Schmerzen im ganzen Körper |
Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom leiden über Monate oder Jahre unter Schmerzen in verschiedenen Körperbereichen. Sehr häufig kommen auch Erschöpfung und Schlafstörungen hinzu. / Foto: Getty Images/DjelicS
Schmerz- und Schlafmittel gehören in der Apotheke zu den Klassikern, PTA geben sie ständig ab. Klagen Betroffene aber über wiederkehrende Schmerzen in verschiedenen Körperbereichen, fühlen sich erschöpft und schlafen schlecht, und das über Monate oder gar Jahre, sollten PTA ihnen ans Herz legen, ärztlich klären zu lassen, ob ein Fibromyalgie-Syndrom dahinterstecken könnte, meint Professor Winfried Häuser, Facharzt für spezielle Schmerztherapie am Klinikum Saarbrücken. »Wir erleben häufig, dass Patienten mit wiederkehrenden Schmerzen viel zu lang in orthopädischer Behandlung sind und – ohne Erfolg – Cortisonspritzen oder Opioide erhalten, weil das Fibromyalgie-Syndrom selbst unter Ärzten nicht ausreichend präsent ist.«
Wörtlich bedeutet Fibromyalgie »Faser-Muskel-Schmerz«. Von diesem Schmerz sind in der Regel mindestens vier von fünf Körperbereichen betroffen: Rücken mit Brustkorb, rechter Arm, linker Arm, rechtes Bein oder linkes Bein. Die Schmerzen können anhalten, wiederkehren oder wandern. Sie verstärken sich oft bei Stress, Nässe, Kälte und längerem Sitzen oder Liegen. Über Schmerzen, Schlaflosigkeit und Erschöpfung hinaus können weitere Symptome dazukommen, zum Beispiel verspannte Muskeln an Brustbein, Kiefer oder im Gesicht, Herzrasen, Atem- oder Magen-Darm-Probleme, Konzentrationsprobleme sowie seelische Beschwerden wie Nervosität, innere Unruhe, Niedergeschlagenheit oder Angst.
Da all diese Symptome für sich genommen auch in anderen Zusammenhängen auftreten können, werde ein Fibromyalgie-Syndrom immer über eine Differenzialdiagnose festgestellt, erläutert Häuser, der auch der Deutschen Schmerzgesellschaft angehört, im Gespräch mit PTA-Forum. Es muss also ausgeschlossen werden, dass den Beschwerden andere Erkrankungen wie etwa Gelenkentzündungen oder Stoffwechselkrankheiten zugrunde liegen – durch eine körperliche Untersuchung und gegebenenfalls durch Bluttests. »Eine ganz wichtige Rolle spielt aber auch die sogenannte Schmerzskizze, in die die Patienten eintragen, an welchen Stellen der Schmerz auftritt.«
Auch wenn es sich anders anfühlt: Muskeln, Gelenke oder auch Organe nehmen durch die Krankheit keinen Schaden. Fibromyalgie ist eine Schmerzerkrankung und steht als solche seit 1994 auf der offiziellen Krankheitsliste der Weltgesundheitsorganisation WHO. Insgesamt erkranken von 100 Menschen durchschnittlich zwei an einem Fibromyalgie-Syndrom. Es wird bei Frauen sechs bis sieben Mal häufiger diagnostiziert als bei Männern.
Wie es zu einem Fibromyalgie-Syndrom kommt, ist umfangreich untersucht, aber noch nicht komplett verstanden. Man weiß, dass bei Betroffenen die Schmerzverarbeitung im Gehirn gestört ist. Deshalb ist die Schwelle, ab der Reize als Schmerzen empfunden werden, bei Menschen mit Fibromyalgie niedriger als bei anderen Menschen. Zurzeit beschäftigten sich Forschende damit, ob biochemische oder neurologische Störungen bei der Entstehung der Krankheit eine Rolle spielen, erklärt Dr. Andreas Waltering, stellvertretender Ressortleiter Gesundheitsinformation am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Bekannt sei, dass bestimmte Faktoren das Risiko einer Erkrankung erhöhen. »Dazu gehören Stress im Arbeitsleben und im Alltag, aber auch andere psychische Belastungen wie Misshandlungen im Kindes- oder Erwachsenenalter, zu geringe körperliche Aktivität, Rauchen oder Übergewicht.« Darüber hinaus kann ein Fibromyalgie-Syndrom auch infolge einer anderen Erkrankung auftreten (Sekundärerkrankung), etwa zusammen mit der Rheumatoiden Arthritis.
