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Psychosoziale Faktoren

Schmerz hat oft eine Vorgeschichte

Mehr als 23 Millionen Menschen in Deutschland leiden nach Informationen der Deutschen Schmerzliga (DSL) unter langanhaltenden Schmerzen. Beim Erleben des Schmerzes und bei der Genesung spielen psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle.
AutorKontaktBarbara Erbe
Datum 11.09.2024  12:00 Uhr

Wenn eine Person starke Schmerzen hat, gehe man oft davon aus, dass es einen Tag X gibt, bis zu dem alles gut war. Dann sei mit einem Mal etwas passiert ist, das akute Schmerzen auslöst und zum Beginn eines chronischen Verlaufs wird, berichtet Dr. Michael Überall, Leiter des Exzellenzzentrums für Versorgungsforschung in Nürnberg, im Gespräch mit PTA-Forum. »Das ist aber bei den wenigsten Menschen so einfach – es gibt immer eine Vorgeschichte, die wir viel zu wenig mit einbeziehen.«

So belegen Studien, dass etwa die Hauptursache für langanhaltende Schmerzen nach einer Operation keinesfalls Mängel an Hygiene oder medizinischer Expertise der Behandelnden seien, »sondern die persönliche (Vor-)Geschichte, die die Patienten mit in die OP nehmen.« So tun sich Menschen mit depressiver Stimmungslage, dauerhaften Alltagsbelastungen oder Konflikten in Beruf und Familie mit auftretenden Schmerzen besonders schwer. Menschen mit einem aktiven Lebensstil können dagegen statistisch besser mit auftretenden Schmerzen umgehen und empfänden sie auch eher als vorübergehend.

Förderndes Verhalten

Auch das allgemeine Gesundheitsverhalten spielt für die Schmerzbewältigung eine Rolle: Regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung, soziale Kontakte und Freiheit von Nikotin-, Alkohol- oder anderen ungesunden Konsumgütern. Als »krankheitsförderndes Schmerzverhalten« bezeichnet der Präsident der Deutschen Schmerzliga zudem »ein ausgeprägt ängstliches Schon- und Vermeidungsverhalten bei körperlichen Aktivitäten, ebenso aber auch einen extremen Durchhaltewillen, der den körperlichen (Schwäche)Zustand einfach ignoriert.« Alarmierend sind schließlich Studien wie eine US-amerikanische Arbeit vom März 2024, veröffentlicht im Fachjournal »Pain«, der zufolge 56 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner mit chronischen Schmerzen auch an – nicht behandelten – depressiven Symptomen und Ängsten leiden.

Idealerweise kann eine rechtzeitig einsetzende und ganzheitlich orientierte Therapie verhindern, dass Schmerzen chronisch werden. Der erste Schritt bei länger als erwartet anhaltenden oder wiederkehrenden Schmerzen sollte deshalb eine Diagnostik sein, bei der Fachleute aus verschiedenen Disziplinen versuchen, gemeinsam chronifizierungsfördernde Aspekte (zum Beispiel im Rahmen einer interdisziplinären Schmerzkonferenz) zu identifizieren. Falls erforderlich, sollte sich eine multimodale Schmerztherapie anschließen, die in der Regel von Fachleuten aus Medizin, Physiotherapie und Psychotherapie betreut wird. Eine solche Behandlung kombiniert Bewegung, Schulungen, Entspannungstechniken und die Behandlung mit Medikamenten. Gleichzeitig vermitteln Psychotherapeuten in Gruppen- oder Einzelgesprächen psychologische Strategien, die helfen, mit andauernden Schmerzen zurechtzukommen und mit Belastungen bei der Arbeit oder in der Familie umzugehen.

Derlei Programme bieten nicht nur Schmerzkliniken, psychosomatische Abteilungen in Krankenhäusern sowie orthopädische, psychosomatische oder rheumatologische Rehabilitationszentren an, sondern auch zahlreiche qualifizierte Schmerztherapeuten. Sie können sowohl vollstationär in einer Klinik als auch ambulant oder teils in der Klinik, teils ambulant stattfinden und dauern üblicherweise zwei bis vier Wochen.

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die meist in einer multimodalen Behandlung enthalten ist, gehöre zu den wirksamsten Behandlungen bei chronischen Schmerzen im unteren Rücken, informiert das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Während der Behandlung lernen Patienten unter anderem, Ängste und Gedanken abzubauen, mit denen sie das Schmerzempfinden verstärken. Ein Beispiel ist die verbreitete Angst, dass körperliche Aktivitäten dem Rücken schaden – obwohl Bewegung hilft, die Muskulatur zu kräftigen und Schmerzen vorzubeugen. Oft werden im Rahmen der Behandlung auch Entspannungstechniken vermittelt.

