Selektionsvorteil Blutgruppe |
Während Menschen mit Blutgruppe Null bei Malaria einen Selektionsvorteil haben, erkranken sie oft schwerer an Cholera. / Foto: Adobe Stock/mycteria
Kann eine bestimmte Blutgruppe evolutionäre Vorteile bedeuten, wenn es um Infektionskrankheiten geht? Forschungsergebnisse legen das nahe. Welche Blutgruppe ein Mensch hat, ist durch die spezifischen glykolysierten Oberflächenstrukturen auf den Erythrozyten definiert. Das Blutgruppensystem ABO ist das wichtigste System und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts vom österreichischen Mediziner Karl Landsteiner entwickelt.
In Deutschland sind 43 Prozent der Menschen Träger der Blutgruppe A, 41 Prozent haben Blutgruppe 0, 11 Prozent Blutgruppe B und 5 Prozent Blutgruppe AB. Wer Blutgruppe A hat, weist auf der Oberfläche seiner Erythrozyten Antigene vom Typ A auf, beim Typ B sind es Antigene vom Typ B. Beide Arten von Antigenen sind bei Blutgruppe AB vorhanden und bei Blutgruppe 0 fehlen sie. Die Antigene A und B haben als gemeinsamen Vorläufer das Antigen H. Dieses findet sich auch bei Blutgruppe 0. Das H-Antigen ist ähnlich wie die Antigene A und B aufgebaut, trägt jedoch nicht deren charakteristische Kohlenhydratreste. Bei der seltenen Bombay-Blutgruppe, die durch einen Gendefekt verursacht ist, fehlt auch das Antigen H.
Der Begriff »Blutgruppenantigen« kann irreführen, da sich die Antigene auf vielen verschiedenen Zelltypen wie Leukozyten, Thrombozyten, Epithel- und Endothelzellen finden. Ein Zusammenhang mit Infektionen wird ersichtlich, wenn man bedenkt, dass pathogene Viren, Bakterien und Parasiten nicht zufällig in Zellen eindringen. Sie docken vielmehr gezielt an bestimmten Oberflächenstrukturen an. Blutgruppenantigene können als Rezeptoren für Krankheitserreger oder deren Toxine dienen.
Beispiele für an Blutgruppenantigene bindende Bakterien sind Escherichia coli, Haemophilus influenzae, Neisseria meningitis, Streptococcus pneumoniae, Shigella dysenteriae und Vibrio cholerae. Protozoen wie Malariaparasiten nutzen ebenso wie Noroviren, Parvoviren oder das HI-Virus ebenfalls Blutgruppenantigene als Andockstellen. Da sich die Rezeptoren bei den einzelnen Erregern unterscheiden, bietet eine bestimmte Blutgruppe nicht per se einen Vor- oder Nachteil.
Die hohe Inzidenz der Blutgruppe 0 in Malariagebieten könnte das Ergebnis des Selektionsdrucks durch Malariaparasiten sein. Menschen mit dieser Blutgruppe haben im Falle einer Malariainfektion leichtere Verläufe und das Risiko für thromboembolische Komplikationen ist bei ihnen geringer. Plasmodium falciparum führt bei schweren Verläufen dazu, dass sich befallene Erythrozyten an andere befallene und nicht befallene rote Blutkörperchen anheften. Es entstehen sogenannte Rosetten, die mit dem Endothel verkleben und die Gefäße verstopfen können. Bei Patienten mit Blutgruppe 0 findet das Rosettieren vermindert statt. Sie überleben häufiger und können ihre Blutgruppe weitervererben. In Malariagebieten bietet somit die Blutgruppe 0 einen Überlebensvorteil. Im Amazonasgebiet, in Zentralamerika oder in Nigeria zählen bis zu 90 Prozent der Menschen zur Blutgruppe 0.
Eine weitere Besonderheit ist, dass in Malariagebieten Westafrikas Menschen einen speziellen Rezeptor auf den Erythrozyten recht selten aufweisen. Diesen Rezeptor, den Duffy Antigen Receptor for Chemokines (DARC), haben Menschen mit der Blutgruppe Duffy. Der Malariaerreger Plasmodium vivax kann nur bei Menschen mit dem Duffy-Protein in die roten Blutkörperchen eindringen. Wer DARC nicht auf den Erythrozyten aufweist, ist folglich geschützt. Beim HI-Virus könnten Menschen ohne DARC jedoch im Nachteil sein. Das Duffy-Protein ist ein Co-Rezeptor für HIV-1. Zellen könnten über diese Bindungsstelle Viren abfangen. Ist die Infektion jedoch einmal erfolgt, schreitet die Krankheit bei Duffy-negativen Menschen langsamer voran. Die Mechanismen sind allerdings noch nicht ausreichend verstanden.
