Social Media für Jugendliche |
Social Media gehört heute zur Jugendkultur. Doch das ständige Onlinesein und der Vergleich mit anderen bergen auch Gefahren für die psychische Gesundheit. / Foto: Adobe Stock/Xavier Lorenzo
89 Prozent der 10- bis 17-Jährigen in Deutschland nutzen soziale Medien mindestens einmal wöchentlich, die meisten (65 Prozent) sogar täglich. Die durchschnittliche Nutzungszeit liegt unter der Woche bei 2,7 Stunden pro Tag, am Wochenende bei 3,8 Stunden. Das zeigt die repräsentative Längsschnittstudie »Mediensucht in der Corona-Pandemie« der DAK-Gesundheit und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Für die Untersuchung wurden rund 1200 Familien in fünf Befragungswellen seit September 2019 zu ihrem Medienverhalten befragt.
Die Top 5 der beliebtesten Social-Media-Kanäle bei Jugendlichen bilden aktuell WhatsApp, Instagram, TikTok, YouTube und Snapchat. Diese nutzen die Jugendlichen in der Regel parallel und für verschiedene Zwecke. So dient WhatsApp in erster Linie dem Informationsaustausch mit der Familie, Mitschülern oder dem Sportverein. Auf YouTube gehen Jugendliche gezielter vor, suchen nach bekannten YouTubern oder nutzen Tutorials, um Antworten auf Fragen zu finden. Instagram liefert ein schnelles Bild, was gerade in der Welt, aber auch im persönlichen Interessensgebiet der Nutzer passiert. Bilder und kurze Videos können geteilt werden. Damit diese ästhetisch ansprechend sind, stellt die Plattform Filter zum Bearbeiten bereit.
TikTok löst im Sektor Unterhaltung YouTube teilweise ab, denn es bietet auch die Möglichkeit, schnell und einfach eigene Videos zu erstellen und hochzuladen. Dafür werden Lieder und Tonspuren zur Verfügung gestellt. Immer wieder entstehen auch TikTok-Challenges, mit denen Jugendliche ihre Grenzen austesten und sich beweisen wollen. Snapchat lebt von der Schnelllebigkeit geteilter Bilder und Informationen, die mit lustigen Filtern bearbeitet werden und sich nach festgelegten Zeiten von selbst löschen.
Soziale Medien bieten Jugendlichen, was in ihrer Entwicklungsphase von großer Bedeutung ist: Kontakte knüpfen, Freunde finden, Interessen teilen und sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Dabei ist die Hemmschwelle im virtuellen Raum wesentlich geringer als im realen Leben und es sind schnelle Erfolgserlebnisse möglich.
Views, Kommentare und Likes geben Feedback zu Aussehen und Auftritten, die Reaktionen auf eigene Beiträge spiegeln Akzeptanz. Beides ist wichtig für die Identitätsbildung. Das Folgen, Kommentieren und Reposten von Beiträgen von Influencern und YouTubern ist eine Möglichkeit, die eigene Haltung und Interessen offen darzustellen. Dieser Prozess dient in der Pubertät dazu, sich zu orientieren, zu positionieren und in der Welt zurechtzufinden. Und nicht zuletzt bieten die sozialen Medien Optionen, sich abzugrenzen und abzulösen. Da es kaum Überschneidungen mit den Interessen der Eltern gibt, sind sie für viele Jugendliche ein Ort, an dem sie Freiraum finden.
Was Jugendlichen in der Regel jedoch noch fehlt, ist die Fähigkeit, die vermittelten Inhalte kritisch analysieren zu können sowie das Wissen über soziale Konsequenzen und ethische Kompetenz. So kann zum Beispiel die Möglichkeit, beliebten TikTok-Stars ein virtuelles Kuscheltier zu kaufen und zu schenken, zur echten Geldfalle werden. Die Unmengen an ungefilterten Informationen oder ungeeigneten Inhalten können verunsichern und überfordern. Die Selbstinszenierung von Influencern und YouTubern vermittelt schnell ein falsches Bild der Realität, was bei Jugendlichen zu Selbstzweifeln führen kann. Bodyshaming, bei dem Menschen aufgrund ihrer körperlichen Erscheinung in sozialen Netzwerken diskriminiert, beleidigt und gedemütigt werden, kann Depressionen, sozialen Rückzug und Suizidgedanken begünstigen.
Auch Algorithmen, die darauf ausgerichtet sind, möglichst viele, auf die eigenen Interessen zugeschnittenen Inhalte anzubieten, können für Jugendliche zur Negativspirale werden. Wer depressive oder selbstverletzende Verhaltensweisen, suizidale Gedanken, extremistische Inhalte oder Verschwörungstheorien liked, kommentiert oder teilt, erhält immer neue Videovorschläge oft mit steigender Intensität, die kaum mehr eine andere Perspektive zulassen.
