Selbst der Seele helfen |
Bestimmte Übungen, zum Beispiel zu einer tiefen Atmung, können dabei helfen, mit seelischen Krisen besser umzugehen. / Foto: Getty Images/Justin Paget
Für Psychotherapeutin Dr. Birgit Jakobs bilden Körper, Geist und Seele eine Einheit. »Körper und Seele sehe ich dabei als gleich wichtig. Sie bedingen sich gegenseitig. Der Geist ist für mich die Schnittstelle. Er bewertet, wie gut es beiden und damit mir geht«, erklärt die niedergelassene ärztliche Psychotherapeutin aus Rheinland-Pfalz gegenüber PTA-Forum. Sie hat mehr als 25 Jahre Berufserfahrung als Ärztin, davon 18 Jahre im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie. Jakobs erklärt: »Je mehr ich den Kontakt zu mir finde, in mein Inneres reinhorchen kann, umso besser nehme ich wahr, wie ich mich fühle, also wie es meiner Seele geht, und kann entsprechend darauf reagieren.«
Im Rahmen einer Psychotherapie wird oft ein seelisches Ungleichgewicht, eine psychische Störung, behandelt. Die Gründe für eine solche seelische Schieflage sind vielfältig: Trennung vom Partner, Tod eines geliebten Menschen, Konflikte auf der Arbeit, eine gefühlte Überforderung mit der Situation in der Familie oder in der Welt. Dabei gibt es psychische Störungen, die gemäß Jakobs eindeutig ein Therapeut behandeln sollte, etwa eine posttraumatische Belastungsstörung, Angststörungen (vor allem Panikattacken), schwere Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Somatisierungsstörungen (körperliche Beschwerden ohne Organbefund), Essstörungen und Zwangsstörungen.
Die Übergänge von gesund zu psychischen Leiden mit Krankheitswert sind fließend. Störungen wie leicht- bis mittelgradige Depressionen, Verlusterfahrungen und psychische Störungen aufgrund körperlicher Krankheiten lassen sich Jakobs zufolge – eventuell vorübergehend – auch ohne Psychotherapeuten, etwa mit einem guten Coaching, Selbsthilfegruppen oder unter Anleitung eines geeigneten Ratgebers, behandeln.
Jakobs ist diese Einteilung wichtig, soll sie dem Leser als Richtschnur dienen abzuwägen, ob er wirklich einen Therapieplatz benötigt. Denn in Deutschland gibt es zu wenige Psychotherapeuten für Hilfebedürftige. Diese Menschen müssen monatelang auf einen Therapieplatz warten. Mit ihrem Ratgeber »Psychotherapie für zu Hause: Selbsthilfe bei Lebenskrisen, depressiven Verstimmungen und emotionalen Konflikten« möchte Jakobs Werkzeuge vermitteln, die man in Krisensituationen nutzen kann, um diese möglichst ohne großen Schaden durchzustehen beziehungsweise bereits vorliegenden Seelenschmerz zu mildern. Das Buch kann damit auch Menschen bei der Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz unterstützen.
Das Buch startet mit einem Erste-Hilfe-Werkzeugkasten für Menschen in einer Krisensituation. Er besteht aus neun »Schlüsseln«: Maßnahmen, von denen eine oder mehrere je nach Vorliebe die Tür zum Inneren öffnen und möglichst Ruhe einkehren lassen sollen. Da gibt es zum Beispiel den Notfallkoffer für die Sinne, den man sich selbst zusammenstellen und aus dem man im Akutfall schöpfen kann: etwa ein Fläschchen mit Lavendelöl zum Riechen, ein zartes Tuch, mit dem man sich beruhigend streichelt oder schöne Musik, um zur Ruhe zu kommen.
Eine andere Maßnahme ist laut Jakobs die tiefe Atmung: »Sie ist der Schlüssel zur Selbstberuhigung und Entspannung. Wir können ganz leicht anfangen, indem wir jeden Tag binnen zwei Minuten sechsmal bewusst tief einatmen, den Atem kurz anhalten und anschließend langsam ausatmen.« Diese Atemübung eignet sich ritualisiert zum Beispiel vor dem morgendlichen und abendlichen Zähneputzen. Jakobs weiß: Rituale geben Sicherheit, Halt und Struktur. Sie zu beginnen, sei entscheidend, um sich aus der Starre durch Schmerz, Angst und Unsicherheit zu befreien, letztlich mit dem Ziel, sich besser zu fühlen.
