Sexuelle Störung durch Arzneimittel |
Die Einnahme bestimmter Medikamente kann sich auf das Liebesleben auswirken. / Foto: Adobe Stock/peopleimages.com
Wenn es im Bett nicht mehr gut läuft, ist das für viele Menschen ein Tabuthema. Das mögen viele auch nicht beim Arzt oder in der Apotheke ansprechen. Doch gerade hier wäre es wichtig, von dem Problem zu berichten. Nicht nur einige Krankheiten, sondern auch Medikamente können sexuelle Störungen verursachen. Die Gefahr besteht, dass Patienten das verdächtige Arzneimittel einfach nicht mehr anwenden. Ohne Rücksprache mit dem Arzt birgt das erhebliche gesundheitliche Risiken. Für das seelische Wohlbefinden und die Paarbeziehung kann indes ein gestörtes Sexualleben eine Belastung sein. In diesem Dilemma gilt es, eine für alle Bedürfnisse geeignete Lösung zu finden.
Potenziell können Arzneimittel auf vielfältige Weise sexuelle Funktionen stören. Manche beeinträchtigen das sexuelle Verlangen, behindern die Befeuchtung bei Frauen oder die Erektion und Ejakulation bei Männern. Andere führen zur Anorgasmie oder können zu schmerzhaftem Sex führen. Eine extreme Steigerung der sexuellen Lust ist eine weitere mögliche Nebenwirkung. Überaus schmerzhaft ist es für Männer, wenn nach dem Akt die Erektion bestehen bleibt. Von einem Priapismus spricht man, wenn der Penis für über zwei Stunden dauererregt bleibt. Es handelt sich dabei um einen akuten urologischen Notfall.
Unerwünschte Wirkungen auf die Sexualität sind besser bei Männern als bei Frauen beschrieben. Es liegen keine verlässlichen Zahlen dazu vor, wie viele Menschen betroffen sind. Als Auslöser kommen Arzneimittel aus verschiedenen Gruppen infrage, weiterhin ist an Freizeitdrogen wie Alkohol, Betäubungsmittel, Stimulanzien und Halluzinogene zu denken.
Bei einer potenziellen Nebenwirkung auf die Sexualität stellt sich die Frage, ob dafür tatsächlich das Arzneimittel oder eher die Grunderkrankung verantwortlich ist. Sexuelle Störungen treten beispielsweise häufig im Zusammenhang mit Depressionen auf. Bis zu 80 Prozent der Patienten, die Antidepressiva anwenden, berichten über Beeinträchtigungen wie Lustlosigkeit und Orgasmusstörungen. Bekannt ist die erektile Dysfunktion als Nebenwirkung von selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSNRI). SSRI und SSNRI sowie trizyklische Antidepressiva können zudem das sexuelle Verlangen und die Orgasmusfähigkeit reduzieren. Das liegt daran, dass die Substanzen verschiedene Transmittersysteme beeinflussen.
Wenn Arzneimittel den 5-HT2-Rezeptor blockieren, sinken dadurch die Dopamin- und Noradrenalin-Spiegel. Als unerwünschte Wirkungen können Anorgasmie und Ejakulationsverzögerung entstehen. Ist der D2-Rezeptor blockiert, kann der Prolaktin-Spiegel steigen und in der Folge die Libido abnehmen. Eine Blockade von Alpha-2-Rezeptoren hat ebenfalls Auswirkungen auf sexuelle Funktionen und kann den Orgasmus beeinträchtigen. Wie andere Nebenwirkungen von Antidepressiva tritt die sexuelle Dysfunktion meist bereits auf, bevor die antidepressive Wirkung einsetzt. Das Risiko für Nebenwirkungen auf die Sexualität ist am geringsten bei Moclobemid, Trazodon, Mirtazapin und Bupropion. Antidepressiva stehen einem erfüllten Sexualleben aber nicht immer entgegen. Finden Patienten dank der Medikation zu mehr Lebensfreude zurück, wirkt sich das meist auch positiv auf ihre sexuelle Lust und Aktivität aus. Ähnlich zweiseitig verhält es sich bei Benzodiazepinen. In niedriger Dosierung wirken sie angstlösend und können die sexuelle Funktion verbessern. In höherer Dosis können sie allerdings Lustlosigkeit und Orgasmusstörungen hervorrufen.
Die Krankheit Schizophrenie führt bei bis zu 80 Prozent der Betroffenen zu sexueller Dysfunktion. Störungen von Erregung und Orgasmus sind jedoch auch als Nebenwirkung von Antipsychotika beschrieben. Die negativen Effekte entstehen wie bei den Antidepressiva, weil die Medikamente den Neurotransmitterhaushalt beeinflussen. Antipsychotika blockieren speziell Dopaminrezeptoren. Dadurch entsteht eine Hyperprolaktinämie und nachfolgend eine Hemmung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse. Es resultiert bei beiden Geschlechtern ein Hypogonadismus. Die Patienten merken das an einem verminderten sexuellen Verlangen sowie geringerer Erregbarkeit und Orgasmusfähigkeit. Bei Frauen kann sich eine sekundäre Amenorrhö entwickeln und die Funktion der Eierstöcke ist mitunter gestört. Bei Männern kann sich ein Testosteronmangel einstellen. Bevor Ärzte Antipsychotika verschreiben, sollte der Prolaktinspiegel des Patienten gemessen werden. Wenn dieser unter Therapie ansteigt, ist ein Kausalzusammenhang des Medikaments mit berichteten sexuellen Störungen naheliegend.