Nicht zu unterschätzen ist auch das Suchtpotenzial, das von sozialen Medien ausgeht. Nach Angaben der Studie »Mediensucht während der Corona-Pandemie« hat sich die Zahl der Jugendlichen, die ein problematisches Nutzungsverhalten (16,4 Prozent der Befragten) oder eine Social-Media-Sucht (6,3 Prozent der Befragten) zeigt, seit Beginn der Studie im September 2019 verdoppelt.
Die ständigen Benachrichtigungen über neue Fotos, Reels, Videos und Nachrichten macht es schwer, sich vom Smartphone zu lösen. Dient die exzessive Nutzung von Social Media dazu, Gefühle von Einsamkeit, sozialer Isolation und Kontrollverlust, Stress und anderen negativen Gefühle zu kompensieren, seien Betroffene besonders gefährdet, eine Sucht zu entwickeln, sagt Professor Dr. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter am DZSKJ in einer Pressemitteilung zur Studie. Diese zeige sich durch Unruhe, Angst, Aggressivität und Widersetzen, wenn die Social-Media-Nutzung verwehrt wird. Schulische und familiäre Verpflichtungen werden vernachlässigt, um weiter in sozialen Netzwerken sein zu können. Virtuelle Kontakte erscheinen wichtiger als reale Freundschaften, Hobbys und Lieblingsaktivitäten werden nicht mehr wahrgenommen. Eltern oder andere nahestehende Personen werden in Bezug auf den Umfang der Nutzung getäuscht. Zudem werden negative Konsequenzen wie Stress, Schlafentzug und Strafen für die Nutzung in Kauf genommen.
Laut Thomasius führt eine exzessive Mediennutzung oft zu Kontrollverlust mit weitreichenden Folgen. »Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst«, erklärt er. Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung sei die Folge.
Jugendliche von Social Media fernzuhalten, ist dennoch keine gute Idee. Sie gehören zur heutigen Jugendkultur und haben einen festen Platz im Alltag junger Menschen. Aus Expertensicht ist es für Eltern deshalb wichtig, Social-Media-Kanäle selbst auszuprobieren. Wer Vorteile und Risiken einzelner Netzwerke selbst kennengelernt hat, kann in kritischen Situationen ein kompetenterer Ansprechpartner sein. Zudem wird empfohlen, im Austausch über konsumierte Inhalte zu bleiben, Profile gemeinsam anzuschauen und Möglichkeiten zum Selbstschutz zu besprechen. Beeinflusst ein Account den inneren Selbstwert oder führt zu Selbstzweifeln, sollte man ihm entfolgen. Stellt sich das Gefühl ein, nicht auf dem Laufenden bleiben zu können, wenn man nicht permanent online ist, können Benachrichtigungsfunktionen ausgeschaltet und Zeitbegrenzungen für einzelne Apps aktiviert werden. Die Beschränkung der Kontaktaufnahme und das Einsehen des Profils ausschließlich durch Freunde stellen sicher, dass keine unerwünschten Kontaktaufnahmen erfolgen.
Ebenfalls notwendig ist das Sprechen darüber, welche Informationen unbedenklich sind und welche besser nicht preisgegeben werden sollten. Eltern sollten dafür sensibilisieren, dass Fotos, Videos und Kommentare, die heute unterhaltsam sind, morgen peinlich sein können. Informationen die einmal im Netz sind, lassen sich kaum mehr entfernen, zudem können andere Nutzer die Bilder kopieren, downloaden, bearbeiten und anderweitig verwenden.
Gemeinsam mit dem DZSKJ hat die DAK-Gesundheit eine Online-Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche mit problematischem Mediennutzungsverhalten sowie deren Eltern entwickelt (www.mediensuchthilfe.info). Das DZSKJ hat zudem eine Hotline für betroffene Kinder und Jugendliche sowie Eltern eingerichtet. Von 9 bis 16 Uhr sind unter der Telefonnummer 0800 2800200 Suchtexperten erreichbar, die kostenlos zum Thema Mediensucht beraten.
Das Mindestalter für die meisten Social-Media-Kanäle liegt bei 13 Jahren. Auf YouTube dürfen User unter 16 Jahren kein eigenes Konto erstellen, eine Ausnahme bietet nur das Konto mit Elternaufsicht oder ein Konto auf YouTube Kids. Allerdings: Das Mindestalter wird nur selten verifiziert.