Sicher verhüten mit Thermometer und Stift |
Die Temperaturkurve zeigt es an: Übersteigt die Basaltemperatur für drei Tage eine gewisse Schwelle, hat der Eisprung stattgefunden. Die fruchtbaren Tage sind vorbei. / Foto: Getty Images / Ever
Frauen können schwanger werden, wenn sie Geschlechtsverkehr an Tagen rund um den Eisprung haben. Wann dieser stattfindet, kann durch den Anstieg der Körpertemperatur erfasst werden. Die Verhütung mithilfe der natürlichen Familienplanung (NFP) gilt gemeinhin als unsicher – zu Unrecht. Wenn sich Frauen intensiv mit ihrem Zyklus befassen und zusätzlich etwa den Zervixschleim beobachten, ermitteln sie mit wissenschaftlich fundierten Anwendungsregeln ihre fruchtbaren Tage äußerst präzise – benötigt werden lediglich Kurvenpapier, Stift und ein Thermometer.
Nach dem Eisprung ist die Eizelle etwa einen Tag befruchtungsfähig. Doch die Spermien überleben einige Tage im Körper der Frau. Daher sind Frauen während ihres Zyklus einige Tage vor bis etwa einen Tag nach dem Eisprung empfängnisfähig. Benutzen sie in dieser Zeit eine Barrieremethode wie ein Kondom oder verzichten auf Verkehr, tritt keine Schwangerschaft ein.
Je exakter Frauen ihr fruchtbares Fenster eingrenzen, desto verlässlicher ist die Verhütung. Neben der Basaltemperatur geben auch Veränderungen des Zervixschleims sowie Position und Festigkeit des Muttermunds Informationen über die Fruchtbarkeit. Die Auswertung dieser Parameter gilt als zuverlässig. Andere Symptome wie Mittelschmerz oder Veränderungen der Brust erlauben dagegen keine genauen Aussagen zur Fruchtbarkeit.
Die verschiedenen Methoden zur natürlichen Verhütung unterscheiden sich deutlich. Alle grenzen zwar die fruchtbaren von den unfruchtbaren Tagen ab, haben dafür aber unterschiedliche Konzepte. Die veraltete Kalendermethode geht etwa pauschal vom Eisprung in der Mitte eines 28-Tage-Zyklus aus, ebenso Apps, die die fruchtbaren Tage anhand der letzten Monatsblutung »berechnen«. Sie dienen allenfalls als Orientierung bei Kinderwunsch.
Schließlich funktioniert der Zyklus nicht wie ein Uhrwerk. Seine Länge schwankt, nicht nur bei Stress oder Infektionen. Zur Verhütung sollten Frauen daher jeden Zyklus individuell auswerten. »Dafür gibt es Einzeichenmethoden wie die reine Temperaturmethode, und Mehrzeichenmethoden«, erklärt Petra Klann-Heinen, Leiterin der Abteilung Gesundheitsförderung und Prävention der Arbeitsgruppe für NFP. Diese wird wissenschaftlich von der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie der Universität Heidelberg begleitet. »Zu den Mehrzeichenmethoden gehören auch die sogenannten symptothermalen Methoden, die die Temperaturauswertung mit einem Östrogenmarker, in der Regel dem Zervixschleim, kombinieren. Für diese Kombination gibt es weltweit verschiedene Auswertregeln mit unterschiedlichen Sicherheitsbereichen.«
Der Begriff »Natürliche Familienplanung« wird häufig synonym zur symptothermalen Verhütung verwendet. Zur besseren Abgrenzung hat die Arbeitsgruppe NFP eine evidenzbasierte Methode unter dem geschützten Namen Sensiplan® entwickelt. Sie basiert auf jahrzehntelanger Forschung und wird explizit in einer S1-Leitlinie der deutschen Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin zur Verhütung empfohlen. Regeln, die von dieser Methode abweichen, seien hingegen kaum oder gar nicht wissenschaftlich untersucht, betont die Expertin.
»Für die Messung der Basaltemperatur muss es ein Thermometer mit einer Anzeige von zwei Stellen nach dem Komma sein«, erklärt Klann-Heinen. Die Basaltemperatur ist die Körpertemperatur, die direkt nach dem Aufwachen und vor dem Aufstehen gemessen wird. Praktikabel sind analoge und digitale Thermometer, beispielsweise Geratherm® basal , Cyclotest® Lady Basalthermometer oder Beurer® OT20 Basalthermometer. »Die Messung sollte drei Minuten dauern«, so Klann-Heinen. Dies gelte auch bei Digitalthermometern, bei denen über den Piepton hinaus zu messen sei.
