So eng sind Körper und Psyche verbunden |
Barbara Döring |
12.06.2023 16:00 Uhr |
Gehirn, Geist und Psyche stehen mit dem Körper in Wechselwirkung. / Foto: Adobe Stock / melita
Ständige Schmerzen im Rücken, die Neurodermitis will sich nicht bessern, immer wieder Durchfall – bei anhaltenden Beschwerden, für die sich partout keine einfache schulmedizinische Behandlung finden lässt, heißt es oft: Dann muss es wohl die Psyche sein! Ganz so einfach ist es aber nicht: »Psychosomatik heißt nicht: Es kann nur seelisch sein«, sagt Professor Dr. Eva Peters, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Dermatologie im Gespräch mit PTA-Forum. Vielmehr beschäftigt sich das Fachgebiet mit der Frage, wie Gehirn, Geist und Psyche auf der einen Seite mit dem Körper (altgriechisch = soma) auf der anderen Seite zusammenwirken.
»Wir haben immer wieder Situationen, wo hohe psychische Belastungen etwas mit dem Körper machen und umgekehrt hohe körperliche Belastungen etwas mit der Psyche machen«, sagt Peters. Denn beide Ebenen – Körper und Psyche – sprechen dieselbe chemische Sprache: Erlebt der Mensch akuten Stress oder eine Schrecksituation, setzt der Körper innerhalb von Sekunden Stressbotenstoffe frei, die signalisieren, dass eine Herausforderung auf ihn zukommt. Der Körper wird darauf eingestellt, entweder zu fliehen oder zu kämpfen: Der Blutdruck steigt, Energie wird mobilisiert, die Herzfrequenz erhöht und die körpereigene Abwehr (Immunsystem) wird an den Start gebracht.
Diese Reaktion hilft unserem Körper, mit der Umwelt klarzukommen. Sie wird von den Stressreaktionssystemen des Körpers gesteuert. Das neuroendokrine und das Immunsystem sind darauf geeicht, unser Überleben zu sichern. Für akute Stresssituationen hat es Strategien parat, um auf mögliche Eindringlinge wie Viren und Bakterien schnell reagieren zu können. Welche Mechanismen dabei zusammenwirken, damit beschäftigt sich die Psychoneuroimmunologie. »Werden Stressbotenstoffe ausgeschüttet, wird zunächst das angeborene Immunsystem auf eine erste schnelle Reaktion eingestimmt. Dabei werden zum Beispiel Fresszellen, sogenannte Makrophagen, und neutrophile Granulozyten an den Start gebracht, die mit relativ groben Mitteln, zum Beispiel Wasserstoffperoxid, Keime sofort beseitigen können«, schildert Peters, die das Psychoneuroimmunologie-Labor in der Psychosomatik an der Justus-Liebig-Universität Gießen leitet und an der Charité Berlin tätig ist. Stressbotenstoffe wie Cortisol und Adrenalin sorgen dabei kurzfristig dafür, dass Immunzellen schnell an den Ort der Gefahr gelangen und aktiv werden.
Gerade in den peripheren Organen an der Grenze zur Umwelt wie Haut, Lunge und Darm sorgt die Stressreaktion für erhöhte Betriebsamkeit der Abwehrkräfte: Hier sitzen besonders viele Nervenfasern, die weitere Stressbotenstoffe wie das Neuropeptid Substanz P freisetzen, sowie Mastzellen, die unter diesem Einfluss Entzündungsbotenstoffe wie Histamin ausschütten, um gegen Eindringlinge an Ort und Stelle vorzugehen. Dass die Stressbotenstoffe das Immunsystem darauf einstimmen, schnell zu reagieren, hat den Vorteil, dass im Kampf gegen Eindringlinge keine Zeit verloren geht. Der Nachteil ist jedoch, dass dabei viele Kollateralschäden entstehen. »Wird zum Beispiel Wasserstoffperoxid freigesetzt, geht auch eine Menge gesundes Gewebe zugrunde, wie man es etwa vom Herpesbläschen kennt«, erläutert Peters. Dabei kommt es zu Gewebeschäden und oxidativem Stress, der dem Organismus bei Entzündungen zusetzt.
