Superkraut Brennnessel |
Die Brennnessel wird seit langem als Heilpflanze genutzt. Aber auch in der Küche hat sie großes Potenzial. / Foto: Getty Images/urbazon
Die Brennnessel (Urtica dioica) wurde vor etwa 2000 Jahren vom Römer Plinius als »die am meisten verhasste aller Pflanzen« beschrieben. Das mag vor allem daran liegen, dass die schnell wuchernde Pflanze unzählige Brennhaare besitzt, deren Nesselgift bei Berührung schmerzhafte und juckende Quaddeln auf der Haut hinterlässt. Der Gattungsname »Urtica« (von lateinisch urere = brennen) deutet auf diese unangenehme Wirkung hin.
Aber auch als Naturheilmittel wurde die Brennnessel seinerzeit gleichwohl geschätzt. Beispielsweise wurde die sogenannte Urtikation, bei der die Haut mit der rohen Pflanze abgeklopft wurde, von den Römern zur Behandlung von Rheuma und verspannter Muskulatur angewendet. Die Samen galten als pflanzliches »Viagra«, das »zur Unkeuchheit lockt«. Auch aufgrund ihrer harntreibenden, stoffwechselanregenden sowie blut- und darmreinigenden Wirkung schätzten gelehrte Mediziner der Historie die heilende Kraft der Wildpflanze. Hildegard von Bingen setzte sie im Mittelalter sogar gegen Vergesslichkeit ein.
Auch heute noch werden Arzneitees mit den Blättern der Brennnessel bei rheumatischen und arthrotischen Beschwerden empfohlen, um die Beweglichkeit zu verbessern und Gelenkschmerzen zu reduzieren. Auch bei Blasenentzündungen und Harnwegsinfekten dient der Tee zur Durchspülungstherapie. Der Extrakt der Brennnesselwurzel wird ebenso zu Heilzwecken genutzt: Er soll die Beschwerden beim Wasserlassen reduzieren, unter denen Männer bei einer gutartigen Prostatavergrößerung leiden können.
Nicht umsonst wurde die Brennnessel in 2022 bereits zum 21. Mal zur »Heilpflanze des Jahres« gekürt. Die Jury des naturheilkundlichen Vereins NHV Theophrastus entschied sich aus diesem Grunde dafür: Die »zutiefst einheimische Pflanze« ist so vielseitig nutzbar. Neben seinen naturheilkundlichen Wirkungen und der Möglichkeit zur Herstellung von Kleidung mit ihren Fasern sollte das Wildkraut auch zum Highlight in der Küche werden, denn: Es schmeckt unglaublich nuancenreich, treffend umschrieben als würzig-spinatartig, und ist ein Kraftpaket an Nährstoffen.
In den zwei Weltkriegen wurde die Brennnessel als Notnahrung genutzt und später als Arme-Leute-Essen abgestempelt. Dadurch verschwand das Kraut fast komplett vom Speiseplan. Die grüne Gesundheitsbombe hat aber nun die Chance, im Zuge der modernen pflanzenbetonten Ernährung wieder häufiger Einzug in die Küchen zu nehmen.
Die Brennnessel liefert Ballaststoffe und viel Eiweiß. Besonders reich ist sie an Mineralien wie Kalium, Magnesium, Eisen und Silicium. Eine kaliumreiche Ernährung wirkt entwässernd und gemeinsam mit Magnesium blutdruckregulierend und herzprotektiv. Durch den hohen Calciumgehalt stärkt die Brennnessel unter anderem die Knochen. Vitamin C ist in der Brennnessel sogar mehr als viermal höher konzentriert als in Zitronen. Es wirkt antioxidativ, immunstärkend und unterstützt ebenfalls den Knochenstoffwechsel.
Die im Wildkraut enthaltenen sekundären Pflanzenstoffe (zum Beispiel Flavonoide, Carotinoide, Phenolsäuren) wirken ebenfalls antioxidativ, entzündungshemmend und schützen vor Zellschäden. Abgerundet wird der Mikronährstoffmix von B-Vitaminen, vor allem Vitamin B1. Dies sorgt für mehr Energie und starke Nerven. Sogar die Samen (der weiblichen Pflanze) sind essbar, sie enthalten Eiweiß, Mineralien und essenzielle Fettsäuren.
Sammler werden an vielen Stellen fündig, etwa an Waldrändern, Parkanlagen und Fluss- oder Teichufern, manchmal auch im heimischen Garten. Die Brennnessel bevorzugt feuchte, meist halbschattige Orte. An Orten, wo wenig Hunde unterwegs sind und nicht gedüngt wird, kann man unbedenklich Wildkräuter schneiden. Verwechselt werden kann die »Große Brennnessel« lediglich mit ihrer kleinen Schwester – der »Kleinen Brennnessel« (brennt ebenso!) – und verschiedenen Taubnesselarten. Letztere brennen nicht, bilden Lippenblüten in weiß, gelb, violett und purpurrot aus und zählen ebenso zu den essbaren Wildkräutern, stellen somit also keine Gefahr dar.
