In der Therapie geht es deshalb nicht darum, das Verhalten einfach abzustellen, sondern zu verstehen, was damit reguliert werden soll, also warum man es macht. Dazu ist wichtig zu wissen: »Wann passiert es, in welchem Zustand, in welcher Umgebung?«, sagt Mouton-Odum. Neben verhaltenstherapeutischen Techniken spiele das Auflösen von Scham eine zentrale Rolle. »Manche Patientinnen sind erst dann bereit, Neues zu lernen, wenn sie verstanden haben: Das ist kein seltsames oder ekliges Verhalten – es ist menschlich.«
Auch Mackay betont, wie wichtig Selbstmitgefühl sei. »Das Gegenmittel zu Scham ist Mitgefühl – nicht Selbstdisziplin. Es bedeutet, sich mit Neugier statt mit Abwertung zu begegnen: Warum ist mein Drang heute stärker? Statt: Ich bin so dumm, ich hab’s wieder getan.«
Wer selbst bemerkt, dass er in akuten Stresssituationen knibbelt oder drückt, sollte es zunächst mit einem Entspannungstraining versuchen, rät Martin Grunwald. Wenn dieses Verhalten besonders häufig vorkommt und man es selbst problematisch empfindet, helfe eine Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut weiter, die oder der mit dem Thema Erfahrung hat.
Sind Kinder betroffen, kommt es besonders auf den Umgang der Eltern damit an. Sie beobachten das Verhalten beim Kind oft mit Sorge und reagieren mit Appellen wie »Hör doch auf damit!«. Doch das verschlimmert die Scham. »Die entscheidende Frage ist nicht, wie man das Kind stoppen kann, sondern wie man ihm hilft, ohne Scham zu leben«, sagt Clare Mackay. Eltern sollten den Fokus neu ausrichten: auf die Stärken und das Selbstwertgefühl ihres Kindes, nicht auf Haare oder Haut.