Tausendsassa Propranolol |
Kleine Blutschwämme bilden sich in der Regel von alleine zurück. Bei großen, sogenannten segmentalen Hämangiomen ist der Einsatz von Propranolol aber ebenso notwendig wie sinnvoll. / © Getty Images/Tolgart
Propranolol bindet an β-1- und β-2-Rezeptoren des sympathischen Nervensystems und blockiert dadurch die Wirkungen der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin. Das bewirkt über β-1-Rezeptoren eine Senkung von Blutdruck und Herzfrequenz und entlastet das Herz. In den Nieren, die ebenfalls β-1-Rezeptoren aufweisen, wird Renin freigesetzt, was die blutdrucksenkende Wirkung verstärkt.
β-2-Rezeptoren befinden sich vorwiegend in den Bronchien, Blutgefäßen und im Uterus und beeinflussen die Muskelentspannung und den Glukosestoffwechsel. Ihre Blockade kann die Atemwege verengen und für Menschen mit Asthma riskant sein. Periphere Durchblutungsstörungen sowie eine verminderte Glykogenolyse und Insulinfreisetzung sind weitere durch die Hemmung von β-2-Rezeptoren verursachte Effekte.
Bei Menschen mit Diabetes mellitus oder chronischen Atemwegserkrankungen werden bevorzugt β-1-selektive Rezeptorenblocker wie Bisoprolol oder Metoprolol gewählt, um die durch die β-2-Rezeptor-Blockade verursachten Nebenwirkungen zu vermeiden.
Kommt Propranolol als Antihypertensivum zum Einsatz, stellt sich das Maximum der Wirkung erst allmählich ein. Meistens werden Betablocker mit anderen Blutdrucksenkern kombiniert und sind als Monosubstanz bei unkomplizierter Hypertonie keine Firstline-Therapie. Eine wichtige kardiovaskuläre Indikation ist die koronare Herzkrankheit (KHK) einschließlich Angina pectoris. Hier sind Betablocker ein Mittel der Wahl, da sie die Kontraktilität und somit die Arbeit sowie den Sauerstoffbedarf des Herzmuskels verringern. Nach einem Herzinfarkt kann Propranolol eingesetzt werden, um das Risiko eines erneuten Infarkts zu senken und die Mortalität zu reduzieren.
Da Propranolol die Herzfrequenz normalisiert, eignet es sich auch zur Behandlung tachykarder Herzrhythmusstörungen. Ein weiteres Einsatzgebiet ist das hyperkinetische Herzsyndrom. Dieses Krankheitsbild ist durch einen ausgeprägten Blutdruckanstieg, häufige Tachykardien und weitere Herz-Kreislauf-Beschwerden gekennzeichnet.
In der S1-Leitlinie »Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne« aus 2022 empfehlen die Autoren Propranolol (40 - 240 mg/Tag) zur Prophylaxe der chronischen Migräne. Den Betablocker heben sie zudem als medikamentöse Prophylaxeoption bei Kindern und Schwangeren hervor. Studien zeigten, dass Propranolol die Häufigkeit und Schwere von Migräneanfällen verringern kann. Das ist auch das Ergebnis einer systematischen Analyse und Metastudie der European Headache Federation (EHF) aus 2024.
Basierend auf 20 randomisierten Studien mit insgesamt 1291 Patienten stellten die Wissenschaftler fest, dass Propranolol die monatlichen Migränetage im Vergleich zu Placebo um durchschnittlich 1,27 Tage reduzierte und 65 Prozent mehr Patienten eine Reduktion von ≥50 Prozent ihrer monatlichen Migränetage erreichten. Vorteilhaft sind bei der Prophylaxe mit Propranolol das akzeptable Sicherheitsprofil, die lange Anwendungshistorie, globale Verfügbarkeit und die niedrigen Kosten. Propranolol hat eine kurze Halbwertszeit und wird zur Migräneprophylaxe meist zwei- bis dreimal täglich eingenommen. Bis sich die Anfallshäufigkeit spürbar verringert, kann es allerdings einige Wochen dauern. Patienten brauchen also etwas Geduld.
Die S2k-Leitlinie »Tremor« aus 2022 nennt Propranolol (30-240 mg) als Medikament erster Wahl zur Behandlung des essenziellen Tremors. Bei dieser neurologischen Erkrankung leiden Patienten unter unwillkürlichen und rhythmischen Bewegungen der Hände, des Kopfes oder der Stimme. Die genauen Mechanismen, wie Propranolol diesen Tremor verringert, sind unbekannt. Weiterhin ist der Betablocker zugelassen für die symptomatische Therapie des primären Angstsyndroms. In der S1-Leitlinie aus 2021 zur »Behandlung von Angststörungen« wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist. Der Betablocker verschafft Erleichterung, indem er körperliche Symptome von Angst wie Herzklopfen und Zittern lindert.