Im Idealfall misst die Frau jeden Morgen um die gleiche Uhrzeit, auf jeden Fall aber an der gleichen Körperstelle (vaginal, oral oder rektal). Langes Ausschlafen, aber auch Alkohol sowie Infekte können die Basaltemperatur erhöhen und werden als Störfaktoren gewertet. Übersteigt die Temperatur mindestens drei Tage eine gewisse Schwelle, kann gemäß den Regeln davon ausgegangen werden, dass der Eisprung vorbei ist. Verantwortlich für den Temperatursprung ist das Hormon Progesteron. Diese sogenannte Temperaturhochlage bleibt bis zur Periode bestehen und zeigt bei fehlendem Absinken über 19 Tage eine Schwangerschaft an.
Damit der Zyklus nach der Temperaturauswertung »freigegeben« werden kann, muss ein weiteres Symptom die Unfruchtbarkeit bis Zyklusende bestätigen. Hierfür wird ein Östrogenzeichen herangezogen: Im Laufe der Follikelreifung steigt der Östrogenspiegel kontinuierlich an. Unmittelbar vor dem Eisprung erreicht er einen hohen Peak und fällt binnen weniger Stunden steil ab.
Der Zervixschleim korreliert mit dem Östrogenspiegel und lässt sich mit etwas Übung als Sekret am Scheideneingang differenziert beurteilen. Menge, Konsistenz und Farbe zeigen, ob sich der Eisprung nähert. Zu Beginn des Zyklus ist der Schleim trüb und eher klumpig. Solange sich eine Frau zu Beginn des Zyklus trocken fühlt und keinen Schleim sieht, kann sie davon ausgehen, unfruchtbar zu sein. Die fruchtbaren Tage beginnen spätestens, wenn sich eine Frau erstmals feucht fühlt. Ein steigender Östrogenspiegel bewirkt, dass der Zervixschleim dünnflüssiger und durchsichtiger wird, bis er sich zwischen den Fingern zu langen Fäden spinnen lässt. In der hochfruchtbaren Phase erinnert er an rohes Eiweiß. Mit Abfall des Östrogenspiegels unmittelbar vor dem Eisprung schlägt die Schleimqualität um. Das Tasten des Muttermundes ist ein alternatives Östrogenzeichen, erfordert aber Erfahrung. »Nach kurzer Zeit ist die Selbstbeobachtung absolute Routine und Temperaturmessungen sind nur an wenigen Tagen nötig«, beruhigt Klann-Heinen.
Erst, wenn Temperatur und Anzeichen unabhängig voneinander den Zyklus freigeben, dürfen Paare auf Verhütung verzichten. Dieser doppelte Check begründet die hohe Methodensicherheit. Beobachten Frauen wie etwa bei der Billings-Methode nur den Zervixschleim, werden viele ungewollt schwanger. Der Mittelschmerz erlaubt keine Freigabe, obwohl viele glauben, dadurch den Eisprung genau zu spüren. Er tritt mit einer Schwankungsbreite von neun Tagen vor bis zu zwei Tagen nach dem Basaltemperaturanstieg auf.
Die konkreten NFP-Regeln lernen Interessierte am besten in einem Kurs oder Online-Workshop. Anhand von 7866 Zyklen konnte eine Methodensicherheit mit einem Pearl-Index von 0,4 nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass von 100 Frauen in einem Jahr bei perfekter Anwendung 0,4 Frauen schwanger werden. Die Anti-Baby-Pille liegt in einem ähnlichen Bereich. »Sensiplan ist hochsicher, wenn folgende Kriterien erfüllt werden: Striktes Einhalten der Regeln, die richtige Auswertung der Zyklen sowie Motivation der Partner«, so Klann-Heinen.
Die NFP-Methode ermöglicht sowohl das Vermeiden als auch Anstreben einer Schwangerschaft. Schichtarbeit und Stillzeit stellen keine Hürden dar. Frauen mit Zyklusunregelmäßigkeiten oder Hormonstörungen profitieren ebenfalls: »Sie lernen ihre Reaktion auf verschiedene Einflüsse kennen und können feststellen, wann jeweils der Eisprung stattfindet«, so Klann-Heinen. Damit wird auch die Periode berechenbar, denn die zweite Zyklushälfte verläuft stabil.
Zykluscomputer mit Temperatursensoren, Bluetooth-gekoppelte Thermometer sowie Apps scheinen auf den ersten Blick eine Unterstützung darzustellen. Aber: »TÜV-Siegel, CE-Klassifizierung oder die jüngste FDA-Zulassung einer Verhütungs-App sagen nichts über die Verhütungssicherheit aus, da diese Institutionen keine eigenen Studien durchführen und sich auf Herstellerangaben verlassen«, warnte Dr. Petra Frank-Herrmann in einem Pressetext des 62. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Bisherige Studien seien aufgrund der nicht kontrollierten Studienbedingungen wenig aussagekräftig.