Antiepileptika sind eine weitere Medikamentengruppe, die mitunter das Liebesleben stören. Für Gabapentin und Topiramat wurden Orgasmus-Schwierigkeiten und eine verminderte Libido berichtet. Eine enthemmte Lust bescheren hingegen manchen Patienten Medikamente, die zur Behandlung der Parkinsonerkrankung eingesetzt werden. Betroffene können durch die Einnahme von Dopaminagonisten sogar eine Sexsucht entwickeln.
Bluthochdruck kann sexuelle Funktionsstörungen auslösen, ebenso zahlreiche antihypertensive Medikamente. Einer von fünf Männern entwickelt unter einer Betablocker-Therapie eine erektile Dysfunktion. Sexuelle Funktionsstörungen werden auch bei anderen Antihypertensiva beschrieben. Diuretika aus der Gruppe der Thiazide und Spironolacton können Erektionsstörungen verursachen. Thiazide entfalten diese Nebenwirkung vermutlich, indem sie die Freisetzung von Katecholaminen beeinflussen und das freie Testosteron senken. Spironolacton bindet außer an Aldosteron-Rezeptoren auch an den Androgen-Rezeptor und ist damit ein direkter Gegenspieler zu Testosteron. Eplerenon weist eine hohe Spezifität für Aldosteron-Rezeptoren auf und verursacht daher weniger Nebenwirkungen. Die Liste der Lusträuber unter den Antihypertensiva ist noch länger. Alpha-2-Agonisten wie Clonidin oder Moxonidin können bei Männern eine erektile Dysfunktion auslösen. Inhibitoren des Angiotensin-Converting-Enzyms (ACE-Hemmer), nicht aber AT1-Rezeptorantagonisten wirken sich teilweise ebenfalls ungünstig auf die Sexualfunktion aus.
Wie Hypertoniker sind auch viele Menschen mit chronisch entzündlichen Erkrankungen langfristig auf Medikamente angewiesen. Glukokortikoide wie Prednison senken jedoch die Produktion von Sexualhormonen wie 17β-Estradiol, Progesteron und Testosteron. Das vermindert das sexuelle Verlangen und kann zu Erektionsstörungen führen. Die Wirkung ist dosisabhängig. Gelingt es, den Patienten mit einer Dosis unterhalb der Cushing-Schwelle ausreichend zu therapieren, mindert das die unerwünschte Arzneimittelwirkung.
Sexuelle Dysfunktionen können weiterhin Medikamente auslösen, die zur Therapie einer symptomatischen benignen Prostatahyperplasie (BPH) oder Symptome des unteren Harntraktes (lower urinary tract symptoms, LUTS) eingesetzt werden. Alphablocker wie Doxazosin oder Tamsulosin können Orgasmusstörungen und Priapismus hervorrufen. 5-Alpha-Reduktasehemmer wie Finasterid erzeugen einen beabsichtigten Testosteronmangel und können sich dadurch auf Libido und Erektion auswirken. Zu beachten ist, dass auch hier die Grunderkrankungen mit einer erhöhten Inzidenz für sexuelle Funktionsstörungen verbunden sind. Die gegen Prostatakrebs wirksamen GnRH-Analoga wie Buserelin verursachen Orgasmusstörungen und können einen Hypogonadismus mit verminderter Libido und erektiler Dysfunktion bewirken.
Bei Frauen lösen lang wirksame GnRH-Analoga, die zum Beispiel gegen Mammakarzinom eingesetzt werden, mitunter Orgasmusstörungen sowie Hypogonadismus mit Scheidentrockenheit und Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) aus. Wenig untersucht sind die Folgen von oralen Kontrazeptiva auf das weibliche Sexualleben. Bei der Einnahme kann das freie Testosteron sinken und so das sexuelle Verlangen abnehmen. Die Evidenz dazu ist jedoch bislang gering.
Es kann herausfordernd sein, den Kausalzusammenhang zwischen Arzneimitteln und möglichen Nebenwirkungen auf die Sexualität auszumachen. Menschen, die schon länger ein Medikament anwenden, haben unter Umständen noch gar nicht bedacht, dass dieses für ihre sexuellen Probleme verantwortlich sein könnte. Ebenso ist es möglich, dass Patienten in der Gebrauchsinformation von Nebenwirkungen auf die Sexualität lesen und ihre Probleme in der Partnerschaft darauf zurückführen, obwohl tatsächlich andere Stressoren die Ursache sind. Weiterhin ist zu beachten, dass einige Grunderkrankungen wie Depressionen oder Bluthochdruck zu sexuellen Störungen führen können.