Ein großer Vorteil ist deshalb, dass das Immunsystem lernfähig ist und etwa bei einem Infekt nach einer Weile auf erlernte Immunität umschalten kann. Indem er zum Beispiel Antikörper bildet, kann der Körper mit chirurgischer Präzision reagieren, ohne weitere Kollateralschäden zu verursachen. Doch warum arbeitet das Immunsystem nicht gleich so spezifisch, sondern geht erst einmal mit der Holzhammermethode gegen die Stressoren vor? Der Grund: »Bis das Immunsystem lernt, Antikörper in ausreichender Menge zu produzieren, braucht es mindestens zwei bis drei Tage und der Prozess braucht sehr viel Energie, die der Körper nur investiert, wenn es sich wirklich lohnt. Ohne die angeborene Immunantwort hätten neue Keime viel Zeit sich auszubreiten«, erläutert Peters.
Ist ein Stressor beseitigt, muss eine Entzündungsreaktion auch wieder gestoppt werden, deshalb wirken Stressbotenstoffe wie das Hormon Cortisol gleichzeitig als Stoppsignal. Es dockt im Gehirn an Glucocorticoid-Rezeptoren an und sorgt so selbst dafür, dass nicht noch mehr Cortisol ausgeschüttet wird. Deshalb sind akute Stressreaktion im Normalfall nur kurzfristig und klingen bald wieder ab, sobald die Situation überstanden ist. »Nach etwa einer halben Stunde hat Cortisol seinen Peak erreicht und nach zwei Stunden ist der ganze Spuk vorbei«, sagt Peters. Anders bei anhaltendem Stress: Kommen ständig Reize nach, die zur Ausschüttung von Stresshormonen führen, bleibt das Stoppsignal aus und es kommt nicht zur Erholung.
Nerven, Hormone, Immunsystem sind also im engen Wechselspiel miteinander verbunden. Doch wann lässt sich sagen, dass Krankheiten psychisch bedingt sind, wann organisch? »Alle Beschwerden sind psychosomatisch«, bringt es Peters auf den Punkt. Die Frage sei keine Entweder-oder-Frage, sondern sie müsse lauten: Woher kommt die Belastung, die zu einer Krankheit führt oder sie nicht mehr abklingen lässt? Andauernder Stress und ungesunder Lebensstil greifen dabei oft Hand in Hand. »Wenn ich psychische Belastungen habe, ernähre ich mich schlecht, bewege mich nicht ausreichend, habe einen schlechten Schlaf oder Konflikte mit anderen, die den Stress weiter fördern«, weiß Peters.
Also auch der Lebensstil kann ein Stressfaktor sein: »Esse ich immer zu hochkalorisch und habe immer zu viel Zucker im Blut, bedeutet das nicht nur, dass meine Zellen irgendwann gegenüber Insulin resistent werden, sondern es werden auch ständig Schadenssignale freigesetzt, die Entzündungen triggern und Zellen absterben lassen«, erläutert Peters. Ein Grund, warum bei Diabetes erhöhte Entzündungswerte gemessen werden. Das Immunsystem ist dann im Daueralarm und nicht mehr richtig in der Lage, auf Reize von außen flexibel zu reagieren.
