Spurensuche im Blut |
Aus einem Röhrchen Blut lassen sich Informationen über pathologisch veränderte Gewebe gewinnen, die bislang nur mit aufwendigen und/oder belastenden Biopsieverfahren zugänglich waren. / Foto: Adobe Stock/Connect world
Je früher Krankheiten erkannt werden, desto besser ist in der Regel die Prognose für die Patienten. Je intensiver die Verlaufskontrolle, desto feiner können Ärzte die Behandlung steuern und gegebenenfalls anpassen. In vielen Fällen sind dafür jedoch bisher belastende Untersuchungen wie Gewebeentnahmen erforderlich. Und Biopsien können mit Komplikationen einhergehen und stellen auch immer nur eine Momentaufnahme dar.
Die sogenannte Liquid Biopsy, auf Deutsch »Flüssigbiopsie«, könnte auf diesem Gebiet in Zukunft neue Möglichkeiten eröffnen. Die Methode basiert darauf, bestimmte Biomarker, vor allem zellfreie DNA (circulating free DNA, cfDNA), die bei der Apoptose oder Nekrose zum Beispiel von Tumorzellen in den Blutstrom freigesetzt wird, zu identifizieren.
DNA aus malignen Zellen lässt sich dadurch erkennen, dass sie tumorassoziierte Mutationen aufweist. Wissenschaftler suchen die durch Liquid Biopsy gewonnene ctDNA (zellfreie Tumor-DNA) nach solchen krebstypischen Veränderungen ab und können dann Aussagen darüber machen, ob Entartungen im Körper vorliegen.
»Die Liquid Biopsy eignet sich hervorragend zur Früherkennung von Rezidiven und zur Verlaufskontrolle und die Methode ist körperlich wenig belastend für die Patienten«, berichtet Professor Dr. Michael Oellerich, Facharzt für Laboratoriumsmedizin und Klinischer Chemiker sowie medizinisch-wissenschaftlicher Leiter des LiquidBiopsy-Centers in Göttingen, im Gespräch mit PTA-Forum. Eine Schwäche des Verfahrens ist derzeit noch, dass Rückschlüsse aus gefundener Tumor-DNA auf das befallene Organ im Allgemeinen schwierig sind und Ärzte suchen müssen, wo im Körper der Krebs ist.
Die Flüssigbiopsie kann auch für Therapieentscheidungen herangezogen werden. »Die ctDNA ermöglicht es, ohne einen invasiven Eingriff die Entwicklung von Tumoren zu verfolgen und Patienten zu identifizieren, die für eine bestimmte Therapie infrage kommen«, sagt der Experte. Tyrosinkinaseinhibitoren, die bei nicht kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) eingesetzt werden, wirken zum Beispiel nur bei bestimmten Mutationen am EGF-Rezeptor (EGFR) des Tumors. Weisen Ärzte diese Mutationen nach, setzen sie die Tyrosinkinasehemmer ein. Dieses Verfahren ist bereits in der Routine angekommen und wird in Kombination mit Biopsien angewendet.
Auch um Resistenzmechanismen bei zielgerichteten Therapien zu identifizieren, eignet sich die Anwendung der ctDNA. Ärzten ist es damit möglich, die Behandlung schnellstmöglich anzupassen. Ein Beispiel aus der Praxis ist auch hier die Therapie des NSCLCs. Genetische Veränderungen am EGFR können zu Resistenzen führen, die Tyrosinkinasehemmer unwirksam machen. Ärzte können den Therapierfolg überwachen, indem sie kontrollieren, wie hoch jeweils die Konzentration zirkulierender Tumor-DNA im Plasma ist und als Maß dafür den sogenannten »CNI-Score« (Kopiezahlwert) angeben.
»Ob die Therapie bei einem Patienten anschlägt, lässt sich mittlerweile am Spiegel der ctDNA vorhersagen«, bestätigt Oellerich. Steigt die Menge der Tumor-DNA im Plasma unter einer Therapie weiter an oder geht nicht deutlich zurück, ist das ein Indiz dafür, dass die Therapie wohl keinen Erfolg hat. Die Flüssigbiopsie kann hier traditionellen radiologischen Untersuchungen überlegen sein. »Die ctDNA-Spiegel können nach Medikamentengabe deutlich schneller abnehmen als radiologisch eine Remission des Tumors sichtbar wird«, informiert der Experte.
In der pränatalen Diagnostik soll die Flüssigbiopsie künftig sogar schon in Ausnahmefällen zur Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Für die Untersuchung ist einzig eine Blutabnahme bei der Mutter erforderlich. Dabei macht man sich zunutze, dass zellfreie kindliche DNA über die Plazenta in den Blutstrom der Mutter gelangt.
