Sing mal wieder! |
Singen kann dabei helfen, Gefühle zu sortieren. Schließlich gibt es emotionale Eindrücke, die auf uns Menschen einwirken, derer wir uns aber gar nicht bewusst sind. Durch das Singen können wir einen Umgang damit finden. »Manchmal werden die Leute plötzlich aggressiv oder sind depressiv, erschöpft und wissen nicht, warum«, sagt Professor Gertraud Berka-Schmid, die ausgebildete Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie ist und an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien gelehrt und geforscht hat. »Das Singen hilft ihnen dabei, wieder eine körperlich-seelische Balance herzustellen.«
Wie sich das erklären lässt? Beim Singen verändert sich die Atemgestaltung, vor allem die Ausatmung wird länger. Mit Auswirkungen auf das autonome Nervensystem: Der Parasympathikus wird dadurch stärker aktiviert, er ist mit Ruhe und Entspannung verbunden. Sein Gegenspieler, der Sympathikus, wird hingegen entlastet. Er wird mit Anspannung in Verbindung gebracht.
Im Alltag haben die meisten Menschen nur die flache Atmung. Wenn man jedoch beim Singen einen Ton lange halten muss, benötigt man vor allem die Muskelkraft der Bauch- und Flankenmuskulatur, um die Ausatmung zu verlangsamen.
Danach atmen wir tief wieder ein. Das verbessert die Sauerstoffsättigung im Körper und entlastet auch das Herz. Pluspunkt: Um einen vollen Stimmklang beim Singen zu erreichen, braucht es eine offene, aufrechte Körperhaltung, die viele von uns im Alltag vernachlässigen.
Sie hatten bisher wenig oder keinen Zugang zum Singen? Gertraud Berka-Schmid rät, neugierig zu sein und einfach einmal auszuprobieren, wie wir unseren Körper zum Klingen bringen können. »Man sollte nicht mit schwierigen Stücken anfangen, sondern für sich allein in der mittleren Stimmlage – wo man sich wohlfühlt – experimentieren, wie etwa ein Vokal in verschiedenen Tonhöhen klingen kann«, sagt die Medizinerin, die selbst ehemalige Opernsängerin ist.
»Man kann auch erst einmal summen oder brummen mit der Hand auf der Mitte der Brust, über dem Brustbein, um die Vibrationen, die die Stimme im Körper hervorbringt, zu erleben«, rät sie. Danach kann man sich trauen, Stimmungen in die Stimme zu bringen. »Das Wichtigste dabei ist Spaß daran zu haben, sich selbst auf diese Art – vielleicht neu – kennenzulernen.«
Wer spielerisch an das Thema herangeht, merkt womöglich: Die Angst verliert sich. »Man muss zu Beginn vielleicht gar nicht von Singen reden. Klingen ist die bessere Einstiegsvokabel«, sagt Berka-Schmidt. »Und der Körper darf wieder zum Klingen gebracht werden.«