viel Taurin aufnimmt, scheidet dies in der Regel über die Nieren wieder aus. Menschen mit Nierenproblemen sollten von einer Supplementation allerdings absehen oder diese zumindest mit ihrem Arzt besprechen.
Um ausreichend mit Taurin versorgt zu sein, müssen nicht unbedingt NEM eingenommen werden. Der Körper stellt täglich bis zu 125 mg selbst her. Ausdauersport scheint die Produktion zu erhöhen. Hinzu kommen etwa 400 mg, die über tierische Lebensmittel beziehungsweise über tierisches Eiweiß zugeführt werden. Besonders reich an Taurin sind Fleisch, Innereien, Fisch und Meerestiere sowie Eier und Milch.
Das Risiko, einen Taurin-Mangel zu entwickeln, ist für gesunde Menschen daher eher gering. Am meisten sind Personen gefährdet, die sich langjährig vegan ernähren oder im Körper nicht über ausreichend Cystein, Methionin oder Vitamin B6 verfügen. Neugeborene können nur begrenzt Taurin bilden. Sie werden damit über die Muttermilch versorgt. Im Alter sinken die Taurin-Spiegel auf natürliche Weise. Zusammenhänge mit pathologischen Zuständen müssen noch näher untersucht werden.
Lebensmittel | Zubereitungsart | Tauringehalt (mg pro 100 g) |
---|---|---|
Hähnchen, dunkles Fleisch | gebraten | 132,9–265,1 |
Hähnchen, helles Fleisch | gebraten | 5,20–24,80 |
Pute, dunkles Fleisch | gebraten | 161,4–436,6 |
Pute, helles Fleisch | gebraten | 8,4–13,7 |
Rindfleisch | gebraten | 8,0–68,0 |
Kalbfleisch | gebraten | 22,5–71,5 |
Schweinefleisch | gebraten | 30,2–83,8 |
Wurstwaren, Pute | gepökelt | 110,8–135,3 |
Salami | gepökelt | 39,4–78,6 |
Kaviar | roh | 63,6–108,4 |
Kabeljau, Filet | wild | 64,4–175,6 |
Austern | roh | 345,8–446,2 |
Lachs, Filet | kultiviert | 54,8–133,2 |
Jakobsmuscheln | roh | 801,0–853,0 |
Garnele, mittelgroß | roh | 16,5–61,5 |
Shrimps, geschält | wild | 215,1–224,9 |
Tintenfisch | roh | 191,5–520,5 |
Weißer Thunfisch | Dose | 10,2–73,8 |
Weißfisch | gekocht | 10,0–334,0 |
Kuhmilch, voll | pasteurisiert | 1,4–3,4 |
Kuhmilch, fettarm | pasteurisiert | 1,6–3,0 |
Joghurt aus Kuhmilch | pasteurisiert | 0,7–0,9 |
Ziegenmilch | pasteurisiert | 5,3–8,3 |
Ziegenmilchjoghurt | pasteurisiert | 5,0–5,5 |