Fest steht auch, dass sich die Krankheit meist über einen langen Zeitraum entwickelt, berichtet Häuser: »Viele Betroffene erzählen nach einigem Nachdenken, dass sie schon als Kind mit unerklärlichen Schmerzen zu tun gehabt haben. Sie sagen dann, dass sie immer wieder derlei Schmerzen gehabt hätten, sie das aber hingenommen und so gut es geht ignoriert hätten – so lange, bis sie es eben kaum noch auszuhalten war. Entsprechend hoch ist dann der Leidensdruck.«
Menschen mit Fibromyalgie entwickeln häufig ein schlechtes Gewissen, weil sie weniger belastbar sind als andere und ihren Verpflichtungen in Familie oder Beruf nicht ausreichend nachkommen können. Für sie sei es hilfreich, wenn etwa die PTA im Beratungsgespräch zu verstehen gibt, dass sie von den Schmerzen und Problemen weiß, die das Fibromyalgie-Syndrom mit sich bringt, betont der Schmerzmediziner. Auch könne die PTA Betroffenen, die sich mit der Krankheit alleingelassen fühlen, auf Patienteninformationen wie etwa die Broschüre »Fibromyalgie« des IQWiG aufmerksam machen. Oder auf die Deutsche Fibromyalgie Vereinigung (DFV), die unter anderem Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermittelt.
Die Leitlinie zur Therapie der Fibromyalgie betont, dass oft nicht eine Behandlungsform allein die Beschwerden verbessert, sondern eine Kombination verschiedener Ansätze. Die Wirkung klassischer Schmerzmittel ist erfahrungsgemäß bei Fibromyalgie eher gering, Nebenwirkungen aber vor allem bei entzündungshemmenden Schmerzmitteln wie nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) sind wahrscheinlich. Antidepressiva wiederum können zwar bei etwa der Hälfte der Betroffenen den Schlaf verbessern, Schmerzen mindern und Verspannungen lösen, aber nur für einen gewissen Zeitraum. Ihre Dosis in der Fibromyalgie-Therapie ist im Übrigen deutlich geringer als bei der Behandlung von Depressionen, ein Gewöhnungseffekt ist nicht bekannt. Nicht hilfreich für Fibromyalgie-Patienten sind Betäubungsmittel oder Corticoid-Präparate.
Wichtig sei, Betroffene im Beratungsgespräch darauf hinzuweisen, dass sie Antidepressiva oder auch Antikonvulsiva nicht bekommen, weil sie an Depressionen oder Krämpfen litten, betont Häuser. »Die PTA sollte erklären, dass diese Medikamente lediglich die Nerven-Botenstoffe ansprechen, die auch bei Angsterkrankungen und Depressionen eine Rolle spielen. Daher werden diese Medikamente auch Schmerzmodulatoren genannt.« Seiner Erfahrung nach nehmen einige Fibromyalgie-Betroffene die Medikamente nicht ein, wenn sie die Zusammenhänge nicht verstehen.
Die wichtigere Rolle bei der Behandlung von Fibromyalgie spielt den Experten zufolge aber ohnehin die nicht-medikamentöse Therapie. Helfen können den Betroffenen laut Waltering zum Beispiel gymnastische Übungen. »Sie lockern die Muskeln auf. Damit sie nicht zu Schmerzen führen, ist es wichtig, langsam zu beginnen, sich vorher zu dehnen und sich vorsichtig zu steigern.« Gut verträglich sei auch Bewegung in warmem Wasser. Als weitere geeignete Bewegungsformen nennt er Gehen, Nordic-Walking, Schwimmen, Fahrradfahren, Tanzen oder Muskelaufbautraining.
Weil die Krankheit meist auch psychische Beschwerden mit sich bringt, hält Waltering in den meisten Fällen auch eine psychologische Behandlung für sinnvoll. Schließlich können Entspannungstechniken helfen, so etwa Muskelentspannung nach Jakobsen, Autogenes Training, Meditation, Biofeedback, Entspannung durch Fantasiebilder und auch Techniken zur Schmerzbewältigung. Menschen mit Fibromyalgie werde manchmal gesagt, dass man nichts gegen die Schmerzen tun könne, sagt Waltering. Studien zeigten jedoch, dass es durchaus Behandlungen gibt, die die typischen Beschwerden lindern können. »Außerdem kommen viele Erkrankte mit der Zeit mit ihren Schmerzen besser zurecht. Sie finden heraus, welche Aktivitäten sie sich zumuten können – und wann es besser ist, kürzerzutreten.«