Indem sie zellfreie fetale DNA (cffDNA) im mütterlichen Blut nachweisen, können Ärzte Rückschlüsse auf das Genmaterial des Kinds ziehen, ohne dabei den Fetus zu gefährden. Bislang stehen in Deutschland Tests auf Trisomie 21 (Down-Syndrom), Trisomie 18 (Edwards-Syndrom), Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) sowie auf Abweichungen der Geschlechtschromosomen zur Verfügung. Die geringen Mengen Feten-DNA bei einem sehr hohen Anteil mütterlicher Erbinformationen korrekt zu analysieren ist zwar herausfordernd, kann aber den Bedarf an invasiver Diagnostik reduzieren. Das spart Kosten ein und kann einige durch die Fruchtwasserpunktion induzierte Aborte verhindern.
Ein weiteres zukunftsträchtiges Einsatzgebiet der Flüssigbiospie ist die Transplantationsmedizin. Transplantatempfänger müssen nach dem Einsetzen des fremden Organs Immunsuppressiva anwenden, um eine Abstoßung des körperfremden Materials zu verhindern. Dabei gilt: So wenig Immunsuppressivum wie möglich, so viel wie nötig. »Mit der Flüssigbiopsie ist es uns möglich, die individuell optimale Dosierung des Immunsuppressivums zu erreichen«, sagt der Leiter des LiquidBiopsy-Centers.
Für das Monitoring können Ärzte Transplantat-DNA im zirkulierenden Blut analysieren. Den Hintergrund erklärt der Experte: »Organtransplantate sind immer auch Genomtransplantate. Sterben Zellen des Transplantats ab, setzen sie chromosomale DNA frei, die als zellfreie Spender-DNA, also dd-cfDNA, im Blut zirkuliert. Sie kann genetisch von cfDNA aus den Körperzellen des Empfängers unterschieden werden.«
Die Menge an Transplantat-DNA kann als prozentualer Anteil der Gesamt-cfDNA oder als absolute Konzentration angegeben werden. »Wir bevorzugen die Angabe als absolute Konzentration bei nierentransplantierten Patienten«, sagt Oellerich. »Der prozentuale Anteil ist Änderungen unterworfen. Bei Infektionen finden sich zum Beispiel mehr Leukozyten im Blut, die bei ihrem Untergang cfDNA freisetzen und dann das Mengen-Verhältnis körpereigener cfDNA und Transplantat-DNA verändern.«
Schäden am Transplantat reichen von Nekrosen und Traumata über Infektionen bis hin zur Abstoßung. »Mit der Analyse von Transplantat-DNA können wir auch asymptomatische und subklinische Schäden frühzeitig erkennen«, sagt der Facharzt für Laboratoriumsmedizin. »Wir können die Patienten mit vertretbarem Risiko auf die kleinstmögliche Dosis an Immunsuppressiva einstellen und die Dosis wieder erhöhen, wenn wir schädigende Prozesse am Transplantat erkennen.«
Traditionelle Verfahren wie biochemische Marker sind oft unzuverlässig oder haben nur eine geringe Sensitivität. Selbst mit Biopsien lassen sich Veränderungen nicht immer erkennen, zudem sind die invasiven Verfahren belastend und aufwendig und lassen sich nicht allzu häufig durchführen.
Dennoch kommt auch die Flüssigbiopsie nicht ganz ohne andere Untersuchungsergebnisse aus. Ein Beispiel sind interstitielle Fibrosen des Transplantats. »Dabei handelt es sich zwar eindeutig um Transplantatschäden«, erklärt Oellerich. »Die Transplantat-DNA im Blut steigt in diesem Fall allerdings meistens nicht an. Wir können den Befund erst im Kontext von Labordaten und anderen Untersuchungsergebnissen richtig interpretieren.«
Im Endeffekt lassen sich durch Liquid Biopsy nicht nur Lebensqualität und -zeit für den Patienten gewinnen, sondern auch Kosten im Gesundheitssystem einsparen. In den USA ist die Flüssigbiopsie zum Monitoring von Transplantaten bereits Leistung der öffentlichen und bundesstaatlichen Krankenversicherung Medicare geworden. Sie stellt eine wertvolle Ergänzung zu histologischen Befunden dar und hilft, unnötige Biopsien zu vermeiden. »Liquid Biopsy ist wichtig für eine personalisierte Therapie mit Immunsuppressiva und kann einen vorzeitigen Transplantatverlust verhindern«, fasst der Experte zusammen.