Untersuchungen deuten darauf hin, dass Propranolol auch bei der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) hilfreich sein könnte. Der Wirkstoff könnte die Gedächtniskonsolidierung beeinflussen und dadurch – unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis verabreicht – verhindern, dass das Erlebnis dauerhaft im Gedächtnis verankert wird. Da es aktuell keine entsprechende Zulassung gibt, wird Propranolol hier off Label eingesetzt.
Propranolol wird außerdem bei Symptomen einer Hyperthyreose, also einer Überproduktion von Schilddrüsenhormonen, eingesetzt. In der Schilddrüse spielen T4 (Thyroxin) und T3 (Trijodthyronin) eine zentrale Rolle bei der Regulierung des Stoffwechsels. T4 hat eine geringere biologische Aktivität als T3 und dient vor allem als Speicherform. Es wird bei Bedarf in das aktivere T3 umgewandelt, indem das Enzym Dejodinase ein Jodatom von T4 entfernt.
Propranolol kann die Umwandlung von T4 in T3 hemmen, indem es die Aktivität der Dejodinase verringert. Gleichzeitig lindert es als Betablocker sowohl kardiale Symptome wie eine erhöhte Herzfrequenz als auch nicht kardiale Symptome einer Hyperthyreose wie Zittern und Unruhe, die durch die übermäßige Stimulation des sympathischen Nervensystems verursacht werden.
Eine weitere interessante Indikation hat Propranolol in Form einer Suspension (Hemangiol®) und gilt als Goldstandard in der medikamentösen Behandlung infantiler Hämangiome. Dabei handelt es sich um eine Ansammlung überschüssiger Blutgefäße, die in oder unter der Haut wachsen und wegen ihres Aussehens auch als »Erdbeermal« oder »Blutschwämmchen« bezeichnet werden. Die Therapie erfolgt oral und wird bei Säuglingen im Alter von fünf Wochen bis fünf Monaten begonnen. Der Betablocker hemmt die Gefäßneubildung und fördert dadurch die Rückbildung des Blutschwämmchens.
Es sprechen etwa 98 Prozent der behandelten Hämangiome auf Propranolol an. Wird die Therapie zu früh abgebrochen, wächst der (gutartige) Tumor häufig erneut. Nach Angaben in der Fachinformation sollte die Behandlung sechs Monate lang andauern. Bei einem Rezidiv kann sie wieder aufgenommen werden. Es ist nicht nötig, die Dosis beim Absetzen schrittweise zu reduzieren.
Die Dosierung von Propranolol variiert je nach Indikation, Alter des Patienten und individuellen Anforderungen. Üblicherweise wird mit einer niedrigen Dosis begonnen und diese erhöht, bis die gewünschte Wirkung eingetreten ist. Für Hämangiome bei Säuglingen wurde eine spezifische Dosierung entwickelt, die auf dem Körpergewicht basiert. Bei einer Überdosierung von Propranolol drohen kardiovaskuläre und zentralnervöse Symptome, die sich als schwere Hypotonie, Bradykardie bis zur Herzinsuffizienz, kardiogener Schock, Atembeschwerden, Bronchospasmen, Krampfanfälle und Bewusstseinsstörungen äußern können. Wenn Vergiftungsanzeichen auftreten, sind medizinische Notfallmaßnahmen notwendig.
Die häufigsten Nebenwirkungen unter einer Therapie sind Müdigkeit, Schwindel, Kältegefühl in den Extremitäten und eine verminderte Belastbarkeit. Seltenere, aber schwerwiegende Nebenwirkungen umfassen Bronchospasmen, insbesondere bei Asthmatikern, und Bradykardie. Wichtige Kontraindikationen sind Asthma bronchiale oder Bronchospasmus, chronisch-obstruktive Atemwegserkrankungen, unbehandelte Herzinsuffizienz, Hypotonie, Hypoglykämieneigung und schwere periphere Durchblutungsstörungen.
Da Betablocker wie Propranolol beruhigend auf das Nervensystem einwirken, können sie als Dopingmittel missbraucht werden. In Sportarten wie Bogenschießen oder Golf, bei denen sympathische Erregung wie Wettkampfnervosität und Zittern die Leistung beeinträchtigen kann und hohe Konzentration erforderlich ist, sind Betablocker daher verboten.