Sport für eine stabile Psyche |
Barbara Döring |
20.07.2023 08:30 Uhr |
Spaß und das Gefühl, etwas erreichen zu können – von Sport profitiert auch die Psyche. / Foto: Adobe Stock/xartproduction
Rein in die Laufschuhe und ab auf die Joggingrunde – für viele ist das ein bewährtes Mittel, wenn die Laune gerade im Sinkflug ist. Bei anderen leidet die Stimmung, wenn sie wieder mal ihr Rudertraining absagen mussten. Sport und körperliche Bewegung haben nachweislich eine positive Wirkung auf die Psyche, das ist inzwischen durch Studien belegt. »Sport steigert das Wohlbefinden und kann negative Gefühle wie Ängste, Depressivität und ein schwaches Selbstkonzept kompensieren«, sagt Professor Dr. Jens Kleinert vom Psychologischen Institut der Sporthochschule Köln im Gespräch mit PTA-Forum.
Zwar ließen sich viele Studien, die den Zusammenhang untersuchen, in beide Richtungen deuten. Das heißt, Sport könnte einerseits dazu führen, dass man sich wohler fühlt, andererseits könnte es sein, dass Menschen, die sich wohl fühlen, eher Sport treiben. Mit Längsschnitt- und Interventionsstudien ließe sich jedoch die positive Wirkung von Sport klar belegen, und zwar auch bei Menschen mit Depressionen, erläutert Kleinert. Sportprogramme sind so inzwischen auch fester Bestandteil in der Rehabilitation psychischer Erkrankungen.
Sport wirkt auf verschiedenen Ebenen auf die Psyche, nicht nur indem er für positive Emotionen sorgt. »Auch die kognitiven Leistungen wie Aufmerksamkeit, Denkleistung und Merkfähigkeit lassen sich verbessern, wenn auch der Effekt weniger stark ausgeprägt ist«, weiß Kleinert, der die Wirkung von Sport bei psychischen Erkrankungen und im Freizeitsport erforscht. So kann gezielte körperliche Aktivität helfen, kognitive Störungen bei einer Demenz zu verringern oder zu verlangsamen. Der dritte Bereich, auf den Sport Einfluss nimmt, ist die Persönlichkeit, das sogenannte Selbstkonzept. »Wenn ich körperliche Leistungen vollbringe, dann merke ich, Mensch, du hast etwas geschafft.« Das führe dazu, dass man sich ein stückweit aufwertet. »Ich fühle mich zufriedener, habe ein stabileres Selbstbewusstsein und ein stärkeres Selbstvertrauen«, weiß der Experte für Sport- und Gesundheitspsychologie.
Doch was genau passiert im Körper, wenn er sich beim Laufen, Volleyballspielen oder Wandern verausgabt? Was löst die positiven Emotionen aus? Dazu wird seit Jahrzehnten geforscht und es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze. Trotzdem ist noch vieles unklar, weil die Zusammenhänge sehr komplex sind. »Vor 20 Jahren ging man davon aus, dass die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Serotonin oder Noradrenalin für die Stimmungsaufhellung bei körperlicher Aktivität verantwortlich ist«, sagt Kleinert. »Inzwischen weiß man, dass Neurotransmitter zwar eine Rolle spielen, die Wirkung aber lange nicht so isoliert ist, wie vermutet«.
Untersuchungen zeigen sogar, dass sich das positive Befinden durch Sport auch dann einstellt, wenn die Rezeptoren, an denen die Neurotransmitter andocken, blockiert werden. Serotonin und Co. spielen zwar eine wichtige Rolle bei allen neuronalen Prozessen. Doch die Effekte von körperlicher Aktivität auf die Psyche lassen sich laut Kleinert nicht darauf reduzieren. Vielmehr habe Sport eine sehr komplexe Wirkung.
Während bei Depressionen früher Ausdauertraining empfohlen wurde, um die Ausschüttung von Neurotransmittern in Schwung zu bringen, kommen in der Therapie heute auch Krafttraining oder Sportspiele zum Einsatz. »Dabei spüren die Patienten deutlich, wozu sie in der Lage sind, das Selbstkonzept verbessert sich«, sagt Kleinert. Ähnlich sei die Wirkung bei Schizophrenie-Patienten, die sich plötzlich lebendig fühlten und ein Vitalitätsgefühl verspürten, dass bei ihnen oft weniger stark ausgeprägt sei. Es geht also gar nicht allein darum, die Neurotransmitter zu verändern, sondern um die Erfahrung, etwas leisten zu können und um das soziale Miteinander.
