Spezifische Antikörper für Covid-19-Risikopatienten |
Barbara Döring |
11.11.2022 08:00 Uhr |
Rekonvaleszentenplasma zur Therapie von Covid-19-Patienten hat heute eine deutlich höhere Qualität als zu Beginn der Coronapandemie. / Foto: Adobe Stock/chanawit
Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 entwickeln Patienten Antikörper, welche die weitere Ausbreitung der Viren im Blut verhindern. Schon zu einem frühen Zeitpunkt der Coronapandemie wurden Studien initiiert, um zu untersuchen, ob sich Antikörper, die mittels Plasmapherese aus dem Blut von Genesenen gewonnenen werden, zur Therapie akut Erkrankter eignen. Zwar gab es bereits aus früheren Pandemien Erfahrungen mit Rekonvaleszentenplasma, im Wesentlichen aber aus nicht kontrollierten Studien. »So systematisch wie in der SARS-CoV-2-Pandemie – auch mit prospektiven, randomisierten Studien – war die Thematik noch nicht untersucht worden«, sagte Professor Dr. Hubert Schrezenmeier, Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI, auf der Online-Pressekonferenz anlässlich der 55. Jahrestagung der DGTI.
»Die hohen Erwartungen an die passive Immuntherapie bei Covid-19 wurden durch die ersten Studienergebnisse zunächst gedämpft«, sagte Schrezenmeier. Studien mit schwer erkrankten Patienten zeigten zunächst keine wesentlichen Verbesserungen im Vergleich zu Kontrollgruppen. Allerdings ergaben weitere Untersuchungen ein deutlich differenzierteres Bild. »Wir haben über den Verlauf der Pandemie zum Prinzip der passiven Immuntherapie sehr viel hinzugelernt«, betonte der Mediziner. Demnach zeigt die differenzierte Datenanalyse, dass das Plasma von Rekonvaleszenten positive Effekte zeigt, wenn es zielgerichtete eingesetzt wird. Das heißt:
Diese Erkenntnisse spiegelten sich auch in den schrittweise aktualisierten Empfehlungen zur passiven Immunisierung mit Rekonvaleszentenplasma bei Covid-19 bei vulnerablen Gruppen wieder.
Um neutralisierende Antikörper zu erhalten, wurde in der Anfangsphase der Pandemie Plasma von Genesenen gewonnen. »Inzwischen haben wir gelernt, dass durch die Kombination der natürlichen Infektion plus Impfung eine deutlich höhere Antikörperkonzentrationen erreicht wird«, erläuterte Schrezenmeier. Innerhalb dieser Gruppe gibt es superimmunisierte Individuen mit besonders hohen Antikörperkonzentrationen. In den letzten zwei Jahren wurden neue Testverfahren entwickelt, sodass es heute möglich ist, aus der Gruppe der Spender von ehemals Infizierten und Geimpften jene mit besonders hohen Antikörperkonzentrationen auszuwählen. »Damit lässt sich eine höhere Plasmaqualität bezüglich der Konzentration und Breite der immunologischen Wirkung der Antikörper erzielen«, so der Experte.
Trotz dieser Fortschritte sind noch viele Fragen offen. So werden in der aktuellen, auch in Deutschland durchgeführten, prospektiven, multizentrischen COVIC-19-Studie die Aspekte der frühen und hochdosierten Behandlung speziell bei vulnerablen Gruppen untersucht. Bei diesem Thema gab es in den letzten Jahren bereits viele neue Erkenntnisse, auch für den Einsatz passiver Immuntherapien bei künftigen neuen Erregern.
Mit weiteren Studienergebnissen soll das Therapiekonzept schrittweise optimiert werden. So zeigte bereits eine Subgruppenauswertung der multizentrischen CAPSID-Studie, die sehr früh in der ersten Phase der Pandemie in Deutschland begonnen wurde, einen Vorteil der Therapie mit höher dosiertem Plasma bei schwer kranken Patienten mit Covid-19. Die Ergebnisse wurden im Oktober 2021 im Journal of clinical investigation publiziert. »Der Vorteil zeigte sich in einer besseren Überlebenswahrscheinlichkeit, in einer kürzeren Zeit bis zur klinischen Besserung und einer kürzeren Dauer bis zur Entlassung von der Intensivstation oder aus dem Krankenhaus«, erläuterte Schrezenmeier.
In der aktuellen COVIC-19-Studie wird Plasma von superimmunisierten Spendern eingesetzt, sodass die Antikörperkonzentration in der Größenordnung um den Faktor 80 höher liegt, als es in der CAPSID-Studie der Fall war. »Dies zeigt, welch deutlicher Unterschied im Antikörpergehalt durch eine entsprechende Spenderauswahl erreichbar ist«, betonte der Mediziner. Die Plasmatherapie wird bereits in den ersten sieben Tagen nach Symptombeginn vor allem bei Patienten mit einer eingeschränkten Immunabwehr angewandt. Denn Studien haben auch gezeigt, dass besonders diese vulnerablen Patientengruppen auf eine Impfung schlecht ansprechen. Entweder sie entwickeln keine Antikörper oder nur sehr niedrige Antikörperspiegel, sodass sie trotz der Verfügbarkeit der Impfungen weiterhin als gefährdete Gruppe zu betrachten sind.
Derzeit erfolgt die Behandlung von akut erkrankten Covid-19-Patienten mit Rekonvaleszentenplasma im Rahmen klinischer Studien, bei denen die Plasmapräparate als klinische Prüfpräparate über die jeweiligen Studienzentren zur Verfügung gestellt werden. »Die Studien haben gezeigt, dass die Plasmatherapie sehr gut verträglich ist«, ergänzte Schrezenmeier. Die Plasmatherapie sei zwar aus anderen Indikationen, insbesondere in der Therapie von Gerinnungsstörungen, bekannt, aber es war unklar, ob sich bei einer akuten Virusinfektion, die mit einem hyperinflammatorischen Zustand einhergeht, das Sicherheitsprofil ändert. Das sei jedoch nicht der Fall.
Plasmaspenden werden in mehreren Entnahmezentren, die über Deutschland verteilt sind, gesammelt. Für die COVIC-19-Studie werden aktuell Personen zur Spende aufgerufen, die ab Juni 2022 an Covid-19 erkrankt waren oder mit dem Omikron-Impfstoff geimpft wurden. Informationen dazu bietet das Deutsche Rote Kreuz (DRK) online.
Vor einer Spende erfolgt eine Voruntersuchung, deren wichtigster Teil die Bestimmung der Antikörper ist. Die aktuellen Testverfahren bestimmen die Antikörper nicht nur quantitativ, sondern auch variantenspezifisch. Bei der Auswahl von Spendenwilligen gibt es deshalb deutlich strengere Kriterien als etwa für die CAPSID-Studie zu Beginn der Pandemie. Für die aktuelle COVIC-19-Studie werden für die bessere Plasmaqualität nur Spender mit besonders hochkonzentrierten und gegen verschiedene Varianten gerichtete Antikörper gewählt. Etwa 60 Patienten sind inzwischen rekrutiert. Im ersten Quartal 2023 soll das Rekrutierungsziel erreichen werden, sodass bis Mitte 2023 Studienergebnisse zu erwarten sind.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.