Gesammelt werden nur die jungen Triebspitzen – die oberen drei Blattpaare, denn mit zunehmendem Alter ist der Geschmack der Blätter nicht mehr so fein. Sobald die Brennnessel gegen Ende Mai Knospen ansetzt, lässt das Aroma insgesamt nach. Aber das Abmähen ermöglicht den neuen Austrieb mit frischen, wohlschmeckenden Trieben, sodass sich die Sammelzeit bis in den späten Herbst verlängert. Ab dem Spätsommer können dann noch die Brennnesselsamen geerntet und für den Vorrat getrocknet werden. Tipp: Wer auch außerhalb der Brennnesselsaison vom wilden Kraut profitieren möchte, der zupft die Blätter von den Stielen und friert sie in einem Gefrierbeutel oder einer Dose ein. Das Einfrieren deaktiviert die Brennhaare, sodass die Blätter nach dem Auftauen ohne Handschuhe weiter bearbeitet werden können.
Mit ihrem würzig-spinatartigen Geschmack hat die Brennnessel dem echten Blattspinat gegenüber einen großen Vorteil: Sie enthält keine Oxalsäure und ist deshalb verträglicher, das Kraut kann jedoch wie Blattspinat zubereitet werden. Gerne darf auch mit dem Wildkraut experimentiert werden, indem beispielsweise in einer nicht zu heißen Pfanne mit ein wenig Olivenöl und Salz Brennnesselchips hergestellt werden. Eine weitere Variante: vorher kurz durch Pfannkuchen- oder Bierteig ziehen und anschließend goldgelb ausbacken. Ein Hingucker sind auch mit Brennnessel eingefärbter Nudelteig oder Kartoffelpüree. Ansonsten passen die aromatischen zarten Blätter in Suppen, Eintöpfe, Quiches, Pastagerichte, Risotto, Brot und vieles mehr. Als Salatbeilage sollten die Blätter kurz blanchiert werden, denn die Brennhaare werden durch Erhitzen zerstört. Eine weitere Möglichkeit, den schmerzauslösenden Härchen den Garaus zu machen: Mit einem Nudelholz die Blätter gründlich abrollen. Bei der Herstellung eines Pestos oder Smoothies übernimmt die Vernichtung der Mixer oder Pürierstab.
Apropos: Bei allen Smoothie-Rezepten mit frischem Blattspinat kann dieser einfach durch Brennnessel ausgetauscht werden. Ein fruchtige Green-Smoothie ist in wenigen Minuten zubereitet: Zwei Handvoll Brennnesselblätter mit einer Banane, einer Mango, einer halben Avocado, einem halben Apfel, Wasser (je nach gewünschter Konsistenz mehr oder weniger) und einem Spritzer Zitronen- oder Orangensaft mixen.
Übrigens: Die Samen oder auch ganze Samenrispen sind ein gesunder Hochgenuss, wenn sie kurz in Butter oder Olivenöl mit etwas Salz und Pfeffer gebraten werden. Sie schmecken prima als Müsli- oder Salattopping oder in Energy-Balls. Ein abschließender Tipp für alle Gärtner: Eine selbst hergestellte Brennnessel-Jauche ist der Bio-Dünger für den Zier- und Gemüsegarten schlechthin. Vielseitiger kann man eine Pflanze kaum nutzen.
Foto: Adobe Stock/studio GDB
Zubereitung (für etwa 2 Portionen):
4 große, mehlig kochende Kartoffeln schälen und in eine Schüssel reiben. 2 Handvoll Brennnesselblätter waschen und kurz in heißem Wasser blanchieren. Dann gemeinsam mit 2 Handvoll gewaschenen anderen Wildkräuterblättern (zum Beispiel Löwenzahn, Gänseblümchen, alternativ einfach mehr Brennnessel) waschen und fein hacken. Eine Zwiebel schälen und in feine Würfel schneiden. 10 bis 15 Stängel Schnittlauch in feine Röllchen schneiden und alles gemeinsam mit 2 Eiern und etwas Weizen- oder Dinkelmehl unter die geriebenen Kartoffeln heben. Mit Salz, Pfeffer und einer Prise Zucker würzen. Chiliflocken bringen noch ein wenig mehr Pep hinein.
Nun werden die Puffer in der gewünschten Größe in heißem Fett (zum Beispiel Rapsöl) in der Pfanne gebraten, bis sie goldgelb sind. Kurz auf einem Küchenpapier das Öl abtropfen lassen und servieren.