Süchtig nach Zucker? |
Barbara Döring |
18.10.2023 08:00 Uhr |
Das Naschen von Süßigkeiten hebt bei vielen Menschen die Stimmung. / Foto: Adobe Stock/anaumenko
Jetzt unbedingt etwas Süßes! Wenn die Lust zu naschen da ist, bleibt es meist nicht bei einem Stückchen Schokolade. Oft muss gleich die ganze Tafel daran glauben. Und wenn nichts Zuckriges greifbar ist, geht die Laune in den Keller. Von einem »Chocaholic« ist die Rede, wenn jemanden die Gier auf Schokolade immer wieder packt – abgeleitet von englisch Alcoholic für Alkoholiker. Bei anderen sind es vielleicht die Gummibärchen. Doch ist eine Gier nach Süßigkeiten schon als Sucht zu werten?
Immerhin zeigen Untersuchungen, dass der Verzehr von Zucker bei Ratten, ähnlich wie Alkohol beim Menschen, das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert und zur Ausschüttung des »Glückshormons« Dopamin führt. Nahmen die Tiere regelmäßig viel Zucker zu sich, veränderten sich die Synapsen im Gehirn auf eine Weise, die auf ein permanentes Verlangen hinweist. Laborratten reagierten zudem mit Entzugserscheinungen wie Ängstlichkeit und Zähneklappern, wenn ihnen Zucker vorenthalten wurde. Durften die Tiere wieder zulangen, fraßen sie gierig noch mehr Zucker als zuvor, was die Forscher als Suchtverhalten deuten.
Ernährungsexperten sind bei der Bewertung der Studienergebnisse zurückhaltend: Diese seien nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar und Zucker nicht mit Drogen wie Alkohol, Nikotin oder Heroin vergleichbar. Dass Menschen den süßen Geschmack besonders mögen, sei angeboren. Unseren Vorfahren, die noch nicht von einem Überangebot verwöhnt waren, signalisierte er, dass ein Nahrungsmittel genießbar und reich an Nährstoffen ist. Eine Gier nach Süßem könnte allenfalls als suchtähnlich bezeichnet werden, vor allem wenn stark übergewichtige Personen nicht vom Naschen lassen können, obwohl es wegen des gesundheitlichen Risikos geboten wäre.
Typische Suchtsymptome, wie sie bei den Laborratten zu sehen waren, wurden in Studien mit Menschen nicht beobachtet, wie Psychiater der Universität Duisburg-Essen bei einer Studienanalyse herausfanden. Demnach sei es nicht der Zucker, der bei manchen Menschen wie eine Droge wirke, sondern die Nahrungsaufnahme an sich. Auch sei nicht bewiesen, dass eine Süßigkeit zur Ausschüttung von Glückshormonen führt. Ebenso könnte das Naschen als Handlung eine stimmungsaufhellende Wirkung haben.
Ein klares Wort sprechen die Forscher des multidisziplinären Projekts NeuroFAST, an dem zwölf europäische Forschungseinrichtungen aus sieben Ländern beteiligt sind. Sie untersuchen die neurobiologischen Grundlagen von Substanzmissbrauch und -abhängigkeit. Laut ihrer Definition müssen mehrere bestimmte Kriterien über einen Zeitraum von mehreren Monaten zutreffen, bevor von einer Sucht die Rede sein kann.
Demnach hat Zucker definitiv kein Suchtpotenzial. Auch für andere einzelne Nährstoffe gibt es demnach keine Evidenz, dass sie süchtig machen könnten. Allerdings haben die Forscher der Universität Duisburg-Essen, die an dem Projekt beteiligt sind, herausgefunden, dass übersüßte, fettige und stark gesalzene Lebensmittel das Verlangen, immer wieder zuzugreifen, steigern und damit den Weg in gestörtes Essverhalten ebnen, ähnlich wie Spielautomaten eine Spielsucht begünstigen.
Ob Sucht oder suchtähnliches Verhalten – ein Zuviel an Zucker ist in jedem Fall ein Problem, das dazu beiträgt, dass immer mehr Menschen übergewichtig sind und Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln. In Deutschland verzehrt jeder Mensch fast 100 g Zucker täglich. Vor allem in hochverarbeiteten Lebensmitteln wie Wurst, Ketchup oder Erfrischungsgetränken wie Cola ist er in verschiedenen Formen reichlich enthalten. Für die Gesundheit ist es dabei unerheblich, ob es sich um das Disaccharid Saccharose (weißer Zucker) handelt oder ein Monosaccharid wie Glucose oder Fructose. Auch Honig oder brauner Zucker ist mit weißem Zucker chemisch und kalorisch fast identisch.
Zucker liefert pro Gramm etwa 4 Kilokalorien. Das klingt erst einmal nicht dramatisch und ist in Maßen genossen kein Problem. Die Krux ist, dass der Zucker vor allem als Bestandteil von Süßwaren verzehrt wird, die zusätzlich reichlich Fett liefern. Auch Erfrischungsgetränke wie Cola oder Limo haben es in sich: Sie enthalten pro Glas rund 20 g Zucker, die in flüssiger Form zugeführt, schnell vom Körper aufgenommen werden. Statt der durchschnittlich 100 g Zucker pro Tag sollten es laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) maximal 50 g täglich sein. Das umfasst sowohl Zucker, der Lebensmitteln zugesetzt, als auch natürlicherweise darin enthalten ist.
Wer weg kommen will von der süßen Versuchung oder den Naschgenuss zumindest auf ein gesundes Maß reduzieren möchte, sollte vor allem bei »Zuckerbomben« wie Backwaren, Süßigkeiten und Süßgetränken zurückhaltend sein. Auch Fruchtsäfte bringen von Natur aus reichlich Zucker mit sich und sollten mindestens im Verhältnis 1 zu 3 mit Wasser verdünnt werden. Wer nicht vom süßen Geschmack lassen kann, für den können Produkte mit Süßstoff eine Alternative sein, rät die DGE. Ein Stück Obst statt des Muffins liefert zwar auch Fruchtzucker und sollte nicht im Übermaß als Ersatz herhalten, liefert aber gleichzeitig immerhin gesunde Vitamine und Ballaststoffe.
Langsam Süßes zu reduzieren, gelingt oft leichter als der abrupte Verzicht: zum Beispiel statt einen Löffel Zucker einen Monat lang nur einen halben in die Tasse Kaffee tun und dann weiter reduzieren. Mit der Zeit gewöhnt man sich an den weniger süßen Geschmack und empfindet sehr Süßes irgendwann sogar oft als eher unangenehm. Kommt die Gier auf Süßes plötzlich, kann es helfen, ein Glas Wasser zu trinken. Auch Bittersprays oder Tropfen mit Extrakten zum Beispiel aus Enzianwurzel, Tausendgüldenkraut oder Löwenzahnwurzel, die zwei- bis dreimal täglich in den Mund gesprüht oder geträufelt werden, können die Lust auf Süßes eindämmen.