Knappe Ressourcen

Vor allem in der ambulanten Versorgung mangelt es allerdings an schmerz-psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten und für den Alltag praktikablen Kooperationsformen, heißt es auch in einem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS). Nicht zuletzt die generelle psychotherapeutische Unterversorgung führt auch bei der Schmerztherapie zu langen Wartezeiten.

Zudem koste eine angemessene Schmerzprävention Zeit und Ressourcen, betont Überall. »Aus der Schmerzmedizin wissen wir, dass es etwa eine Stunde dauert, vor einer Operation in einem präventiven Gespräch mit dem Patienten herauszufinden, ob und welche Risikofaktoren für andauernde postoperative Schmerzen bestehen – und bei Bedarf Vorsorge zu treffen, dass dies nicht passiert.« Wer einmal selbst vor einer OP ein Aufklärungsgespräch geführt und den dazugehörigen Fragebogen ausgefüllt und unterschrieben hat, weiß allerdings, dass das Gespräch in der Regel eine Sache von zwei bis drei Minuten und auch eher ein ärztlicher Monolog als ein Dialog ist. Er dient vorwiegend medizinischen und rechtlichen Zwecken, weniger einer ganzheitlichen Risikoevaluation.

Weil die ärztliche Zeit für Schmerzpatienten häufig so knapp bemessen ist, komme PTA oft eine besondere Rolle zu, berichtet der Schmerzmediziner: »In der Apotheke reden viele Menschen freier und offener über ihre Probleme, die Hemmschwelle ist niedriger – vielleicht gerade weil sie Kunde sind und nicht Patient«, so Überall. Natürlich arbeiten auch PTA oft unter Druck. Aber wenn die Zeit es zulässt, kann es sehr hilfreich sein, zuzuhören und dabei die Person dazu anzuregen oder zu bestärken, ihre Probleme noch einmal mit dem Hausarzt zu besprechen – denn dazu fehle vielen schmerzgeplagten Menschen das Selbstbewusstsein.

Ein guter Tipp ist laut Überall auch, »Fragen vorab zu notieren und dann abzuarbeiten, und am besten auch die ärztlichen Antworten direkt beim Gespräch aufzuschreiben – wenn nötig auch nachzufragen.« Ebenso wichtig sei ein ganzheitlicher Blick auf die eigene Gesundheit: »Wie geht es mir derzeit? Habe ich mehr Stress als sonst? Schlafe ich gut? Bewege ich mich ausreichend? Ernähre ich mich vielleicht schlechter als sonst?«

Eine weitere, häufig vernachlässigte Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen kommt psychischen Traumatisierungen zu. Sie sind ein erhebliches Risiko für die Entwicklung chronischer Schmerzen, weil sie auf ähnliche zentralnervöse Mechanismen wirken und eine vorhandene Schmerzsymptomatik verstärken. Gemäß dem »Common Pathway Model« teilen alle chronischen Schmerzen, egal ob durch Verletzungen, Entzündungen, neuropathische oder psychogene Faktoren entstanden, ähnliche physiologische und neurobiologische Mechanismen. Gehirn und Rückenmark spielen dabei eine Schlüsselrolle. Praktisch bedeutet das, dass verschiedene Schmerzarten auch bei sehr unterschiedlichen Ursachen ähnlich behandelt werden könnten – beispielsweise mit Medikamenten, die auf zentrale Neurotransmitter abzielen. Es bedeutet aber auch, dass eine nicht medikamentöse Verarbeitung von Angst, Depression oder psychologischen Traumata auch das Schmerzempfinden senken kann.

So weist das Positionspapier »Psychosoziale Faktoren bei Schmerz und Schmerzbehandlung« auf die Placebo- und Noceboforschung hin, die schon seit Jahren zeige, wie Erwartungen über Krankheitsverläufe, Behandlungserwartungen, Lernmechanismen und Kontextfaktoren zur Schmerzverstärkung oder auch zur Schmerzhemmung beitragen. Durch systematische Koppelung von wirkungsvollen psychologischen Mechanismen an wirkstofffreie Substanzen – sozusagen als Träger – entstehe »eine neue Qualität psychotherapeutischer Interventionen für akuten und chronischen Schmerz. Diese Koppelung kann auch an potente Medikamente erfolgen, die so ihre Wirksamkeit steigern können.«

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