Bei Covid-19 fielen früh Zusammenhänge zwischen der Blutgruppe und dem Erkrankungsrisiko beziehungsweise dem Risiko für schwere Verläufe auf. Als Hypothesen wurde vorgeschlagen, dass Anti-AB0-Antikörper SARS-CoV-2 neutralisieren könnten oder aber, dass das Spike-Protein an AB0-Blutgruppenglykane bindet. In einer Studie aus 2022 widerlegten französische Forscher die zweite Möglichkeit. Sie stellten jedoch fest, dass das Risiko, sich bei einem Erkrankten anzustecken, abhängig von der AB0-Blutgruppenkompatibilität ist. Waren die Blutgruppen von erkrankter Person und einem gesunden Partner miteinander kompatibel, erhöhte sich das Risiko für den Partner, sich anzustecken. Eine AB0-Inkompatibilität verringerte hingegen das Übertragungsrisiko. Damit lässt sich auch erklären, warum bei Menschen der Blutgruppe 0 häufiger ein partieller Schutz auftritt als bei Personen der Blutgruppen A und B. Anti-AB0-Antikörper scheinen zur Virusneutralisierung bei Covid-19 beizutragen.
Bei anderen Infektionskrankheiten erweist sich die Blutgruppe 0 als Nachteil. Das kann erklären, warum im Gangesdelta in Bangladesch die Blutgruppe 0 kaum vorkommt, während die Prävalenz der Blutgruppe B hoch ist. Dort gefährdet die Durchfallerkrankung Cholera die Gesundheit und das Leben vieler Menschen. Die Infektion wird durch das gram-negative Bakterium Vibrio cholerae ausgelöst. Bereits in den 1970er Jahren wurde in epidemiologischen Studien festgestellt, dass Personen mit Blutgruppe 0 anfälliger für eine schwere Cholera sind als andere Menschen. Seitdem haben mehrere Fall-Kontroll-Studien gezeigt, dass Menschen mit der Blutgruppe 0 ein erhöhtes Risiko für Krankenhausaufenthalte haben, wenn sie sich mit bestimmten Stämmen des Erregers infiziert hatten.
Menschen mit der Blutgruppe 0 sind ähnlich anfällig, sich mit V. cholerae zu infizieren, wie Menschen mit den Blutgruppen A, B und AB, aber der Verlauf der Krankheit ist bei ihnen schwerer. Das erste Stadium der Infektion, das auf die Adhäsion der Bakterien an den Darmepithelzellen zurückzuführen ist, hängt nicht vom Antigentyp ab. Entscheidend ist vielmehr, dass das von den Bakterien gebildete Toxin (Choleratoxin) an Zellen mit bestimmten Antigenen bindet. Der Hauptrezeptor ist das Gangliosid GM1. Das gastrointestinale Epithel ist äußerst reich an Glykokonjugaten und exprimiert neben GM1 auch Glykolipide und Glykoproteine, die Blutgruppen-ABH-Antigene tragen. Diese Blutgruppenantigene befinden sich auch auf der Schleimschicht, die die Epithelzellen auskleiden. Choleratoxin bei Menschen mit den Blutgruppen A, B oder AB kann daher an die Blutgruppenantigene am Ort der Infektion binden. Die Menge Toxin, die über den GM1-Weg aufgenommen wird, ist geringer. Das kann bei Trägern der Blutgruppen A, B und AB zu leichteren Cholera-Symptomen führen als bei Menschen mit Blutgruppe 0, die nur das schwächer bindende H-Antigen exprimieren.
Noroviren erkennen die Antigene A, B und H. Diese Antigene sind auf der Oberfläche von Darmepithelzellen bei Menschen, die das »Se«-Gen homo- oder heterozygot tragen, vorhanden. Diese Menschen erkranken bei einer Infektion. Personen jedoch, die homozygot für das rezessive Allel »se« sind, sind gegen Infektionen mit den meisten Stämmen der Noroviren resistent. Im Laufe der Evolution der Viren entstanden jedoch Stämme, die Menschen unabhängig von ihrem AB0- und Se-Status infizieren können, da sie andere Antigene erkennen. Die Beispiele zeigen, dass das Zusammenspiel von Pathogenen und Blutgruppen-Antigenen komplex sein kann. Die Mechanismen sind bei den einzelnen Erregern noch längst nicht ausreichend erforscht. Zu beachten ist auch, dass alleine dadurch, dass eine bestimmte Blutgruppe statistisch häufiger mit einem schweren Verlauf zusammenfällt, noch keine Kausalität bewiesen ist.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.