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Grundlagenforschung

So wenige Tierversuche wie möglich

Das Thema Tierversuche wird in der Gesellschaft kontrovers und oft emotional diskutiert. Warum sie für die Forschung unverzichtbar sind und in welchen Fällen Alternativen möglich sind.
Barbara Döring
05.03.2025  08:30 Uhr

Das deutsche Tierschutzgesetz definiert Tierversuche als »Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere verbunden sein können«. Dazu zählen nicht nur biomedizinische, sondern auch verhaltensbiologische Untersuchungen oder die Zucht von gentechnisch veränderten Tieren.

Tierversuche führen Forschende in der Grundlagenforschung durch, um bestimmte Fragestellungen zu Körperfunktionen zu klären, im Rahmen von gesetzlich vorgeschriebenen Giftigkeits- und Sicherheitsprüfungen von Medikamenten oder anderen Stoffen, mit denen Menschen in Berührung kommen, um Krankheiten zu erforschen und Behandlungen zu finden und zu verbessern oder für Lehrzwecke, etwa die Ausbildung von Tierärzten.

Tierversuche sind in der Europäischen Union nur erlaubt, wenn es dafür keine alternativen Ansätze gibt. Das Gesetz sieht vor, dass möglichst wenig Tiere zu Forschungszwecken eingesetzt werden sollen. Das ist auch im Sinne der Wissenschaft, denn Tierversuche sind teuer, aufwendig und anspruchsvoll. Es muss stets abgewogen werden zwischen dem Nutzen für den Menschen und dem möglichen Leid für die Tiere.

Jeder geplante Tierversuch ist umfassend wissenschaftlich und ethisch zu begründen und muss bei den zuständigen Behörden – in Hessen und Baden-Württemberg zum Beispiel den Regierungspräsidien, in Berlin beim Landesamt für Gesundheit und Soziales – beantragt und von diesen genehmigt werden.

Voraussetzung für eine Bewilligung ist, dass neue Erkenntnisse gewonnen werden, die nur mit dem Tierversuch zu klären sind. Dabei gilt als Richtlinie in jedem Fall das ethische »3R-Prinzip«: Replace (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern). Diese Handlungsgrundsätze haben das Ziel, die Zahl der Versuche zu begrenzen und das Leider der Tiere auf das unerlässliche Maß zu reduzieren.

Alternativen prüfen

Demnach ist ein Tierversuch nicht zulässig, wenn statt eines Wirbeltiers wie einer Maus die wissenschaftliche Fragestellung auch mit einfachen Organismen wie wirbellosen Tieren oder Bakterien geklärt werden kann. Auch der Einsatz von alternativen Methoden wie Zell- und Gewebekulturen oder Computermodelle sind dabei zu prüfen.

Versuche mit Wirbeltieren sind nur dann erlaubt, wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere ethisch vertretbar sind. Sind Schmerzen für das Tier zu erwarten, besteht für Wissenschaftler die Verpflichtung, die Versuche mit Gabe von Schmerzmitteln durchzuführen oder unter Betäubung, es sei denn, diese wäre für das Tier wiederum zu belastend.

Wissenschaftler müssen zudem Sorge tragen, die Zahl der Versuchstiere auf ein Minimum zu reduzieren. Durch die Abstimmung der Forschenden untereinander ist zudem zu gewährleisten, dass ähnliche Versuche nicht unnötigerweise mehrfach durchgeführt werden. Auch ist detailliert geregelt, welche Voraussetzungen für die Haltung der Tiere erfüllt sein müssen. Das ist nicht nur aus tierschutz-, sondern auch aus wissenschaftlichen Aspekten von Belang, da eine starke Beeinträchtigung der Tiere die Versuchsergebnisse verzerren könnten.

Selbstverständlich darf nicht jeder einen Tierversuch durchführen. Gesetzlich ist geregelt, dass nur Personen mit den erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten dazu befähigt sind. Dazu zählen etwa Tierärzte, Human- und Zahnmediziner und Biologen mit Schwerpunkt Zoologie, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium sowie einen in Spezialkursen erworbenen Sachkundenachweis haben. Sind keine Operationen vorgesehen, sind auch Wissenschaftler mit abgeschlossenem naturwissenschaftlichem Studium oder Personen mit qualifizierter Ausbildung wie biologisch-technische Assistenten oder Labortierpfleger berechtigt. Auch hier gilt, dass die Sachkunde dafür in speziellen Kursen erworben werden muss.

Für Kosmetik verboten

Nicht sinnvoll und seit 1998 nicht mehr erlaubt sind Tierversuche für die Entwicklung von Kosmetika. Seit 2009 dürfen in der Europäischen Union zudem keine Kosmetika verkauft werden, deren Bestandteile nach diesem Zeitpunkt im Tierversuch getestet wurden. Das gilt auch für Produkte aus dem Ausland. Bis zum Jahr 2013 gab es hier noch Ausnahmeregelungen, die seitdem nicht mehr gelten. Tiere dürfen zudem grundsätzlich nicht zur Entwicklung von Waschmitteln, Tabakerzeugnissen oder Waffen eingesetzt werden.