Jein, sagt Professor Eva Peters. Tatsächlich kann akuter Stress sogar gegen Infekte helfen, zum Beispiel der Saunagang, denn dabei wird die angeborene Immunität aktiviert. Trifft man auf viele neue Leute, von denen einige herumniesen, kann man davon ausgehen, auf einen neuen Keim zu stoßen. Wer danach ordentlich Stress hat und sich gleich wieder erholt, bringt die angeborene Immunantwort auf Trab. Das kann oft helfen, die Keime schnell abzuwehren, bevor sie in den Körper eindringen und sich vermehren. Dagegen macht chronischer Stress infektanfälliger. Wenn das Immunsystem dauerhaft auf die erlernte Immunität umgeschaltet hat, ist es blind für neue Keime und macht bei der Beseitigung von Keimen auch Fehler, die zu Autoimmunreaktionen führen können.
Wenn Psyche und Immunsystem so eng zusammenhängen, sind Optimisten dann seltener krank? »Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen, die eine gute Resilienz oder weniger psychosoziale Belastungen haben, in der Regel auch eine flexiblere Immunantwort zeigen, die bei Herausforderungen aus der Umwelt immer richtig reagiert«, sagt Peters. Doch auch der resilienteste Mensch kommt irgendwann an seine Grenzen. Dabei muss es nicht immer ein großes Trauma sein. Auch Konfliktthemen, etwa die tägliche Auseinandersetzung mit dem Partner, kann dazu führen, dass es nicht gelingt im Alltag zu entspannen, weil ständig wieder kleine Anspannungen dazukommen. Die gute Nachricht sei, dass man lernen kann, mit Belastungen besser umzugehen, um einen gesünderen Zustand zu erreichen, weiß Peters.
Das Fachgebiet der Psychosomatik schaut also auf alle Belastungen, die ineinandergreifen können, sodass eine Krankheit gefördert wird. »Das ermöglicht mir, alle Hebel, die die Medizin zur Verfügung hat, in Bewegung zu setzen – von Lebensstiländerung über stressregulierende Medikamente bis hin zur psychotherapeutischen Frage, wie sich Konflikte lösen lassen«, sagt Peters. Bei einer Neurodermitis beispielsweise lassen sich zwar nicht die Gene ändern, die eine weniger stabile Hautbarriere bedingen. Dass die Haut leichter austrocknet und Fremdstoffe leichter eindringen, ist häufig anlagebedingt. »Doch auch die psychosoziale Umwelt kann zur Hautentzündung beitragen«, erklärt Peters. Wichtig sei es, im individuellen Fall alle Triggerfaktoren, einschließlich der psychosozialen, zu kennen und damit die Mittel und Wege, um eine chronische Erkrankung wieder in den Griff zu bekommen. Das seien beim Beispiel Neurodermitis manchmal Cremes oder Medikamente, manchmal aber auch eine Schulungsmaßnahme, eine ambulante Psychotherapie oder eine Reha.
Patienten, die das Gefühl haben, allein mit somatischen Ratschlägen nicht weiterzukommen, sollten sich an eine Allgemeinmedizinerin oder einen Allgemeinmediziner wenden oder an einen Psychosomatiker. Die Psychosomatik sei die Fachrichtung, die Psychisches und Somatisches gleichzeitig betrachtet und von beiden Seiten die richtigen Hebel ansetzt, so Peters. Egal ob die »Sollbruchstelle« die Haut, der Darm, oder vielleicht das Herz ist: Peters rät in jedem Fall, auch selbst zu lernen, die Zeichen für permanente Überlastung zu kennen. Wer etwa morgens nicht mehr erholt aus dem Bett kommt oder sich permanent erschöpft fühlt, sollte das ernst nehmen und – wenn die Situation nicht allein zu bewältigen ist – Hilfe holen. Gerade bei hoher Belastung sei es oft nicht möglich, den guten Vorsatz für einen gesunden Lebensstil umzusetzen. Um solche Veränderungen im Leben zu verankern oder die Gründe zu finden, warum das gerade nicht gelingt, dafür brauche es manchmal Unterstützung. So helfen Gespräche im Rahmen einer Psychotherapie, zu erkennen, warum man immer wieder in bestimmte Konflikte gerät, und Wege zu finden, damit das nicht immer wieder passiert.