Die Erste-Hilfe-Maßnahmen sind ein erster Schritt, sich direkt zu beruhigen. Um dauerhaft wieder seelisches Gleichgewicht zu erlangen, braucht es mehr: die Selbsterkenntnis, dass sich etwas ändern muss, und schließlich eine tatsächliche Verhaltensänderung. Dabei sei jeder Weg individuell, und es gebe kein Allheilmittel, wie Jakobs betont.
In vielen Fällen scheint es hilfreich zu sein, sich die eigene Vergangenheit anzuschauen: Habe ich in der Kindheit Erfahrungen gemacht, Muster entwickelt, die auch heute noch mein Verhalten bestimmen, auch wenn sie mir im Weg stehen? Beim Aufspüren von wunden Punkten aus der Vergangenheit kann ein professioneller Psychotherapeut helfen, bei manchen seelischen Störungen ist das auch empfehlenswert. Bei anderen schafft man das vielleicht auch in einer Selbsthilfegruppe oder mithilfe einer Vertrauensperson.
Sich einem anderen Menschen zu öffnen, ihm seine Schwachstellen zu zeigen, ist allerdings oft mit Scham verbunden. Jakobs ist überzeugt: »Solange wir Scham in uns tragen, können wir uns nicht von alten Mustern befreien.« Die Psychotherapeutin erklärt: Bei diesem Rückblick gehe es darum, sich selbst besser kennen und verstehen zu lernen; Schmerzen, Ängste, die man heute empfindet, die ihren Ursprung aber in der Vergangenheit haben, auch zurück in die Vergangenheit zu verfrachten, indem man sich klar macht, dass sie dorthin gehören.
Dies lösche zwar nicht den Schmerz, aber durch das Sich-Bewusstmachen seines Ursprungs und das Zurückverweisen in die Vergangenheit hätte dieser im Jetzt weniger, möglichst keine Macht mehr. Jakobs beschreibt es, als betrachte man den Schmerz durch eine Glasscheibe; man nimmt eine gelassenere, distanzierte Haltung ein. Auch die tiefe Atmung kann dabei helfen, diesen Zustand zu erreichen. Die Psychotherapeutin betont auch, dass es bei der Rückschau nicht um Schuldzuweisung etwa den Eltern gegenüber gehe, sondern um die Akzeptanz und das Annehmen all dessen, was war und was ist, um sich nicht mehr um sich selbst drehen zu müssen. Vielmehr könne man dann im Jetzt leben und offen für eine Verhaltensänderung sein.
Jakobs beschreibt in ihrem Buch verschiedene Werkzeuge, wie solche Verhaltensänderungen bewerkstelligt werden können. Man könne sich etwa bewusst machen, was einem im Leben wirklich wichtig ist und dabei Prioriäten setzen. Dabei spielen die Themen Abgrenzung und Loslassen eine große Rolle. Das (Wieder-)Erlernen von Dankbarkeit für das, was man hat, könne das Leben leichter und zufriedener werden lassen.
Jakobs spricht auch Stolpersteine an, die sich der Verhaltensänderung in den Weg stellen können. Ihr Tipp: Etwas wohlwollender mit den eigenen vermeintlichen Fehlern umzugehen, das verändere den Blick und entspanne. Wichtig sei es, am Ball zu bleiben. Manchmal aber sei die Zeit noch nicht reif für eine bestimmte Verhaltensänderung. Dann solle man ihr Zeit geben – das Problem wird sich wieder melden.
»Manche Menschen kommen zu mir in die Praxis mit der Illusion, durch die Psychotherapie runderneuert zu werden, also dass ihr seelischer Schmerz weg ist. Dem ist nicht so. Er kann immer mal wieder aufploppen. Das Entscheidende ist, zu lernen, ihm gegenüber eine gelassenere Haltung einzunehmen. Entscheidend dafür ist mein bewusstes Leben im Augenblick«, so die Psychotherapeutin.