In Deutschland hat die »Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen (ZEBET) das Ziel, die Entwicklung von Alternativmethoden zu gängigen Tierversuchen zu fördern. Die Forschung arbeitet intensiv daran, entsprechende Alternativen zu entwickeln. Viele davon haben sich inzwischen als Standardmethoden in der Forschung etabliert. In-Vitro-Methoden beispielsweise ermöglichen die Untersuchung von Zellen aus tierischem oder menschlichem Gewebe außerhalb des Organismus. Beim »Tissue Engineering« versuchen Forscher in Gewebekulturen Teile von Organen außerhalb des Körpers nachzubilden. Ganze Organe wie Herz, Lunge oder Nieren zu züchten, ist bislang jedoch nicht gelungen. Auch das komplexe Zusammenspiel von verschiedenen Organen und Geweben lässt sich außerhalb des Organismus nicht nachvollziehen.

»Nicht invasive Methoden« ermöglichen es zum Beispiel mit bildgebenden Verfahren, Abläufe im Körper auf einem Monitor darzustellen. Sie kommen etwa bei der Erforschung von Gehirnaktivitäten zum Tragen. Ein großer Fortschritt wäre es, alle Funktionen des Körpers in einem Computermodell simulieren zu können. Die Rede ist von »In Silico-Methoden«. Einige Organ- und Zellfunktionen lassen sich so bereits nachbilden und auf diese Weise etwa nachvollziehen, wie lange es dauert, bis der Körper einen Wirkstoff abbaut.

Eine weitere alternative Versuchsmethode ist die »Mikro-Dosierung« beim Menschen. Dabei wird ein Wirkstoff in einer so niedrigen Dosierung verabreicht, dass weder eine schädigende noch heilende Wirkung zu erwarten sind. Es lässt sich jedoch nachvollziehen, wie der Wirkstoff aufgenommen, im Körper verändert und ausgeschieden wird.

Diese und andere Alternativmethoden werden wann immer möglich eingesetzt, können jedoch nicht alle Tierversuche ersetzen. Ein neues Wirkprinzip lässt sich damit beispielsweise nicht erforschen. Zudem können Forschende zwar nachvollziehen, wie sich ein Medikament auf eine Zellkultur auswirkt, nicht jedoch, ob es auch andere Zelltypen beeinflusst oder durch mögliche Abbauprodukte andere Organe schädigt. Ethisch wäre es auch nicht vertretbar, einen neuen Wirkstoff direkt am Menschen auszuprobieren. »Wir nutzen Zellkulturen und Biochips – aber das reicht nicht«, wird Professor Clemens Schmitt vom Max Delbrück Center in Berlin auf der Website »Tierversuche verstehen« – einer Informationsinitiative der Wissenschaft – zitiert. »Wenn präklinische Forschung weniger aussagekräftig wird, weil Tierversuche fehlen, sind die Wirkstoffe in klinischen Studien weniger sicher.«

Grundlage neuer Therapien

Wenn es um komplexe physiologische Funktionen, etwa des Gehirns oder des Immunsystems geht, die noch nicht vollständig verstanden sind, kommen Forschende ebenfalls nicht ohne Tierversuch aus. »Wir untersuchen, wie Nervenzellnetzwerke Verhalten und Lernen steuern«, wird Professor Jan Gründermann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn auf der Website zitiert. »Tiermodelle sind essenziell, um den neuronalen Code solcher Vorgänge zu entschlüsseln und auf dieser Grundlage neue Therapien für Erkrankungen wie Alzheimer oder Angststörungen zu entwickeln.« Auch bei komplexen und lebensbedrohlichen Erkrankungen wie etwa HIV oder Diabetes mellitus sind Tierversuche unverzichtbar.

Dass Alternativmethoden und der verantwortungsvolle Umgang mit Versuchstieren an Bedeutung gewinnen, zeigt sich in den aktuellen Zahlen der Tierversuche in. Laut der Versuchstierstatistik, die das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) jedes Jahr herausgibt und die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bekannt gibt, wurden im Jahr 2023 1,46 Millionen Wirbeltiere und Kopffüßler bei Tierversuchen eingesetzt. Den größten Anteil machten dabei mit 73 Prozent Mäusen und 7 Prozent Ratten Nagetiere aus. Die Zahl der verwendeten Katzen und Hunde liegt bei 0,02 beziehungsweise 0,08 Prozent. Insgesamt 39 Prozent der Tiere wurde im Bereich der angewandten Forschung, zusätzlich 11 Prozent in der Forschung zur Entstehung von Krebskrankheiten eingesetzt. Auch der Schweregrad der Versuche nahm weiter ab: 64 Prozent der Versuche sind als gering belastend einzuschätzen, 27,5 als mittelschwer und 3,5 Prozent als schwer belastend. Um Tierversuche weiter zu reduzieren, wurde der in Deutschland vom BMEL jährlich vergebene Tierschutzforschungspreis für 2025 aufgewertet. Statt wie bislang 25.000 Euro werden in diesem Jahr Preisgelder von insgesamt 220.000 Euro vergeben.

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