Sprachentwicklung unterstützen |
Eltern können viel tun, um das Kind bei der Sprachentwicklung zu unterstützen. Zeichnet sich eine Sprachstörung ab, kann eine logopädische Therapie helfen. / © Adobe Stock/nellas
Etwa vier Jahre braucht ein Kind, um eine Sprache vollständig zu erlernen. Und dabei verlieren sie kaum Zeit. Bereits Neugeborene sind in der Lage, verschiedene Sprachmelodien und Stimmen zu unterscheiden. Sie haben eine Vorliebe für die Stimme und Sprache ihrer Mutter und können durch variables Schreien unterschiedliche Bedürfnisse kenntlich machen. Im ersten Lebensjahr nutzen Babys ganz gezielt vorsprachliche Dialoge und Kommunikationsstrategien, um soziale Handlungen und die Grundprinzipien ihrer Muttersprache zu verstehen. Rund um den ersten Geburtstag können sie dadurch bereits den ersten Meilenstein vom unbewussten Gurren und Lautieren hin zum Verstehen und aktiven Sprechen erster Wörter passieren.
Im Verlauf des zweiten Lebensjahres plappern Kleinkinder nach wie vor munter vor sich hin. Nun aber bereits mit variablen Silben, die ganz ähnlich klingen wie die ihrer Muttersprache. Sie lernen, Gesten, Mimik und Körpersprache für die Kommunikation zu verwenden und einfache Aufforderungen zu verstehen. Wenn sie wollen, können sie diese am Ende des zweiten Lebensjahres auch bereits gut umsetzen. Der aktive Wortschatz umfasst nun mindestens 50 Wörter, das Sprachverständnis liegt bei etwa 500 Wörtern. Viele Kinder beginnen damit, Wörter aneinanderzureihen und durch besondere Betonung oder Formulierung erste Fragen zu stellen.
Von nun an wächst der Wortschatz enorm. Während er zum dritten Geburtstag etwa 1000 aktiv gesprochene Wörter umfasst, beherrschen Vierjährige 3000 bis 5000 Wörter. Der passive Wortschatz liegt in diesem Alter bei 9000 bis 14000 Wörtern. Das Sprachverständnis steigt im Verlauf der Sprachentwicklung kontinuierlich an und wird immer abstrakter. Aussprache, Grammatik und Wortstellung werden immer genauer, bis zum Ende des fünften Lebensjahres sind letztlich auch alle Laute etabliert. Von nun an beginnen Kinder damit, die ersten Vorläuferfertigkeiten für das Lesen und Schreiben zu entwickeln.
Viele Kinder meistern die Meilensteine ganz ohne äußeres Zutun. Dennoch ist die Sprachentwicklung regelmäßiger Bestandteil kinderärztlicher Vorsorgeuntersuchungen. Auch Eltern sollten die Bedeutung einer zeitgerechten Sprachentwicklung nicht unterschätzen. Bekannt ist, dass Kinder mit einer Störung der Sprachentwicklung häufiger Probleme beim Lesen und Schreiben, im Verstehen und Erzählen von Geschichten sowie im mathematischen Bereich haben. Sie haben öfter Schwierigkeiten in der sozialen Kompetenz, bitten seltener um Hilfe und sind an gemeinsamen Spielen weniger interessiert. Daraus resultieren häufig ein geringeres Selbstvertrauen, Schwierigkeiten bei der Bildung von Freundschaften und Mobbingerfahrungen.
Ausreichend belegt ist, dass durch frühes Erkennen und Behandeln sprachlicher Schwierigkeiten Kinder die Möglichkeit haben, in der Kommunikationsfähigkeit stark aufzuholen und Folgeschwierigkeiten dadurch seltener auftreten. Als wichtiger Punkt in der Sprachentwicklung gilt deshalb bereits der zweite Geburtstag. Umfasst der aktive Wortschatz eines Kindes zu diesem Zeitpunkt weniger als 50 Wörter und/oder bildet es keine Zweiwortsätze, sprechen Experten von einer Sprachentwicklungsverzögerung. Diese ist jedoch nicht zwingend Grund zur Sorge und tritt relativ häufig auf. Im angelsächsischen Raum sind Schätzungen zufolge 10 bis 20 Prozent der Kinder im Alter zwischen 18 und 35 Monaten betroffen. Im deutschsprachigen Raum liegt der Anteil mit 14 bis 27 Prozent noch etwas höher.
