Schützt die Gürtelrose-Impfung auch vor Demenz? |
Die STIKO empfiehlt die Impfung mit dem Totimpfstoff Shingrix allen Menschen ab 60 Jahren, bei Risikofaktoren schon ab 50 Jahren. / © Getty Images/manassanant pamai
Herpesviren, zu denen auch das Varizella-Zoster-Virus gehört, könnten an der Entwicklung von Demenz beteiligt sein. Sollte dies der Fall sein, wäre es plausibel, dass eine entsprechende Impfung vor einer Demenz schützt. Diese Überlegung ist die Basis einer epidemiologischen Studie, deren Ergebnisse jetzt im Wissenschaftsjournal »Nature« publiziert wurden.
Konkret nutzte ein internationales Forscherteam um Dr. Markus Eyting von der Stanford University und der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz die Tatsache, dass in Wales der Anspruch auf eine Impfung mit dem im September 2013 eingeführten Zoster-Lebendimpfstoff Zostavax® anhand des genauen Geburtsdatums einer Person festgelegt wurde.
Wer am oder nach dem 2. September 1933 geboren worden war, hatte Anspruch auf eine Gürtelrose-Impfung – wer davor geboren worden war, also 80 Jahre oder älter war, konnte sich nicht impfen lassen. Diese Altersgrenze, die zum einen aufgrund des begrenzten Impfstoffvorrats zum anderen auch deshalb festgesetzt wurde, weil der Impfstoff als weniger wirksam für Menschen über 80 Jahren galt, bildete die Basis für ein »natürliches Experiment«. Es ermöglichte den Forschenden, sehr ähnliche Gruppen zu vergleichen: Menschen, die für den Impfstoff infrage kamen, mit Menschen, die nur geringfügig älter waren und den Impfstoff nicht bekommen konnten.
Über 280.000 elektronische Gesundheitsakten analysierten die Forschenden von Personen, die damals zwischen 71 und 88 Jahre alt und vor der Impfung nicht an Demenz erkrankt waren. Über einen Zeitraum von sieben Jahren erhielt fast die Hälfte der für den Impfstoff infrage kommenden Personen die Vakzine. Hingegen wurde kaum jemand geimpft, der nicht berechtigt war, kostenfrei geimpft zu werden.
Es zeigte sich, dass die geimpften Personen in den folgenden sieben Beobachtungsjahren zu 37,2 Prozent seltener an einem Herpes zoster erkrankten als die nicht geimpften Personen. Dies entspricht tatsächlich auch in etwa den Ergebnissen der klinischen Studie zu Zostavax. Die Abnahme an Varizella-Zoster-Reaktivierungen korrelierte außerdem mit einer geringeren Demenzrate.
Zum Hintergrund: Das Varizella-Zoster-Virus, der Erreger der Windpocken, nistet sich wie andere Herpesviren (zum Beispiel das Epstein-Barr-Virus) nach Erstinfektion in speziellen Zellen ein und verbleibt ein Leben lang im Körper. Bei Immunschwäche kann es wieder erwachen und Gürtelrose auslösen. Die Zoster-Impfung soll dies verhindern.
Die Forschenden konnten zeigen, dass die Impfung die Demenzinzidenz signifikant senkte. So war die Wahrscheinlichkeit einer neuen Demenzdiagnose über einen Nachbeobachtungszeitraum von sieben Jahren bei erhaltener Zoster-Impfung um 3,5 Prozentpunkte reduziert, was einer relativen Reduktion von 20 Prozent entspricht. Es wurde nicht zwischen einzelnen Demenzerkrankungen differenziert.
Der Effekt der Impfung auf Demenz wurde mit einer Latenz von über einem Jahr sichtbar, was die Hypothese stützt, dass eine reduzierte virale Reaktivierung ein vorgelagerter Mechanismus sein könnte. Dass der Schutzeffekt für eine Demenz besonders bei Menschen ausgeprägt war, die an autoimmunen oder allergischen Erkrankungen litten, könnte auf eine mögliche systemische Immunmodulation durch die Impfung hindeuten.
Es traten Unterschiede je nach Geschlecht und Gesundheitsstatus auf. So waren die Effekte besonders ausgeprägt bei Frauen sowie bei Personen mit bestimmten immunologischen Vorerkrankungen.
Der attenuierte Lebendimpfstoff wird heute in Deutschland nicht mehr verwendet. Stattdessen steht der rekombinante Totimpfstoff Shingrix® zur Verfügung, der als wirksamer gilt – was Spekulationen zulässt, dass die Effekte, die in dieser Studie gezeigt wurden, mit diesem Präparat noch deutlicher ausfallen könnten. Die Vermutung wird unterstützt durch eine Publikation, die Mitte letzten Jahres im Wissenschaftsjournal »Nature Medicine« erschienen ist (Taquet, M. et al., Nat Med 30, 2777–2781 2024).
Um die Schwächen einer epidemiologischen Studie im Vergleich zu einer Interventionsstudie so klein wie möglich zu halten, nahmen die Forschenden verschiedene statistische Anpassungen vor. So wurden beispielsweise die Daten von Personen, die nur eine Woche vor oder nach dem Stichtag 80 Jahre alt wurden, statistisch stärker gewichtet. Denn sollten sich hier Unterschiede zeigen, können diese kaum durch Störfaktoren verfälscht sein.
Auch untersuchten die Forschenden die Krankenakten auf mögliche Unterschiede zwischen geimpften und nicht geimpften Personen. Und sie bewerteten, ob bei nicht geimpften Personen häufiger Demenz diagnostiziert wurde, einfach weil sie häufiger zum Arzt gingen, und weil sie mehr Medikamente einnahmen mit der Folge eines erhöhten Demenzrisikos.
Der Virologe Professor Dr. Klaus Überla vom Universitätsklinikum Erlangen sagte gegenüber dem Science Media Center, dass es mit der Studie einen weiteren guten Grund gebe, die Impfung gegen Gürtelrose, wie von der STIKO empfohlen, in Anspruch zu nehmen. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) seit 2018 den rekombinanten Herpes-Zoster-Totimpfstoff Shingrix allen ab 60 Jahren und Risikogruppen ab 50 Jahren.
Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und niedergelassene Neurologe Professor Dr. Peter Berlit sagte, dass die aktuelle Studie frühere Beobachtungen bestätige, dass Personen, die eine Zoster-Impfung erhalten haben, seltener eine Demenz entwickeln. Auch die Varizellen-Grundimmunisierung im Kindesalter könnte dem Experten zufolge die Entwicklung einer Demenz beeinflussen, dazu gebe es jedoch keine validen Daten.
Dass die Studie auf alle Fälle ein wichtiger Startpunkt für eine weitere Evaluation der Hypothese sei, dass eine Herpes-zoster-Impfung das Demenzrisiko senken kann, betont Professor Dr. André Karch, Leiter der Klinischen Epidemiologie am Universitätsklinikum Münster. Allerdings müssten weitere epidemiologische und grundlagenwissenschaftliche Studien folgen – auch zu den Schutzmechanismen der Impfung. »Aus meiner Sicht wäre hier kausal ausschließlich eine Verzögerung der Progression der beginnenden Symptomatik der Erkrankung vorstellbar, da die Zeitachse der Entstehung der Erkrankung deutlich länger ist und viel früher im Leben beginnt.«