Welcher Sport dabei der richtige ist, lässt sich nicht pauschal sagen. Ausdauersport hat heute als Stimmungsbooster nicht mehr den gleichen Stellenwert wie vor 20 Jahren. »Zunächst einmal ist es wichtig, dass jede körperliche Aktivität bei Depressionen oder depressiven Verstimmungen hilfreich ist und im Leben einen festen Platz haben sollte«, betont Kleinert. Am besten sei es, zwei bestimmte Tage in der Woche als Sporttage festzulegen. Gerade bei affektiven Störungen wie Depressionen oder Angststörungen ist oft der Lebensrhythmus durcheinandergeraten.
Umso wichtiger sind feste Ankerpunkte im Alltag: »Mit einer Gruppe treffen und Sport machen, weil er jetzt auf dem Plan steht, solche Rituale und regelmäßige Rhythmen sind unheimlich hilfreich«, weiß Kleinert. Dabei gilt nicht nur bei Depressionen, sondern für alle Menschen, die Sport treiben wollen, dass sie sich etwas suchen, was Freude macht. Dabei dürfe man sich ruhig auch mal ein bisschen quälen, sodass man sich am Ende kaputt fühlt. »Sport sollte nicht etwas sein, das man macht, weil es der Arzt oder der Partner gesagt hat«, rät Kleinert. Ob Radfahren, Schwimmen oder Fußballspielen – wichtig ist, dass es etwas Regelmäßiges im Leben gibt, das Freude bereitet.
Beständigkeit und das Zusammensein mit Menschen sind nach heutigen Erkenntnissen also viel wichtiger als die Art der körperlichen Betätigung. Ähnliches gilt für die Frage, wie viel Sport es für das Wohlbefinden sein sollte. Sind die mindestens 150 Minuten pro Woche Bewegung, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen werden, um körperlich fit zu bleiben, auch das Maß für eine ausgeglichene Psyche? »Es gibt beim Sport keine nachweisbare Dosis-Wirkungs-Beziehung wie bei Medikamenten«, sagt Kleinert. Selbst wenn jemand nur etwa zweimal in der Woche eine halbe Stunde mit Menschen zusammenkomme, um Boule oder Boccia zu spielen, sich also nur niederschwellig körperlich aktiviere, könne das dennoch eine enorme Wirkung erzielen. Auch wenn es schon ein Mindestmaß an körperlicher Aktivität sein sollte, sei die Freude am Sport, der soziale Austausch und die Regelmäßigkeit, die Stabilität geben, wichtiger als der Umfang der Aktivität.
Zu viel sportlicher Ehrgeiz wirkt sich dagegen eher kontraproduktiv aus. »Wenn ich zu viel mache, sehe ich meinen Körper schnell negativ, weil ich es etwas nicht so schaffe, wie ich es mir vorgenommen habe«, so der Sportexperte. Es gehe vielmehr darum, Dinge zu machen, die Erfolg bringen und den Körper als etwas Funktionales, Positives wahrzunehmen. Dieses Kompetenzgefühl zu entwickeln sei für alle Patienten wichtig, sei es in der Therapie von Depressionen, Persönlichkeits- oder Angststörungen. »Es ist ein sehr positives Gefühl und hat eine starke Wirkung auf das Wohlbefinden«, sagt Kleinert. Kleine sportliche Schritte wären dabei viel wichtiger als große Ziele.
Sich zum Sport zu motivieren, fällt manchmal nicht leicht, gerade wenn die Stimmung nicht die beste ist. Die SMART-Regel hilft dabei, am Ball zu bleiben:
S = Spezifisch – Welche körperliche Aktivität möchte ich ausüben? Bevor man etwas Neues beginnt, sollte man sich über die Sportart am besten bei einem Fitnesstrainer informieren und einen genauen Trainingsplan festlegen.
M = Messbar – Wie viel Sport soll es sein? Um sich nicht selbst beschummeln zu können, sollte im Trainingsplan festgelegt sein, an welchen Tagen die Woche wie viel Minuten trainiert werden soll.
A = Akzeptiert – Welcher Sport ist der richtige? Jeder sollte eine Sportart finden, die für ihn persönlich geeignet ist. Man muss den Sport für sich annehmen und dahinterstehen.
R = Realistisch – Schaffe ich, was ich mir vorgenommen habe? Wie sieht mein Plan in den ersten Monaten aus, wie danach? Ein Gespräch mit dem Fitnesstrainer gibt Aufschluss.
T = Terminiert – Lässt sich das Sportprogramm einhalten? Das Training sollte einen festen Platz im Alltag haben, an festen Tagen stattfinden, zu einer festen Uhrzeit.