Bei einem neu verschriebenen Arzneimittel, das sich potenziell negativ auf das Sexualleben auswirken könnte, ist ein sensibles Vorgehen vonseiten des Apothekenteams gefragt. Wichtig ist der Hinweis, dass berichtete Nebenwirkungen nicht bei jedem auftreten. Eine Rolle spielen weiterhin Dosierung und Einnahmedauer der Wirkstoffe, Art der Erkrankung und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Werden Nebenwirkungen auf die Sexualität von vorneherein zu sehr thematisiert, kann das einen Nocebo-Effekt auslösen. Besser fragt das Apothekenteam den Patienten, ob er Nebenwirkungen bemerkt hat, nachdem er das neue Arzneimittel einige Zeit genommen hat. Den Betroffenen kann es beruhigen, dass unerwünschte Wirkungen nach der ersten Zeit der Einnahme nachlassen können.
Wenn es sicher ist, dass ein Arzneimittel für sexuelle Funktionsstörungen sorgt, kann häufig der Wechsel auf ein anderes Medikament Abhilfe verschaffen. Männer, die Probleme unter einer Therapie mit Betablockern entwickeln, kommen möglicherweise besser mit einem AT1-Rezeptorantagonisten oder einem Calcium-Antagonisten zurecht. Patienten können mit ihrem Arzt ebenso besprechen, ob eine Dosisreduktion möglich ist. Denn manche Wirkungen auf die Sexualfunktion sind dosisabhängig. Ein verschriebenes Medikament hingegen heimlich abzusetzen, ist die schlechteste Lösung.
Wenn sich an der Pharmakotherapie nichts ändern lässt, verhelfen möglicherweise andere Arzneimittel Patienten wieder zu mehr sexueller Erfüllung. Frauen kann der Arzt estrogenhaltige Cremes verschreiben, die lokale Symptome wie Scheidentrockenheit und Dyspareunie lindern. Bei Männern hat sich die Einnahme eines Phosphodiesterase-Typ-5-(PDE-5-)Inhibitoren wie Sildenafil, Tadalafil oder Vardenafil vor einem erwarteten Geschlechtsverkehr bewährt. Es ist sogar immer wieder in der Diskussion, Sildenafil aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, um Männern den Zugang zu erleichtern. Zu beachten sind Kontraindikationen, etwa dürfen Patienten, die Nitrate einnehmen, nicht zusätzlich PDE-5-Hemmer anwenden.
Sildenafil kann auch Frauen helfen und eine durch SSRI induzierte Scheidentrockenheit sowie Orgasmus-Schwierigkeiten bessern. Eine pflanzliche Option können Präparate mit Yohimbin sein. Das Alkaloid stammt aus der Rinde des Yohimbe-Baumes (Pausinystalia yohimbe).
Wenn nicht medikamentöse Lösungen gewünscht sind, kann das Apothekenteam darauf hinweisen, dass auch die Lebensweise eine Auswirkung auf sexuelle Funktionen hat. Das bedeutet, dass Patienten ein vorhandenes Übergewicht reduzieren und weniger Alkohol trinken sollten. Mehr körperliche Aktivität und Alltagsbewegung wirken sich ebenfalls positiv auf das Sexualleben aus. Das gleiche gilt für ein gutes Stressmanagement. Dazu können Entspannungs- oder Atemübungen, Meditieren oder Yoga beitragen. Tabak, Cannabis oder andere Drogen fördern hingegen sexuelle Funktionsstörungen, was ein weiterer Grund ist, diese legalen und illegalen Suchtmittel zu meiden. Schließlich können sich Patienten auch an einen mit sexuellen Störungen vertrauten Psychotherapeuten wenden, gerade wenn Konflikte in der Partnerschaft, existenzielle Ängste oder andere Probleme das Liebesleben belasten. /
Art der Dysfunktion | Wirkstoffklasse | Wirkstoff-Beispiele |
---|---|---|
verminderte Libido | Antidepressiva | Amitryptilin, Clomipramin, Fluoxetin Imipramin, Paroxetin, Sertralin |
andere psychotrope Substanzen | Alprazolam, Chlorpromazin, Fluphenazin, Haloperidol, Lithium, Risperidon | |
Kardiovaskuläre Medikamente | Clonidin, Digoxin, Hydrochlorothiazid, Methyldopa, Spironolacton | |
andere | Cimetidin | |
verminderte Erregung | Antidepressiva | Amitryptilin, Citalopram, Clomipramin, Doxepin, Fluoxetin, Imipramin, Nortriptylin, Paroxetin, Sertralin, Tranylcypromin |
andere psychotrope Substanzen | Chlorpromazin, Fluphenazin, Lithium, Risperidon | |
Kardiovaskuläre Medikamente | Betablocker, Clonidin, Digoxin, Hydrochlorothiazid, Methyldopa, Spironolacton | |
andere | Antihistaminika, Pseudoephedrin | |
Orgasmus- oder Ejakulationsschwierigkeiten | Antidepressiva | Citalopram, Clomipramin, Doxepin, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Imipramin, Nortriptylin, Paroxetin, Sertralin, Tranylcypromin, Venlafaxin |
andere psychotrope Substanzen | Alprazolam, Fluphenazin, Haloperidol, Risperidon |