Die Hälfte dieser Kinder erweisen sich als sogenannte »late bloomer«. Sie holen im Verlauf des dritten Lebensjahres deutlich auf und erreichen bis zum Schulalter selbstständig und ohne therapeutische Unterstützung das Sprach- und Sprechniveau gleichaltriger Kinder ohne Sprachentwicklungsverzögerung. Von einer Störung der Sprachentwicklung sprechen Kinderärzte und Logopäden deshalb erst, wenn Kinder auch im dritten Lebensjahr kaum Aufholtendenzen zeigen.
Störungen der Sprachentwicklung werden als multifaktorielle Geschehen betrachtet, bei denen sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Eine Schlüsselrolle kommt dem sprachlichen Umfeld zu, in dem ein Kind aufwächst. Der Austausch mit Eltern und anderen Bezugspersonen gilt als essenziell, um Logik und Struktur einer Sprache bis in alle Feinheiten sicher erlernen zu können. Deshalb stehen zunächst die Eltern im Fokus, wenn Kinder in der Sprachentwicklung nicht dem Altersdurchschnitt entsprechen. Sie werden beraten und angeleitet, wie sie die Sprachentwicklung im Alltag bestmöglich fördern und unterstützen können. Dafür gibt es eigenständige Programme (zum Beispiel das Heidelberger Elterntraining), deren Wirksamkeit als erwiesen gilt. Erst wenn sich eine gestörte Sprachentwicklung abzeichnet, betroffene Kinder mehrere Risikofaktoren für eine Störung der Sprachentwicklung tragen oder ein schwieriges sprachliches Umfeld gegeben ist, ist eine logopädische Behandlung des Kindes sinnvoll. Bei Bedarf kann eine Zusammenarbeit mit weiteren Fachbereichen wie Ergo- oder Psychotherapie stattfinden.
Auf dem Weg des Sprechenlernens liegen einige Stolpersteine, die bei vielen Kindern vorübergehend zu Schwierigkeiten führen. Dazu zählen Probleme bei der Bildung von S-Lauten und ihren Lautverbindungen, was zum Lispeln führt. Bei vielen Kindern legt sich das Lispeln von allein, wenn die Lautbildung sicher beherrscht wird. In dieser Zeit können Eltern ihrem Kind helfen, indem sie selbst auf eine deutliche Aussprache achten. Ab dem fünften Geburtstag kann es sinnvoll sein, das Kind mit einer logopädischen Behandlung zu unterstützen. Hier werden spielerisch die Selbstwahrnehmung der eigenen Aussprache und das Bewegungsempfinden geschult. Kinder lernen dadurch sehr schnell, falsch gebildete Laute zu erkennen und die richtige Lautbildung anzuwenden, ohne darüber nachdenken zu müssen. Auch lispelnde Erwachsene können über diesen Weg die S-Lautbildung nachlernen. Sie müssen meist aber etwas länger trainieren als Kinder, da sich die Bewegungsmuster über Jahre verfestigt haben.
Ein weiteres häufiges Phänomen der Sprachentwicklung ist plötzliches Stottern, das bei etwa 5 Prozent der unter 5-Jährigen zu beobachten ist. Bei vielen Kindern legt sich diese Redeflussstörung ebenso plötzlich wie sie gekommen ist. Sind Eltern sehr besorgt oder weitere Familienmitglieder ebenfalls vom Stottern betroffen, kann eine logopädische Beratung hilfreich sein. Therapeutisch eingegriffen wird jedoch meist erst später. Hier geht es dann um die Schulung der Selbstwahrnehmung und Akzeptanz des eigenen Sprechens, der Enttabuisierung des Stotterns und Verbesserung von Sprechabläufen sowie konkreten Übungen zur Atmung und Stimmgebung.
Eltern und andere direkte Bezugspersonen gelten als die besten sprachförderlichen Kommunikationspartner für Kinder und können im Alltag viel dazu beitragen, dass die Sprachentwicklung gut verläuft. Das hilft: